The Ugly Stepsister

Norwegen/PL/DK 2025 · 110 min.
Regie: Emilie Blichfeldt
Drehbuch:
Kamera: Marcel Zyskind
Schnitt: Olivia Neergaard-Holm
Darsteller: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp u.a.
The Ugly Stepsister
Eine Art Corsage wird angelegt
(Foto: Berlinale | Lukasz Bak)
75. Berlinale 2025

Märchenhorror

Emilie Blichfeldts »The Ugly Stepsister« fügt im Panorama der Berlinale dem Body-Horror eine weitere weibliche Komponente hinzu

»Kannst du dir eine Zukunft vorstellen, in der wir nicht mehr darüber disku­tieren, welchen Druck Schön­heits­ideale auf uns ausüben?«, fragte vor ein paar Monaten Arabella Winter­mayr im Film-Podcast »Cuts«. Die Antwort zusam­men­ge­fasst: Selbst­ver­s­tänd­lich, aber so weit sind wir noch lange nicht! Schon The Substance (2024) hat den Druck der weib­li­chen Körper­normen im letzten Jahr als brachialen Körper­horror insze­niert und dabei einen Nerv getroffen. Der Norwe­gi­sche Panorama-Beitrag der Berlinale The Ugly Step­sister (2024) der norwe­gi­schen Autorin und Regis­seurin Emilie Blich­feldt schlägt manchmal ähnliche Töne an wie Coralie Fergeats Riesen­er­folg, doch die Ähnlich­keiten zwischen den beiden Genre­filmen zeigen vor allem, wie sich die Bebil­de­rung weib­li­cher Körper­er­fah­rungen als regel­rechte Horror­vi­sion anbietet. Blich­feldt adaptiert in ihrem Debüt das Grimm’sche Märchen von Aschen­puttel und führt dabei eine zeit­ge­mäße narrative Verschie­bung durch: Sie erzählt die Geschichte aus der Perspek­tive einer Neben­figur, nämlich der häss­li­chen Stief­schwester. Mit Parasiten, Flei­scher­beilen und erigierten Pimmeln schlägt sie dabei mühelos noch tiefer unter die Gürtel­linie – und ist dabei dem origi­nalen Märchen näher als der Disney-Klassiker.

Zwischen, vor und nach den Zeilen

Die Story ist vertraut: Die vernach­läs­sigte Aschen­puttel (Thea Sofie Loch Næss) wird von ihrer grausamen Stief­mutter (Ane Dahl Torp) herum­ge­scheucht, als der Prinz des Landes zu einem Ball einlädt, um die passende Braut zu finden. Nun handelt es sich hier natürlich um eine Reinter­pre­ta­tion; diese gelingt aber nicht durch eine schlichte Umkehrung der Geschichte – um ein leichtes könnte man Aschen­puttel, die hier den Namen Agnes trägt, als Bösewicht darstellen und die Stief­schwester, genannt Elvira (Lea Myren), als das Opfer der Geschichte. The Ugly Step­sister wählt aber einen nuan­cier­teren Ansatz: Hier sind alle Figuren ziemliche Arschlöcher. Und alle sind irgendwie Opfer ihrer Umstände.

Der Kern des Märchens bleibt dabei weitest­ge­hend intakt; statt­dessen füllt Blich­feldt den Anfang, das Ende und die kleinen Lücken zwischen den Zeilen mit Infor­ma­tionen. Wir erfahren, dass Elviras Mutter gerade erst einen Baron (Ralph Carlsson) gehei­ratet hat, der mit seiner Tochter Agnes alleine in einem Anwesen wohnt. Als der aber plötzlich einen Herz­in­farkt erleidet, muss Elvira erkennen, dass Otto pleite war und sich nur für den Wohlstand in ihre Familie einge­hei­ratet hat. Mit einem Mal wird ihre Mutter enteignet. Nieder­ge­schlagen verliert die Matri­ar­chin, manisch gespielt von Torp, ihren Verstand. Aschen­puttel ist hier hingegen ein ober­fläch­li­ches Mean Girl, das sich plötzlich in den Fängen der dysfunk­tio­nalen Familie wieder­findet, während ihr geliebter Vater im Neben­zimmer verwest. Ihre tiefe Abneigung gegen Elvira ist nach­voll­ziehbar.

