The Last Hillbilly

Frankreich/Katar 2020 · 76 min.
Regie: Diane Sara Bouzgarrou, Thomas Jenkoe
Drehbuch: ,
Musik: Tanya Byrne, Jay Gambit
Kamera: Thomas Jenkoe
Schnitt: Théophile Gay-Mazas
Filmszene »The Last Hillbilly«
Nicht immer angenehm, aber dennoch unglaublich mitreißend
(Foto: 36. DOK.fest@home)

Verloren im Land der Zukunft

Rednecks, White Trash, Hinterwäldler … Diane Sara Bouzgarrou und Thomas Jenkoe grandioser Film nähert sich einer fast ausgestorbenen Minderheit, mit der man sich erst nicht allzu gern beschäftigen will

Welche Klischees fallen Ihnen zu Hill­billys ein? Armut? Fehlende Bildung? Inzest? Rassismus? Viel­leicht auch, dass sie an Trumps Wahlsieg Schuld haben? Nun, Brian Ritchie, der „letzte Hillbilly“ kennt sie alle. Und wie er sagt, stimmen sie auch noch. Diane Sara Bouz­garrou und Thomas Jenkoe zeigen in ihrem beein­dru­ckend-tristen Film The Last Hillbilly einen Menschen­schlag, der eigent­lich schon der Vergan­gen­heit angehört. Dass er in Kentucky, dem „Land of Tomorrow“ behei­matet ist, grenzt an einen ziemlich bösen Witz.

Der ameri­ka­ni­sche Süden, der hier gezeigt wird, hat nichts mit fröh­li­chen Banjo-Klängen und Barbecue zu tun. Die Land­schaft, in der Brian und seine Familie leben, kann man getrost als post-apoka­lyp­tisch bezeichnen. Untermalt von bedrü­ckender Dark Ambient-Musik wirken selbst die banalsten Szenen bedroh­lich. Wenn die Prot­ago­nisten durch den Wald laufen, wirken sie eher wie die deplat­zierten Figuren eines Samuel Beckett-Stücks. Dazwi­schen türmen sich die Ruinen und Trümmer der alten Kohle­minen auf, damals noch ein Verspre­chen für Wohlstand, jetzt bittere Verge­wis­se­rung eines Lebens ohne Zukunft.

Bouz­garrou und Jenkoe insze­nieren ihren Film dabei nicht als sozio­lo­gi­sche Milieu-Studie, sondern als einen dunklen Essay. Sie selbst halten sich komplett zurück und über­lassen lieber Brian das Wort in Gestalt von pessi­mis­ti­scher Lyrik, die von einem Charles Bukowski stammen könnte, der nicht mal mehr den Alkohol als Rettung hat. Auch zeigen sie die „Hinter­wäldler“ nicht als obskure Freaks, über die man sich als aufge­klärter Links­li­be­raler erheben kann. Die Angst, die Enttäu­schung und die Perspek­tiv­lo­sig­keit sind dauernd spürbar. Das Wort Hillbilly ist eine Zuschrei­bung aus der Vergan­gen­heit, die im jetzigen Amerika keinen Platz mehr hat. Viele seiner Freunde sind aus Kentucky auf Nimmer­wie­der­sehen geflohen, andere kehrten zurück, nur um vor dem altbe­kannten Nichts zu stehen. Der Versuch, der nächsten Genera­tion noch etwas weiter­zu­geben ist von vorn­herein zum Scheitern verur­teilt, der Nachwuchs sehnt sich am nächt­li­chen Lager­feuer lieber nach dem Gameboy, als den Erzäh­lungen von früher zu lauschen. Brians durchweg bitter­ernste Ausstrah­lung und sein vernarbter Ober­körper sprechen Bände.

Gleich­zeitig hat der Film eine obskure Seite, die immer wieder durch­scheint. Mitunter fühlt man sich weniger mit einem Doku­men­tar­film konfron­tiert, sondern mit einem expe­ri­men­tellen Indie-Streifen eines Harmony Korine. Beispiels­weise wenn die Kinder eine Trau­er­feier für einen verstor­benen Fisch abhalten, inklusive Erdbe­stat­tung. Andere Momente sind von einer Tiefe, der man sich erst nach und nach bewusst wird. Wenn Brian und ein Freund vor einem Fels­massiv stehen und sich über die waghal­sigen Klet­ter­ak­tionen der Kindheit unter­halten, fällt der Satz »Wir sollten eigent­lich gar nicht mehr am Leben sein«. Was will ein Relikt von gestern mit dieser Welt noch anfangen? Oder sollte man es anders herum formu­lieren?

The Last Hillbilly ist wirklich nicht immer angenehm, aber dennoch die meiste Zeit unglaub­lich mitreißend. Das liegt zum einen an seiner eigen­sin­nigen Machart, zum anderen daran, dass das Publikum es hier mit einer Minder­heit zu tun bekommt, die doch die meiste Zeit lieber ausge­klam­mert wird. Das Regie-Duo spricht zwar zu keiner Zeit den gegen­wär­tigen Graben an, der durch die ameri­ka­ni­sche Gesell­schaft läuft, dennoch drängen sich die bekannten Bilder der Eska­la­tion ganz von selbst auf. Bei allem Beschwören der alten Zeit ist „The Last Hillbilly“ so ein auch höchst aktuelles Dokument. Wie lange Brians Mikro­kosmos noch zur Gegenwart gehört ist aller­dings nur noch eine Frage der Zeit. Wahr­schein­lich wird man ihn in naher Zukunft nur noch aus diesem Film kennen.