USA 2019 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Dome Karukoski Drehbuch: David Gleeson, Stephen Beresford Kamera: Lasse Frank Johannessen Darsteller: Nicholas Hoult, Derek Jacobi, Lily Collins, Harry Gilby, Adam Bregman u.a. |
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Porträt des Künstlers als junger Mann und Soldat |
Sometimes, in the trenches, you get the sense of something, ancient. One trench we held, it had skulls in the side, embedded, like mushrooms. It was actually easier to believe they were men from Marlborough’s army, than to think they’d been alive a year ago. It was as if all the other wars had distilled themselves into this war, and that made it something you almost can’t challenge. It’s like a very deep voice, saying; ‚Run along, little man, be glad you’ve survived ― Pat Barker, Regeneration-Trilogie
Gut, dass nach den Filmbiografien großer Musiker – Bohemian Rhapsody und Rocketman – endlich mal wieder ein Schriftsteller-Porträt an der Reihe ist. Und was für eins. Niemand anders als J.R.R. Tolkien, dessen literarisches- und wissenschaftliches Werk sich ja durch die opulente Herr der Ringe- Verfilmung durch Peter Jackson eigentlich schon längst von den Büchern entkoppelt hat. Oder erinnert sich noch wer an die grünen Ausgaben der Hobbit-Presse im Klett-Verlag, die seit 1979 in Deutschland die Bücherregale Jugendlicher fluteten und damit halfen, Tolkiens High-Fantasy-Klassiker mit einer weltweiten Auflage von über 150 Millionen Exemplaren zu einem der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten zu machen?
Heutzutage sicherlich die Wenigsten. Weshalb es nur zu begrüßen ist, dass sich der finnische Regisseur Dome Karukoski dieses Bildungsauftrags angenommen hat. Karukoski hatte ja erst vor zwei Jahren eine solide Filmbiografie über den Fetisch-Künstler Tom of Finland vorgelegt und zeigt auch in »Tolkien«, wie souverän sich ein Leben bebildern lässt.
Karukoskis Tolkien konzentriert sich dabei auf ein Porträt des Künstlers als junger Mann und Soldat, zeigt nur skizzenhaft das Kind Tolkien mit Bruder und Mutter, die nach dem Tod des Vaters aus Südafrika ins ländliche England zurückgekehrt sind, aber bald in prekären Verhältnissen in Birmingham leben. Durch den Tod der Mutter können die Brüder nur mit Unterstützung eines christlichen Seelsorgers überleben und werden auf einem der besseren Internate der Stadt untergebracht. Tolkien erfährt hier zwar die übliche klassenspezifische Isolation, findet schließlich aber auch klassenübergreifende Freundschaften fürs Leben.
Wirklich interessant wird Tolkien erst an dieser Stelle, denn erst im Mittelteil wird deutlich, wie wichtig schon dem jungen Tolkien (Nicholas Hoult) neben der Sprache auch die Religion ist, wie sehr er selbst in seinem pubertären Widerstand seinem religiösen Stiefvater, dem katholischen Priester Francis Morgan (Colm Meaney) ergeben ist; eine Prägung, die sich auch im Subtext seines bekanntesten Werkes wiederfinden wird.
Mehr noch als die Religion ist es dann jedoch der 1. Weltkrieg, der Tolkien nachhaltig beeinflussen wird. Denn schon schnell wird deutlich, dass sich hier kein Traum von der Verteidigung des Vaterlandes erfüllt, sondern ein Trauma, das als allerletztes durch den Glauben ans Vaterland auch wieder geheilt werden kann. Durch starke, auf den Schlachtfeldern des Krieges, im Fiebertraum gesetzte Symbole, die mit der Welt aus dem Herr der Ringe von Peter Jackson korrespondieren, macht Karuski deutlich, dass für Tolkien sein literarisches Werk letztendlich auch essentielle, therapeutische Traumabewältigung war. Das sind überzeugende, dichte Momente, die allerdings ebenso plötzlich einer vagen Skizzenhaftigkeit geopfert werden, einer Wikipedia-Bebilderung des Restlebens, das ähnlich wie der kurze Anfang als Junge auf dem Land in England zu wenig ist, um einer komplexen Persönlichkeit wie Tolkien wirklich habhaft zu werden.
Vor allem reicht es nicht aus, um dem totalen Trauma einer ganzen Generation gerecht zu werden. Denn wie Tolkien hier auf dem Fahrrad über den Campus radelt, wie er leichte Ehekrisen bewältigt und im Kreis seiner Familie zum Märchenerzähler wird, ist selbst für einen bewusst gewählten, zeitlich begrenzten, biografischen Ausschnitt zu platt – es wäre wenigstens eine weitere Viertelstunde angemessen gewesen, um sich mit der seelischen Versehrtheit auch im Nachkriegsstadium zu beschäftigen, so wie es Pat Barker in ihrer „Regeneration“-Trilogie, die ja ganz ähnliche Lebenslinien wie die von Tolkien und seiner Freunde porträtiert, so kongenial gelungen ist.