USA 2020 · 131 min. · FSK: ab 12 Regie: Joseph Kosinski Drehbuch: Ehren Kruger, Eric Warren Singer, Christopher McQuarrie Kamera: Claudio Miranda Darsteller: Tom Cruise, Miles Teller, Jon Hamm, Jennifer Connelly, Glen Powell u.a. |
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Alte Liebe rostet nicht... | ||
(Foto: Paramount Pictures Germany GmbH) |
»Die reiche Saat des Sieges wird [bei zu geringer Reiterei] nicht mehr mit der Sense, sondern mit der Sichel geschnitten.«
— Carl von Clausewitz, Vom Kriege»May you always be courageous
Stand upright and be strong
May you stay forever young
May you stay forever young« —
— Bob Dylan, Forever Young
Nach 36 Jahren die Fortsetzung eines Action-Klassikers zu drehen, hat schon was. Etwas Grundlegendes. Besonders bei diesem martialischen Format eines fast schon reinrassigen Militärfilms. Ein Klassiker ohne Zweifel, der damals immerhin Leben verändert, der Kinogeher dazu gebracht hat, sich nach dem Kinobesuch an einem der Anwerbe-Stände bei der Navy zu verpflichten, die an den Ausgängen zahlreicher amerikanischer Kinos platziert worden waren. Denn die amerikanische Armee brauchte 1986 händeringend neue Soldaten. Nicht nur hatte man sich den Ruf in Vietnam versaut, sondern sich auch gerade entschieden im Ersten Golfkrieg zu intervenieren, und auch die sowjetische Besatzung Afghanistans ging ihrem Ende entgegen, die Welt brannte also auch damals schon lichterloh, was die damalige Beratertätigkeit der US-Armee in dem Filmprojekt mehr als verständlich macht.
In dieser Hinsicht hätte man auch Top Gun: Maverick nicht besser platzieren können, denn auch jetzt sieht es mit dem Ruf der amerikanischen Truppen nach dem Fiasko in Afghanistan nicht gut aus. Und war auch zu Drehbeginn am 18. Mai 2018 nicht besser, dazu gab es auch die Krim-Krise schon, und dann natürlich das Ringen mit China und einer möglichen militärischen Auseinandersetzung durch eine Annexion Taiwans. Wohl deshalb gab es auch im Rahmen der Verfilmung von Top Gun: Maverick tatkräftige Unterstützung der United States Navy und des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten, durfte während Manövern gedreht waren, um die Authentizität (und Werbewirksamkeit) zu erhöhen, und musste sowohl das Drehbuch vor und nach dem Dreh als auch jede militärisch Szene vom US-Militär abgenommen werden.
Dass dabei dennoch ein Film entstanden ist, der neben seiner sogartigen, ja fast schon suchtartigen Propagandawirkung, gegen die nur hartgesottene Warmduscher und Emma-Brief-Unterzeichner gefeit sein dürften, ein Film, der nicht nur die nächsten militärischen Ukraine-Tranchen im amerikanischen Senat durchwinken helfen dürfte, ein Film, nach dem selbst Fahrradfahrer Lust haben dürften, auch mal Kampfpilot zu werden, um das Böse dieser Welt zu besiegen, dass neben all dem auch noch ein Film entstanden ist, der auch als Film einfach nur Spaß macht, ist schon ein kleines oder nein, warum nicht mal superlativieren: ein großes Wunder.
Die Gründe für dieses Wunder sind wie immer und für alles auf dieser Welt komplex, wenn nicht multiplex. Und am einfachsten lässt sich auch hier zuallererst mal mit der Vergangenheit argumentieren. Denn der Regisseur des ersten Teils war niemand anderes als Tony Scott , der Bruder von Ridley Scott, und Tony Scott ist dieser Film auch gewidmet, denn Scott beging 2012 durch einen Sprung von der Vincent Thomas Bridge im Hafenviertel von Los Angeles Suizid, wohl wegen eines diagnostizierten Krebsleidens.
