USA/CH 2024 · 99 min. · FSK: ab 12 Regie: Josh Margolin Drehbuch: Josh Margolin Kamera: David Bolen Darsteller: June Squibb, Fred Hechinger, Richard Roundtree, Parker Posey, Clark Gregg u.a. |
||
On the road again... | ||
(Foto: Universal) |
Well, I’m so tired of crying
But I’m out on the road again
I’m on the road again
– On the road again, Canned Heat
Altenheimfilme mit Protagonist:innen, deren Alter über 70, 80 oder gar 90 Jahren liegt, haben sich in den letzten Jahren fast schon felsenfest etabliert und vielen altgedienten Star ein spätes Comeback beschert. Und das nicht nur aus den nicht sonderlich altersscheuen USA mit seinen Altersfestungen in Florida und immer wieder innovativen Momenten in Filmen wie Book Club oder Brady’s Ladies, dessen aber grundsätzlich etwas zu salbungsvoller, allzu versöhnlicher Grundton auch in dem englischen Pflegeheimfilm In voller Blüte mit Michael Caine und Glenda Jackson dominiert. Der französische Im Taxi mit Madeleine ging da zum Glück ganz andere Wege und hatte gerade wegen seines konsequenten Endes eines freibestimmten Todes mehr als nur bewegende Szenen, die auch für das bulgarische Altersdrama Eine Frage der Würde – Blagas Lessons gelten, der von einer ehemaligen Bulgarisch-Lehrerin erzählt, die von einem Telefonbetrüger um ihre Ersparnisse gebracht wird und eigentlich Rache üben will, am Ende aber selbst korrumpiert wird.
Dieses ungewöhnlich düstere, aber umso realistischere Ende ist natürlich nichts für eine Feelgood-Komödie wie Josh Margolins Thelma – Rache war nie süßer, die im Kern eine sehr ähnliche Geschichte erzählt. Denn auch Margolins 93-jährige Thelma Post, die wunderbar von der zu Drehzeiten gleichaltrigen June Squibb verkörpert wird, an die sich einige noch durch ihre Rollen in Woody Allens Alice (1990) oder Alexander Paynes Filme About Schmidt (2002) und Nebraska (2013) erinnern werden, verliert einen beträchtlichen Betrag durch einen jener Telefon- und Enkeltrickbetrüger, die es nicht nur in Bulgarien, den USA, sondern auch in Deutschland gibt. Doch anders als Blaga in einer tristen, kalten bulgarischen Kleinstadt, lebt Thelma im leuchtenden, warmen Los Angeles und hat ihren erwachsenen Enkel Dan (Fred Hechinger) an der Seite, der sich um sie kümmert, weil seine Eltern keine Zeit dafür haben.
Margolin lässt sich die notwendige Zeit, um Thelmas tütteligen Alltag liebevoll zu skizzieren und anzudeuten, dass sowohl Dan als auch seine Eltern von Lebenskrisen nicht verschont sind, und gerade die Eltern ihre Abwesenheit durch klassisches Overparenting kanalisieren, das nicht nur auf Dan, sondern auch die eigene Mutter angewendet wird.
Auch deshalb wendet sich Thelma nicht an ihre eigene Familie, als sie durch den klassischen Telefon-Enkeltrick einen 10.000 Dollar losgeworden ist, sondern versucht es auf eigene Faust und dann mit einem alten Freund ihres Mannes (Richard Roundtree), den sie kurzerhand aus seinem betulichen Altersheimalltag „entfährt“. Das hat gerade durch die potentielle Anwendung von Gewalt und den Roadmovie-Charakter, den Margolin ab diesem Moment mit seiner Geschichte setzt, durchaus etwas von Ridley Scotts Emanzipationsklassiker Thelma & Louise, doch ist es hier natürlich nicht ein feministischer Impetus, der etabliert, sondern das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit des Alters, das hier zelebriert wird – mit all den dazugehörigen schrulligen Stereotypen und Wattepuffern, die man in diesem Umfeld erwartet.
Dazu gehören auch die bizarren Action-Szenen, Verfolgungsjagden und Thelmas überraschende Kompetenz bei der Anwendung moderner Technologien, die dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Margolins Film eher im moralischen Umfeld eines der alten Miss Marple Filme mit Margaret Rutherford wie etwa 16 Uhr 50 ab Paddington (1961) bewegt, verstärkt durch ein Score, das immer ein wenig zu dick und rührselig aufträgt. Und dann traut sich Thelma eigentlich nur in den Momenten ein paar düsterere und irgendwie authentischere und mutigere Töne zu, als sich Thelmas Familie in ihrer Abwesenheit zu ihrer Krise bekennt (und sie standhaft durchlebt) oder beim Besuch einer stark dementen Freundin.
Das ist ein wenig schade, beweist Margolin in anderen Momenten doch mehr subtile Doppelbödigkeit. Denn der Alterspartner Ben an der Seite von June Squibbs Thelma ist immerhin jener am 24. Oktober 2023 verstorbene und hier in seiner letzten Rolle zu sehende Richard Roundtree, der selbst seit den frühen 1970er Jahren ein großer afro-amerikanischer Action-Darsteller gewesen ist. Und auch das Altenheim, in das Margolin in seinem Film immer wieder zurückkehrt, erzählt eine Geschichte hinter der Geschichte – ist es doch das Seniorenzentrum und Pflegeheim des Motion Picture & Television Funds am Mulholland Drive , einer Einrichtung, die ausschließlich Personen der Film- und Fernsehindustrie vorbehalten ist. Und dann erzählt Margolin auch von „seiner“ Thelma, denn ein Teil der Aufnahmen entstand in der früheren Wohnung von Margolins Großmutter, die für ihn – nicht anders als sein Alter Ego Dan in seinem Film – ein zweites Zuhause war, in dem seine Großmutter, die kurz im Abspann des Films zu sehen ist, bis zu ihrem 99. Lebensjahr lebte, bevor sie zu Margolins Eltern zog.