Top Gun: Maverick

USA 2020 · 131 min. · FSK: ab 12
Regie: Joseph Kosinski
Drehbuch: , ,
Kamera: Claudio Miranda
Darsteller: Tom Cruise, Miles Teller, Jon Hamm, Jennifer Connelly, Glen Powell u.a.
Filmszene »Top Gun: Maverick«
Alte Liebe rostet nicht...
(Foto: Paramount Pictures Germany GmbH)

Die beste Art zu altern

Joseph Kosinskis Fortsetzung des alten US-Navy-Action-Klassikers ist zwar lupenreine Propaganda, aber dennoch einer der überraschendsten und besten Blockbuster der bisherigen Saison

»Die reiche Saat des Sieges wird [bei zu geringer Reiterei] nicht mehr mit der Sense, sondern mit der Sichel geschnitten.«
Carl von Clau­se­witz, Vom Kriege

»May you always be coura­geous
Stand upright and be strong
May you stay forever young
May you stay forever young«

— Bob Dylan, Forever Young

Nach 36 Jahren die Fort­set­zung eines Action-Klas­si­kers zu drehen, hat schon was. Etwas Grund­le­gendes. Besonders bei diesem martia­li­schen Format eines fast schon rein­ras­sigen Mili­tär­films. Ein Klassiker ohne Zweifel, der damals immerhin Leben verändert, der Kinogeher dazu gebracht hat, sich nach dem Kino­be­such an einem der Anwerbe-Stände bei der Navy zu verpflichten, die an den Ausgängen zahl­rei­cher ameri­ka­ni­scher Kinos platziert worden waren. Denn die ameri­ka­ni­sche Armee brauchte 1986 hände­rin­gend neue Soldaten. Nicht nur hatte man sich den Ruf in Vietnam versaut, sondern sich auch gerade entschieden im Ersten Golfkrieg zu inter­ve­nieren, und auch die sowje­ti­sche Besatzung Afgha­ni­stans ging ihrem Ende entgegen, die Welt brannte also auch damals schon lich­terloh, was die damalige Bera­ter­tä­tig­keit der US-Armee in dem Film­pro­jekt mehr als verständ­lich macht.

In dieser Hinsicht hätte man auch Top Gun: Maverick nicht besser plat­zieren können, denn auch jetzt sieht es mit dem Ruf der ameri­ka­ni­schen Truppen nach dem Fiasko in Afgha­ni­stan nicht gut aus. Und war auch zu Dreh­be­ginn am 18. Mai 2018 nicht besser, dazu gab es auch die Krim-Krise schon, und dann natürlich das Ringen mit China und einer möglichen mili­tä­ri­schen Ausein­an­der­set­zung durch eine Annexion Taiwans. Wohl deshalb gab es auch im Rahmen der Verfil­mung von Top Gun: Maverick tatkräf­tige Unter­stüt­zung der United States Navy und des Vertei­di­gungs­mi­nis­te­riums der Verei­nigten Staaten, durfte während Manövern gedreht waren, um die Authen­ti­zität (und Werbe­wirk­sam­keit) zu erhöhen, und musste sowohl das Drehbuch vor und nach dem Dreh als auch jede mili­tä­risch Szene vom US-Militär abge­nommen werden.

Dass dabei dennoch ein Film entstanden ist, der neben seiner sogar­tigen, ja fast schon sucht­ar­tigen Propa­gan­da­wir­kung, gegen die nur hart­ge­sot­tene Warm­du­scher und Emma-Brief-Unter­zeichner gefeit sein dürften, ein Film, der nicht nur die nächsten mili­tä­ri­schen Ukraine-Tranchen im ameri­ka­ni­schen Senat durch­winken helfen dürfte, ein Film, nach dem selbst Fahr­rad­fahrer Lust haben dürften, auch mal Kampf­pilot zu werden, um das Böse dieser Welt zu besiegen, dass neben all dem auch noch ein Film entstanden ist, der auch als Film einfach nur Spaß macht, ist schon ein kleines oder nein, warum nicht mal super­la­ti­vieren: ein großes Wunder.

Die Gründe für dieses Wunder sind wie immer und für alles auf dieser Welt komplex, wenn nicht multiplex. Und am einfachsten lässt sich auch hier zual­ler­erst mal mit der Vergan­gen­heit argu­men­tieren. Denn der Regisseur des ersten Teils war niemand anderes als Tony Scott , der Bruder von Ridley Scott, und Tony Scott ist dieser Film auch gewidmet, denn Scott beging 2012 durch einen Sprung von der Vincent Thomas Bridge im Hafen­viertel von Los Angeles Suizid, wohl wegen eines diagnos­ti­zierten Krebs­lei­dens.