Scott, der mit The Last Boy Scout auch Bruce Willis ein ungewöhnliches Denkmal setzte, baute im Kern und mit jungen Schauspielern, die kurz vor dem Durchbruch standen, einen wilden B-Movie, der junge schwitzende Männer bei ihren Sandkastenspielen mit ein paar Frauen an der Seite auf eine Art und Weise sexy und gleichermaßen völlig durchgeknallt zeigte, ohne dass dabei gleich jeder an die Tragik verdrängter Homosexualität denken musste.
Und so ist es auch heute noch in der Fortsetzung von Joseph Kosinski, der bereits vor fast zehn Jahren in Oblivion zeigte, was man mit einem eng umrissenen Genre und einem Schauspieler wie Tom Cruise leisten kann. Auch hier macht Kosinski fast alles richtig. Gut, die militärische und politische Propaganda, die hier über die üblichen Uran-Lagerungsstätten des Irans geschüttet wird, ist offensichtlich (aber wirkungsvoll und auf jeden Feind leicht übertragbar, denn nicht einmal hören wir einen Iraner sprechen, nicht einmal sehen wir ein Gesicht ohne Flughelm), die tragische Note des Wiedersehens mit seinem alten Widersacher Iceman (Val Kilmer) dann doch vielleicht etwas zu sehr in Moll gehalten und die Liebesgeschichte mit Jennifer Connelly etwas irritierend, denn Connelly ist ein neuer (und jüngerer) Charakter. Die beiden bedeutsamen Frauen aus dem ersten Teil, Meg Ryan und Kelly McGillis, sind nicht präsent, was schade ist, denkt man etwa an die ebenfalls schon über 60 Jahre alte Linda Hamilton und ihre umwerfende Rolle in Terminator: Dark Fate.
Aber geschenkt, sind das doch Anleihen und Verzichte, die der Film um das Drehbuchteam um Christopher McQuarrie, Ehren Kruger und Eric Warren Singer vielleicht machen musste, um den schmalen Grat zwischen alten Fans und neu hinzugekommenen Generationen nicht überzustrapazieren. Diese Übergänge werden glücklicherweise so dezent und fein ziseliert in den Plot eingewoben, dass niemals das Gefühl entsteht, bei einem dieser peinlichen Klassentreffen mit dabei sein zu müssen oder schlimmer noch, nach dem dritten Bier dann auch noch alle und alles auf diesem Treffen nett zu finden. Nein, wirklich nicht, denn Tom Cruise als Maverick funktioniert auch mit nur einem bedingten, aber wohldurdachten Setzen von Vergangenheitsmosaiken aus 1980er-Musik, Vintage-Fotos und Rückblenden passabel, auch und gerade deshalb, weil er nicht systemkonform ist oder besser: weil er verstanden hat, dass man das System nur verbessern kann, indem man gegen das System rebelliert. Auch deshalb ist Maverick nach so vielen Jahren noch Pilot und kein General oder Politiker. Wer will gegen so eine Biografie schon etwas sagen, denn nur mit diesem Hintergrund – Schuster, bleib bei deinen Leisten – ist letztendlich auch ein Leben möglich, das weder durch Geld oder Macht korrumpierbar ist und das letztendlich auch erst für die wirklichen Krisen qualifiziert. Nur ein solcher Mann kann in Krisen wie diesen unser aller Wingman sein.
