Deutschland 2017 · 103 min. · FSK: ab 12 Regie: Mascha Schilinski Drehbuch: Mascha Schilinski Kamera: Fabian Gamper Darsteller: Helena Zengel, Karsten Antonio Mielke, Artemis Chalkidou |
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Zwischen den Eltern-Fronten: Die Tochter |
Für viele Kinder wird der Alptraum, dass ihre Eltern nicht für immer zusammenbleiben könnten, wahr. Dem in Trennung befindlichen Paar rät man dann zumeist, den Kindern einen sicheren Hafen zu bieten, damit die ihren Schock überwinden. Doch dieser vernünftige und gutgemeinte Ratschlag kann – wie in Mascha Schilinskis Spielfilmdebüt – manchmal ungeahnte Folgen haben. Den Eltern wird ihr Versprechen, für ihr Kind weiterhin uneingeschränkt dazusein, zum Verhängnis.
Jimmy und Hannah haben sich vor zwei Jahren während ihres Urlaubs in Griechenland getrennt. Seitdem lebt die Tochter bei ihrer Mutter, der Vater besucht sie in gegenseitigem Einvernehmen zu festgelegten Zeiten. Doch schon anfangs wird klar, dass die siebenjährige Luca weitaus mehr an ihrem Vater als an ihrer Mutter hängt und am liebsten zu ihm ziehen würde. Doch die eingespielte Beziehung der drei kommt in Bewegung, als die getrennte Familie noch einmal nach Griechenland reist, um ihr Ferienhaus aufzulösen. Gleich der antiken Ödipus-Tragödie setzt der Schauplatz dunkle Gefühle, Begehren, Leidenschaft frei. Und das Wiederaufflackern der Liebesbeziehung der Eltern bedroht die innere Stabilität der Tochter.
Mascha Schilinskis preisgekröntes Psychodrama, das auf der Berlinale in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino« seine Premiere hatte, ist dicht und intensiv erzählt. Präzise entwickelt die Filmemacherin die Auswirkungen einer Trennung und das bedrückende Beziehungsgeflecht von Vater, Mutter und Kind. Jeder von ihnen hat an dem Misslingen ihres Zusammenlebens seinen Anteil, jeder versteht es, den anderen für seine Nöte und Bedürfnisse zu nutzen, wird von ihm aber auch zugleich in seiner Entfaltung behindert. Obschon die Eltern vermeintlich alles richtig machen, versagen sie als Erzieher, weil sie nicht klar die Grenzen ziehen zwischen Erwachsenem und Kind. So behelligt der Vater die Tochter etwa damit, dass die Mutter nicht imstande sei, die fälligen Rechungen zu bezahlen, und stellt damit deren Vermögen infrage, für die Tochter zu sorgen. Das Kind hingegen wird vor allem von der Angst seiner Retraumatisierung verfolgt. Da Luca die Trennung offenbar dadurch bewältigt hat, dass sie sich noch stärker mit ihrem Vater verband, droht mit dem Wiederaufleben der Liebesbeziehung ihrer Eltern auch dessen Verlust. Das will sie natürlich mit allen Mitteln verhindern.
Wie es dem Kind dabei ergeht, welche Gefühle in ihm auflodern, aber auch welche Gefühle es in seinen Eltern auslöst, das deutet Schilinski mit Konstrukten der Freud'schen Theorie. Beispielsweise muss Luca der 'Urszene' beiwohnen, wenn die Eltern sich zu ihr ins Bett legen und ungeachtet ihrer Präsenz mit dem Liebesspiel beginnen. Oder sie imaginiert sich, im Duktus des 'Familienromans des Neurotikers', eine andere Mutter als Hannah. Natürlich könnte eine selbstsicherere Mutter diesen Wunsch als Phantasie erkennen und die darin gezeigten Gefühle angemessen spiegeln. Aber Hannah versteht ihn ganz konkret. Frustriert verlässt sie das Haus und lässt ihr Kind allein am gedeckten Geburtstagstisch sitzen.
Die Tochter visualisiert die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes und dessen Wahrnehmungsvermögen in all seinen altersgemäßen Entstellungen. Als die Mutter Luca erzählt, wie sie die Tochter zur Welt gebracht hat, setzt die das in Analogie zu einer der herumstreunenden Katzen, die ihr Junges gebiert. Die Seelenlage des Kindes wird anschaulich in Szene gesetzt, indem die Filmemacherin die Schönheit der Natur und der griechischen Architektur einbezieht. Die Kamera fängt dafür die geometrischen Strukturen, die klaren Linien und weiß-blauen Farben der Gassen und Häuser ein, setzt ausdrucksstark die kargen, aufragenden Felsen ins Bild, deren Haptik und Rundungen wie die zerfließenden Muster der Gischt im schwarz-silbrigen Sand. Sie transportieren den inneren Aufruhr, aber auch die Kühle und Leere, die Einsamkeit, die der Verlust hinterlässt. Wenn sich die Eltern am Ende ein zweites Mal trennen, erfüllt sich damit zwar der Wunsch der Tochter, aber es befreit sie keineswegs aus dieser psychisch desolaten Familienstruktur.