Scott, der mit The Last Boy Scout auch Bruce Willis ein unge­wöhn­li­ches Denkmal setzte, baute im Kern und mit jungen Schau­spie­lern, die kurz vor dem Durch­bruch standen, einen wilden B-Movie, der junge schwit­zende Männer bei ihren Sand­kas­ten­spielen mit ein paar Frauen an der Seite auf eine Art und Weise sexy und glei­cher­maßen völlig durch­ge­knallt zeigte, ohne dass dabei gleich jeder an die Tragik verdrängter Homo­se­xua­lität denken musste.

Und so ist es auch heute noch in der Fort­set­zung von Joseph Kosinski, der bereits vor fast zehn Jahren in Oblivion zeigte, was man mit einem eng umris­senen Genre und einem Schau­spieler wie Tom Cruise leisten kann. Auch hier macht Kosinski fast alles richtig. Gut, die mili­tä­ri­sche und poli­ti­sche Propa­ganda, die hier über die üblichen Uran-Lage­rungs­stätten des Irans geschüttet wird, ist offen­sicht­lich (aber wirkungs­voll und auf jeden Feind leicht über­tragbar, denn nicht einmal hören wir einen Iraner sprechen, nicht einmal sehen wir ein Gesicht ohne Flughelm), die tragische Note des Wieder­se­hens mit seinem alten Wider­sa­cher Iceman (Val Kilmer) dann doch viel­leicht etwas zu sehr in Moll gehalten und die Liebes­ge­schichte mit Jennifer Connelly etwas irri­tie­rend, denn Connelly ist ein neuer (und jüngerer) Charakter. Die beiden bedeut­samen Frauen aus dem ersten Teil, Meg Ryan und Kelly McGillis, sind nicht präsent, was schade ist, denkt man etwa an die ebenfalls schon über 60 Jahre alte Linda Hamilton und ihre umwer­fende Rolle in Termi­nator: Dark Fate.

Aber geschenkt, sind das doch Anleihen und Verzichte, die der Film um das Dreh­buch­team um Chris­to­pher McQuarrie, Ehren Kruger und Eric Warren Singer viel­leicht machen musste, um den schmalen Grat zwischen alten Fans und neu hinzu­ge­kom­menen Genera­tionen nicht über­zu­stra­pa­zieren. Diese Übergänge werden glück­li­cher­weise so dezent und fein ziseliert in den Plot einge­woben, dass niemals das Gefühl entsteht, bei einem dieser pein­li­chen Klas­sen­treffen mit dabei sein zu müssen oder schlimmer noch, nach dem dritten Bier dann auch noch alle und alles auf diesem Treffen nett zu finden. Nein, wirklich nicht, denn Tom Cruise als Maverick funk­tio­niert auch mit nur einem bedingten, aber wohl­dur­dachten Setzen von Vergan­gen­heits­mo­saiken aus 1980er-Musik, Vintage-Fotos und Rück­blenden passabel, auch und gerade deshalb, weil er nicht system­kon­form ist oder besser: weil er verstanden hat, dass man das System nur verbes­sern kann, indem man gegen das System rebel­liert. Auch deshalb ist Maverick nach so vielen Jahren noch Pilot und kein General oder Politiker. Wer will gegen so eine Biografie schon etwas sagen, denn nur mit diesem Hinter­grund – Schuster, bleib bei deinen Leisten – ist letzt­end­lich auch ein Leben möglich, das weder durch Geld oder Macht korrum­pierbar ist und das letzt­end­lich auch erst für die wirk­li­chen Krisen quali­fi­ziert. Nur ein solcher Mann kann in Krisen wie diesen unser aller Wingman sein.