Und das ist es wohl auch, was diese Rolle in diesem Film so sympathisch macht, mehr noch, als hier vorgelebt wird, wie diese Person auch auf uns wirkt. Denn natürlich sehen wir diesen Film identifikatorisch über die jungen Soldat:Innen, fühlen uns in unserer richtungslosen Amoralität ertappt und auch ein wenig peinlich berührt, weil alles, was hier passiert, die Rangkämpfe um die Führung im Team etwa, sich kaum anders gestaltet als die niederen Sandkastenspiele kleiner Kinder, bei denen eins dem anderen das Förmchen oder die Schaufel wegnimmt oder ihn vom ersten Platz an der Rutsche verdrängt, indem er ihn aus »Versehen« von der Treppe stößt. Und dann suchen auch wir ja irgendwann alle unseren »eigentlichen« Vater, der mitverantwortlich für den Tod des leiblichen Vaters ist, so wie »Rooster« (Miles Teller), ein Vater-Sohn-Konflikt, der fast schon griechisches Tragödienformat hat. Und damit nicht nur die persönlichste Schnittstelle im Film darstellt, sondern auch am emotionalsten Tony Scotts Top Gun mit Kosinskis Weiterschreibung verzahnt.
Wie realistisch diese Verzahnung ist, muss allerdings jeder für sich selbst entscheiden. Ich erinnere mich jedoch immer noch gut an den damaligen Freund und heutigen Mann meiner Schwester, für den der erste Top Gun der wichtigste Film in seinem Leben war. Kurz nachdem er den Film gesehen hatte, beendete die Deutsche Bahn einen langjährigen Einstellungsstopp und obwohl er kurz vor dem Abitur stand, entschied mein Schwager sich, das Gymnasium sofort zu verlassen und bei der Bahn einzusteigen, als Stellwerker. Das war immer sein Traum gewesen. Und trotz aller Möglichkeiten, in den vielen, vielen Jahren danach ins Management aufzusteigen, also General oder Politiker zu werden, ist er bis heute Stellwerker geblieben, so wie sein großes Vorbild Maverick bis heute Testpilot ist. Auch das ist eine emotionale Verzahnung, allerdings nicht von zwei Film-Generationen, sondern einer noch atemberaubenderen, der von Fiktion und Realität.
Dabei haben wir noch gar nicht von der eigentlichen »Action« dieses »Action«-Films gesprochen, der man schon in den ersten Momenten bei den Mach-Tests ansieht, dass hier eben nicht geglättetes, umwerfendes CGI-Geschwurbele am Werk ist, sondern auf Anweisung von Tom Cruise, der diesen Film (wie so viele andere) mitproduziert hat, alles handgemacht und irgendwie alte Schule ist, aber natürlich viel besser. Kameras, Kameras und noch mal Kameras und natürlich GoPros, die es in den 1980ern noch nicht gab, am Werk sind, in der Luft, den Pilotenkanzeln und bei tänzerischen Luft-Choreografien, die trotz ihrer kaum erkennbaren Piloten nicht nur Spannung erzeugen, sondern spürbar machen, was es bedeuten muss, bei einer Hyperschallgeschwindigkeit von Mach 10 in einem Kampfflugzeug zu sitzen (die gegenwärtige Grenze liegt übrigens, anders als in Top Gun: Maverick angedeutet, bei Mach 5).
Und am Ende geht es irgendwie ja auch nicht nur darum, dass es manchmal besser ist, nicht zu denken und stattdessen zu handeln (also einfach beseelt lächelnd im Kino zu sitzen oder intuitiv zu fliegen und zu schießen), sondern auch darum, wie Filme altern, wir vor allem Filme altern, die sich nicht haben emanzipieren können, weil der Franchise-Druck zu groß war, immer wieder produziert werden musste, um die alten Fans bei der Stange zu halten. Das ging zwar immer wieder auch ganz gut, wie beim letzten Bad Boys for Life mit seinen fast schon jugendlichen 25 Jahren, aber sieht man sich die 40 Jahre Rambo an, oder bis auf den letzten Teil die 38 Jahre Terminator-Franchise oder die fast 21 Jahre von Fast & Furious, wird es düster, denn sieht man all diese alten Haudegen, was sie waren und was sie geworden sind, dann sind das alles arme Teufel und Tom Cruise, nun ja, der wäre dann so etwas wie der wiederauferstandene und nun zur Rechten Gottes sitzende Jesus, forever young, so wie wir uns das seit Hippie-Tagen immer gewünscht haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.