Die pummelige Zahn­span­gen­trä­gerin Elvira ist auf einmal die letzte Hoffnung der Familie, aus der finan­zi­ellen Bredouille heraus­zu­finden: Dafür muss sie nur dem Prinzen gefallen. Mit Akribie stellt der Film Elviras Qualen dar, um von der patri­ar­chalen Gesell­schaft als schön betrachtet zu werden: Mit einem Meißel kloppt ein Quack­salber ihre Nase in die gewünschte Form. Um abzu­nehmen, schluckt Elvira einen Bandwurm, der in ihr zur Größe einer Python heran­wächst. Die Bruta­lität ist so explizit und over-the-top, dass sie zum Lachen einlädt. Lea Myren gibt dabei eine beein­dru­ckende Perfor­mance als Elvira, die sich allmäh­lich vom ernied­rigten Mäuschen zur eifer­süch­tigen Furie wandelt – von einem chir­ur­gi­schen Eingriff zum anderen. Die Modi wider­spre­chen sich dabei nicht, sondern greifen authen­tisch inein­ander über.

Eitrige Polemik

Als Genre hat der Horror vieles mit dem Musical gemeinsam – vor allem in der Art, wie er zu affi­zieren sucht. Die Regel im Musical lautet ja: Sind die Emotionen zu stark, um sie auszu­spre­chen, wird gesungen. Sind sie zu stark für Gesang, beginnt man zu tanzen. Im Horror funk­tio­niert das oft ähnlich. Über­steigt eine Emotion das Sagbare, kommt das Monster aus den Schatten, oder es fließen Blut und Eiter. Blich­feldt versteht diese Mechanik sehr gut. In den Schock- und Ekel­ef­fekten verfolgt sie zwar eine konse­quente Eska­la­ti­ons­spi­rale. Jedoch dient selbst der sadis­tischste Moment dazu, das Innere der Haupt­figur nach außen zu kehren – meta­pho­risch und wort­wört­lich. Elviras Selbst­hass wird zum Beispiel durch den gigan­ti­schen Bandwurm kata­ly­siert, den sie zum Abnehmen schluckt. Je mehr ihr Selbst­hass sich nährt, desto größer wird der Parasit in ihrem Inneren. Um sich zu heilen, muss sie das Monstrum früher oder später aus sich heraus reißen.

Natürlich, diese Metaphern sind plakativ, der Film macht aber aus seiner Polemik keinen Hehl. Die Männer, inklusive dem Prinzen (Isac Calmroth), sind testo­ste­ront­rie­fende Proleten, die ihre steifen Penisse wie Schwerter vor sich hertragen, allgemein pendeln die Figuren zwischen gender­spe­zi­fi­schen Stereo­typen. Gerade bei Elviras Mutter gerät der Film ein wenig in Schief­lage. Zwar gibt das Script einen Grund für ihre Manie, jedoch wird sie zum Ende hin stark auf ihre Sex-Beses­sen­heit reduziert, was sie im Vergleich zu den anderen Figuren ein wenig aushöhlt. Schließ­lich muss man auf dieses Spiel mit Über­zeich­nungen eingehen. Durch entblößte Vulven und Anusse gibt der Film weiter den Ton an, der zunehmend die Grenze des guten Geschmacks heraus­for­dert.

Cronen­bergs »Bibi und Tina«

The Ugly Step­sister spielt gekonnt mit histo­ri­schen Anachro­nismen. Das histo­ri­sche Setting des Films bricht Blich­feldt mit träu­me­ri­schen Synth-Sounds, die an die 70er Jahre erinnern. Diese Vermi­schungen sind spätes­tens seit Sofia Coppolas Marie Antoi­nette (2006) gang und gäbe, andere Beispiele sind Marie Kreutzers Corsage (2022) oder Frauke Fins­ter­wal­ders Sisi & ich (2023), der vor zwei Jahren auf der Berlinale gezeigt wurde; Blichfeld verleiht ihrem Film durch pastell­far­bene Traum­se­quenzen und eine über­spitzte Schau­spiel­füh­rung aber einen distinkten, jugend­li­chen Pfer­de­mäd­chen-Charme – wie ein »Bibi und Tina«-Film, reali­siert von David Cronen­berg.

Letztlich unter­scheidet sich Blich­feldts Film von anderen Body-Horror-Vertre­tern noch durch die leise, doch klar erkenn­bare Anwe­sen­heit von Soli­da­rität. Zwar schickt sie ihre Figuren durch die Hölle, doch eröffnet ihnen auch die Aussicht auf Erlösung.