Deutschland/Schweiz 2020 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Tim Fehlbaum Drehbuch: Mariko Minoguchi, Tim Fehlbaum Kamera: Markus Förderer Darsteller: Nora Arnezeder, Iain Glen, Sarah-Sofie Boussnina, Sope Dirisu, Sebastian Roché u.a. |
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Zeit der Gezeiten | ||
(Foto: Constantin) |
Ein Schritt weiter Richtung Endzeit: Während in Tim Fehlbaums Hell (2011) die Sonne das Leben auf der Erde zur Qual machte, ist es zehn Jahre später in seinem neuen Film Tides schon gar nicht mehr möglich. In der Mitte des jetzigen Jahrhunderts ist von der Erde nichts anderes geblieben als Ödnis. Eine Elite hat sich bereits zum Planeten Kepler 209 verabschiedet, wo man sich ideologisch im Kollektivismus eingenistet hat, in dem das Individuum nichts mehr zählt. Das Dumme an dieser Welt 2.0: Die Atmosphäre des Planeten tötet die Fruchtbarkeit der Menschen ab, sodass man hier erneut vor dem Ende der Zivilisation steht. Die Raum-Kolonie will es also mit der Erde noch mal probieren und schickt die Mission Ulysses II zur ehemaligen Heimat, um zu überprüfen, ob die Erde in der Zwischenzeit wieder bewohnbar ist.
Schon nach kurzer Zeit wird sichtbar, was an Tides das Atemberaubende ist: das karge, menschenfeindliche und auf unheimliche Art schöne Setting. Fehlbaum und sein Team ließen sich hier vom Wattenmeer inspirieren, wo der Mensch der Natur in Gestalt von Ebbe und Flut noch so richtig ausgeliefert ist. Gedreht wurde dann größtenteils doch in den Bavaria-Studios. Der Atmosphäre tut das keinen Abbruch, diese Welt ist im wahrsten Sinne post-menschlich.
Und hier stürzt nun das Ulysses-II-Team mit der Raumkapsel ab. Blake (Nora Arnezeder) und Tucker (Sope Dirisu) überleben gerade so, ihr Kumpan stirbt. Die Inspektion der unwirtlichen Gegend dauert nicht lange und beide geraten in die Gefangenschaft einiger doch übriggebliebener Erdenbewohner. An die hohe Zivilisation der heutigen Zeit erinnert hier nichts mehr. Die letzten Menschen leben sprichwörtlich im Dreck, primitive Werkzeuge haben jegliche Technologie ersetzt und statt einer verständlichen Sprache wird mit Kauderwelsch kommuniziert.
Hier mutet Tides nun etwas merkwürdig an. Aus dem Vorspann erfährt der Zuschauer, dass die Erde aufgrund von Pandemien, Klimawandel und Umweltkatastrophen unbewohnbar wurde. Was genau nun aber die Menschheit in ein solches Stadium katapultiert hat, fällt unter den Tisch. Dass die Öko-Message mit dieser Art von Film meist Hand in Hand geht, liegt in der Natur der Sache. Im Fall von Fehlbaums Werk wirkt das nun etwas unfertig und unrealistisch konstruiert. Auf der anderen Seite kann man das Wort »Fiction« in Science Fiction auch mal größer schreiben.
Zurück ins Watt: Plötzlich tritt eine dritte Partei auf den Plan, mit Feuerwaffen ausgestattete Fremde, die das Lager, in dem Blake festgehalten wird, überfallen und selbst Gefangene nehmen. Kurzerhand mischt sich die Astronautin unter die Abtransportierten und entdeckt, dass sie mit den brutalen Angreifern weit mehr gemeinsam hat, als sie anfangs denkt. Sie selbst gehört ja auch nicht zu den ersten Kepler 209-Exilanten, die auf den ehemals blauen Planeten zurückgekehrt sind. Ihr eigener Vater führte die Ulysses I-Mission an, die auf der Erde verscholl, als sie noch ein Kind war. Die Crew hat es jedoch geschafft, eine bohrinselartige Station aufzubauen, auf der nun der Neustart vorbereitet wird. Je mehr Blake jedoch mit den »eigenen Leuten« zu tun hat, desto rissiger werden die Ideale, die sie in ihren Mädchentagen übernommen hat.
Man muss es an dieser Stelle sagen, das passiert abstrus schnell. Natürlich bringt das die Handlung voran, aber die Logik bleibt dabei wieder auf der Strecke. Wenn ein Kind von Anfang an mit der Parole »Alles für die Gemeinschaft« indoktriniert wird, ist es eher unwahrscheinlich, dass all das im Erwachsenenalter durch den ersten Gewissenskonflikt verworfen wird. Und dann kommt die Öko-Message wieder ins Spiel. Oder besser gesagt, sie kommt eben nicht. Es ist an sich schön, dass sie nicht plakativ in den Vordergrund gedrückt wird, etwas mehr Auseinandersetzung (mit Ausnahme der Reden des Vaters in Rückblenden) wäre schön gewesen. Das betrifft nicht nur die Ansätze zu Themen wie Raubbau und Ausbeutung der Natur, sondern auch der vorherrschenden Beschäftigung mit dem Kolonialismus, der hier in die Zukunft verlagert wurde. Es bleibt alles irgendwo im Ansatz stecken und mündet in der recht einfachen Gegenüberstellung des bösen Fortschritts mit dem guten Primitivismus, der gewissenlosen Hochzivilisation mit den edlen Wilden.
Davon abgesehen ist Tides ein solide gemachtes Science-Fiction-Abenteuer, durchaus spannend, atmosphärisch dicht und mit einer interessanten Grundidee. An gelungener Unterhaltung fehlt es also keineswegs, doch an ein paar Stellen am Tiefgang, der angedeutet wird. Nun, daran lässt sich sicher für den Nachfolgefilm arbeiten. Die nächste Endzeit kommt bestimmt.