Hongkong/Taiwan/USA 2000 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Ang Lee Drehbuch: Hui-Ling Wang, James Schamus, Kuo Jung Tsai Kamera: Peter Pau Darsteller: Chow Yun-Fat, Michelle Yeoh, Ziyi Zhang, Chen Chang u.a. |
Manchmal, wenn man sich fallen lässt, geschehen Wunder. Wie in der Legende – von der in Crouching Tiger, Hidden Dragon berichtet wird – vom Jungen, der auf den höchsten Berg stieg und in den Abgrund sprang, damit seine todkranken Eltern wieder gesund würden. Der den Sprung unbeschadet überstand. Und in die Ferne zog, ohne seine Eltern wieder zu sehen, denn er war sicher, sein Wunsch sei in Erfüllung gegangen. An Wunder muss man glauben.
Das Loslassen, das Fallenlassen, es fällt nicht leicht in der Welt von Crouching Tiger, Hidden Dragon. Die Welt ist das China der Qing-Dynastie – eine jener verschwindenden Kulturen, jener Welten am Abgrund zu Neuem, die Ang Lee stets so faszinieren; sei es die Welt taiwanesischer Tradition im amerikanischen Exil, Jane Austens England, in dem Bürgertum und Kapitalismus die sozialen Beziehungen neu ordnen, die USA der 70er, als die Revolution des
Lebensgefühls die gesetzten Schichten erreicht, oder das Südstaaten-Amerika des Bürgerkriegs – verschollene Welten, verlorene Zeiten.
Hier sind es die letzten Jahre imperialer Größe und Macht, bevor der Opiumhandel Verwestlichung und Niedergang bringt. Alles ist durchtränkt von Tradition und Geschichte. Jedes Wort, jedes Schriftzeichen, jede Geste, jeder Gegenstand hat hier Bedeutung und Nebenbedeutung, ist aufgeladen mit dem Ballast der Vergangenheit. Alle in dieser
Welt sind Schüler, sind in der Nachfolge eines Meisters, sind Träger generationenalten Wissens. Schon die Namen enthüllen Beziehungen, und alles, vom Schreiben bis zum Teetrinken, ist Kunst, ist Ritus.
Es gibt jene, die ihren Platz gefunden zu haben scheinen in dieser Welt, wie den Wudan-Kämpfer Li Mu Bai (Chow Yun-Fat). Die es zur Meisterschaft gebracht haben in ihrer Rolle. Und die glauben, das Blut der Vergangenheit wäre abzuwaschen, in dem man den Gegenstand ablegt, an dem es klebt. So einfach ist das selbstverständlich nicht – als Li Mu Bai sein Jade-Schwert in die Obhut eines Vertrauten gibt, da sind sie schnell zur Stelle, die kauernden, lauernden Tiger und versteckten Drachen, die Feinde, die hinter Masken der Unscheinbarkeit verborgen waren. Li Mu Bai wird den Kampf nicht los, und zunehmend merken wir, dass sich die kühl-kontrollierte Oberfläche nicht so nahtlos deckt mit dem gar nicht so leidenschaftslosen Mann dahinter.
Ang Lees zärtliche Distanz erlaubt es (unterstützt von dem großartigen Aufgebot an asiatischen Superstars), hinter den Fassaden stets die Menschen zu sehen. Er beherrscht das genaue Hinschauen ohne Zurschau-Stellung, er entdeckt in den Dingen die Aura des Fremden, belässt sie ihnen, und findet doch auch immer das, was sie uns ganz nah bringt – eine Art Gefühl des Sich-Verliebens ist es, das einem durch diesen Film begleitet, das ihn zu so einem sinnlichen Erlebnis macht.
Es sind die Frauen, die es vor allem schwer haben in dieser Welt. Die zu Renegaten werden wie Jade Fox (Cheng Pei Pei), die aufbegehren gegen die vielleicht gar nicht so heiligen, unfehlbaren Meister. Die still an ihrer unerfüllten Sehnsucht leiden wie Yu Shu Lien (Michelle Yeoh). Oder die anfangen, sich ihren eigenen Weg zu bahnen.
Wie Jen Yu (Zhang Ziyi, begeisternd in ihrem erst zweiten Film nach Zhang Yimous The Road Home). Die hat die Freiheit gekostet, in der Gefangenschaft. In der Wüste, jenseits aller Zivilisation – fern von der Stadt, wo die Regeln und Traditionen fest eingegraben sind wie die Fahr-Rillen im Stein des Straßenpflasters. In einem gnadenlosen Freiraum, dessen Leere, Weite, Trockenheit ständig das Leben bedroht. Als Geisel des Banditenführers Lo (Chang Chen) hat sie gelernt, die Konvention abzulegen wie ihre Kleider,
ihren Körper zu entdecken. Die Kämpfe zwischen den beiden sind kunstlose, rohe Raufereien, ganz erd- und körpernah, voll Schweiß und Blut, heiß und impulsiv, jeden Moment bereit, ins Sexuelle umzuschlagen. Hier spürt man das Brennen der Haut, die Gier, den Hunger, Durst; die Verletzung.
Zurück in ihrer strengen, höfischen Welt der Stadt kann Jen Yu nichts mehr davon genießen. Sie verschwindet wieder hinter der Maske der wohldressierten Gouverneurs-Tochter. Und sucht unter der Anleitung
von Jade Fox nach einem anderen Ausweg: Auch die Kampfkunst ist streng reglementiert, ist Kampf verschiedener Schulen und schwer erlangte Meisterschaft. Aber wenigstens verliert der Körper in diesen Kämpfen jedes Gewicht, kann fliegen und vom Raum Besitz ergreifen. (In martial arts-Szenen, die selbst für Hong Kong-Standards extrem schwerelos sind, die mich eher an King Hus A Touch of Zen erinnerten.)
Alles, nur nicht diese starre Statik des Lebens, die sonst
jede Bewegung bestimmt.
Es sind die Meister, die letzlich verlieren in Crouching Tiger, Hidden Dragon. Die von den Schülern überflügelt oder verraten werden, der Liebe wegen.
Aber auch die Liebe kann nur Scheinsiege erringen, Siege mit dem letzten Atemzug, die in dieser Welt keine Frucht mehr tragen werden. Der Weg in dieser Welt kann nur ein gewisses Stück weit führen. Die Befreiung ist noch nicht die Erfüllung, auch ein Wüstenprinz und seine Liebe ist nicht das Ziel.
Am Ende
hilft nur, sich von allem loszusagen. Am Ende hilft nur, sich völlig fallenzulassen. Und auf ein Wunder zu hoffen.