Und das ist es wohl auch, was diese Rolle in diesem Film so sympa­thisch macht, mehr noch, als hier vorgelebt wird, wie diese Person auch auf uns wirkt. Denn natürlich sehen wir diesen Film iden­ti­fi­ka­to­risch über die jungen Soldat:Innen, fühlen uns in unserer rich­tungs­losen Amora­lität ertappt und auch ein wenig peinlich berührt, weil alles, was hier passiert, die Rang­kämpfe um die Führung im Team etwa, sich kaum anders gestaltet als die niederen Sand­kas­ten­spiele kleiner Kinder, bei denen eins dem anderen das Förmchen oder die Schaufel wegnimmt oder ihn vom ersten Platz an der Rutsche verdrängt, indem er ihn aus »Versehen« von der Treppe stößt. Und dann suchen auch wir ja irgend­wann alle unseren »eigent­li­chen« Vater, der mitver­ant­wort­lich für den Tod des leib­li­chen Vaters ist, so wie »Rooster« (Miles Teller), ein Vater-Sohn-Konflikt, der fast schon grie­chi­sches Tragö­di­en­format hat. Und damit nicht nur die persön­lichste Schnitt­stelle im Film darstellt, sondern auch am emotio­nalsten Tony Scotts Top Gun mit Kosinskis Weiter­schrei­bung verzahnt.

Wie realis­tisch diese Verzah­nung ist, muss aller­dings jeder für sich selbst entscheiden. Ich erinnere mich jedoch immer noch gut an den damaligen Freund und heutigen Mann meiner Schwester, für den der erste Top Gun der wich­tigste Film in seinem Leben war. Kurz nachdem er den Film gesehen hatte, beendete die Deutsche Bahn einen lang­jäh­rigen Einstel­lungs­stopp und obwohl er kurz vor dem Abitur stand, entschied mein Schwager sich, das Gymnasium sofort zu verlassen und bei der Bahn einzu­steigen, als Stell­werker. Das war immer sein Traum gewesen. Und trotz aller Möglich­keiten, in den vielen, vielen Jahren danach ins Manage­ment aufzu­steigen, also General oder Politiker zu werden, ist er bis heute Stell­werker geblieben, so wie sein großes Vorbild Maverick bis heute Testpilot ist. Auch das ist eine emotio­nale Verzah­nung, aller­dings nicht von zwei Film-Genera­tionen, sondern einer noch atem­be­rau­ben­deren, der von Fiktion und Realität.

Dabei haben wir noch gar nicht von der eigent­li­chen »Action« dieses »Action«-Films gespro­chen, der man schon in den ersten Momenten bei den Mach-Tests ansieht, dass hier eben nicht geglät­tetes, umwer­fendes CGI-Geschwur­bele am Werk ist, sondern auf Anweisung von Tom Cruise, der diesen Film (wie so viele andere) mitpro­du­ziert hat, alles hand­ge­macht und irgendwie alte Schule ist, aber natürlich viel besser. Kameras, Kameras und noch mal Kameras und natürlich GoPros, die es in den 1980ern noch nicht gab, am Werk sind, in der Luft, den Pilo­ten­kan­zeln und bei tänze­ri­schen Luft-Choreo­gra­fien, die trotz ihrer kaum erkenn­baren Piloten nicht nur Spannung erzeugen, sondern spürbar machen, was es bedeuten muss, bei einer Hyper­schall­ge­schwin­dig­keit von Mach 10 in einem Kampf­flug­zeug zu sitzen (die gegen­wär­tige Grenze liegt übrigens, anders als in Top Gun: Maverick ange­deutet, bei Mach 5).

Und am Ende geht es irgendwie ja auch nicht nur darum, dass es manchmal besser ist, nicht zu denken und statt­dessen zu handeln (also einfach beseelt lächelnd im Kino zu sitzen oder intuitiv zu fliegen und zu schießen), sondern auch darum, wie Filme altern, wir vor allem Filme altern, die sich nicht haben eman­zi­pieren können, weil der Franchise-Druck zu groß war, immer wieder produ­ziert werden musste, um die alten Fans bei der Stange zu halten. Das ging zwar immer wieder auch ganz gut, wie beim letzten Bad Boys for Life mit seinen fast schon jugend­li­chen 25 Jahren, aber sieht man sich die 40 Jahre Rambo an, oder bis auf den letzten Teil die 38 Jahre Termi­nator-Franchise oder die fast 21 Jahre von Fast & Furious, wird es düster, denn sieht man all diese alten Haudegen, was sie waren und was sie geworden sind, dann sind das alles arme Teufel und Tom Cruise, nun ja, der wäre dann so etwas wie der wieder­auf­er­stan­dene und nun zur Rechten Gottes sitzende Jesus, forever young, so wie wir uns das seit Hippie-Tagen immer gewünscht haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.