Norwegen/Schweden 2018 · 94 min. · FSK: ab 0 Regie: Christian Lo Drehbuch: Arild Tryggestad Kamera: Bjørn Ståle Bratberg Darsteller: Vera Vitali, Jonas Hoff Oftebro, Stig Henrik Hoff, Ingar Helge Gimle, Frank Kjosås u.a. |
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Zerzauste Lebenslinien |
All the leaves are brown (all the leaves are brown)
And the sky is grey (and the sky is grey)
I’ve been for a walk (I’ve been for a walk)
On a winter’s day (on a winter’s day)
I’d be safe and warm (I’d be safe and warm)
If I was in L.A. (if I was in L.A.)
- The Mamas & the Papas, California Dreamin
Was für eine Wohltat nach all den Sequels und Franchises, den zahlreich verfilmten Bestsellern – im Kinder- und Jugendfilmbereich gelten ja inzwischen die gleichen Regeln wie im übrigen »Kinoweltwirtschaftsbetrieb« – was für eine Wohltat also, endlich mal wieder einen Jugend-Film sehen zu dürfen, der keine Fortsetzung ist, für den man tatsächlich den Mut aufbringen muss, sich überraschen lassen zu wollen.
Und Christian Lo und sein Drehbuchautor Arild Tryggestad überraschen mit Thilda & die beste Bande der Welt (OT: Los Bando) dann auch wirklich. Denn statt der im deutschen Kinder- und Jugendfilmbereich dominierenden Legolandkulissen präsentiert uns Lo eine Welt voller Brüche und Kratzer, das ganz normale Leben halt: Grim (Tage Johansen Hogness) hat Eltern, die kurz vor der Scheidung stehen und sich ständig streiten, Aksel (Jakob Dyrud) liebt ein Mädchen, das ihn nicht liebt, und gemeinsam haben sie die Band »Los Bando« und werden sogar zum Festival in Tromsø eingeladen, auf dem jedes Jahr die beste Nachwuchsband Norwegens gekürt wird. Und das, obwohl Aksel eigentlich gar nicht singen kann und dann auch noch Martin (Jonas Hoff Oftebro) dazustößt, der eigentlich singen kann, aber dessen Vater von dieser Karriere gar nichts hält. Und dann ist da noch die 9-jährige Thilda (Tiril Marie Høistad Berger), deren Eltern eigentlich gar nicht präsent sind und die ihr diffuses Unglück dadurch zu kompensieren versucht, indem sie bei »Los Bando« den fehlenden Bassisten durch ihr Cello-Spiel ersetzt.
So explosiv, ein wenig aufgesetzt und unvereinbar sich diese erzählerischen Teaser anhören mögen – Lo gelingt es tatsächlich, sie nicht nur über einen einfühlsamen Plott zu verbinden, sondern sie sowohl mit komödiantischen als auch dramatischen Elementen zu versetzen. Hatte Los Vorgängerfilm Rafiki – Beste freunde noch ein wenig an der Vorhersehbarkeit seiner
Geschichte gekrankt, so ist Thilda das Gegenteil davon. Immer wieder nimmt die Geschichte überraschende Wendungen auf, ohne dafür die detailliert angelegten Charaktere zu opfern. Und immer wieder hat Lo auch den Mut, seinen als Road-Movie mit Feelgood-Elementen vermarkteten Film auch mit authentischen und düsteren Motiven zu versehen, etwa die Szenen, als Aksel die Selbsteinschätzung über die Qualität seiner Stimme tatsächlich revidieren lernen
muss.
Gleichzeitig führt Thilda die zerzausten Lebenslinien auch wieder zusammen und verweigert sich explizit zarten und lyrischen Tönen, wie es etwa die Inderin Rima Das mit einer ähnlichen Geschichte in ihrem Film VILLAGE ROCKSTARS (2017) versucht hat.
Aber letztlich führen beide Wege zum gleichen Ziel, versuchen beide Filme klar und deutlich und auch überzeugend zu vermitteln, dass Träumen auch dann erlaubt ist und sein darf und vielleicht sogar sein muss, wenn der Traum im Grunde schon längst ausgeträumt ist.