Schweden 2002 · 80 min. Regie: Kristian Petri, Johan Söderberg, Jan Röed, Erik Pauser Drehbuch: Kristian Petri, Johan Söderberg, Jan Röed Kamera: Ilppo Pohjola |
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Wahnsinn hinter der Kamera: Nobuyoshi Araki |
Manchmal ertappt sich sogar Nobuyoshi Araki bei dem Wunsch, der Megacity den Rücken zu kehren. Aber dann kriegt er doch noch rechtzeitig die Kurve: »Wenn Du irgendwo hingehst, wo die Luft sauberer ist, bist Du bald hinüber«, glaubt der Tokioer Fotograf von Weltrang. Echte Tokioten sind abgeschnitten vom Puls der Metropole einfach nicht lebensfähig.
Das schwedische Regietrio Kristian Petri, Jan Röed und Johan Söderberg hat den bizarren Rhythmus der Stadt als atemberaubende Klang- und Bildcollage eingefangen. Schnellgeschnittene, verfremdete Stadtimpressionen, unterlegt von disharmonischer Experimentalmusik. Lovehotels mit Dildos per Roomservice, Mädchen in schrillen Cyberoutfits, allgegenwärtige Monitore – Tokio ist eine Metropolis der Gegenwart: Die Stadt als Metapher und Spiegel eines futuristisch-urbanen Lebensgefühls.
Dazwischen immer wieder Interviewsequenzen: Shintopriester Herr Watanabe spricht über die Todessehnsucht am Fuße des Fujiama. Kultautor Murakami parliert über den Autismus des Menschen in der Masse. Ein Coputergame-Erfinder philosophiert über die Realität von Cyberwelten und den Roboter als besten Freund des Menschen. In Tokio zerfließen die Grenzen zwischen virtueller und realer Welt: Wenn die experimentelle Klangkünstlerin Mayuko Hinodie Bewegungen ihres Köpers in kakophone Töne übersetzt wird sie zum Cyborg, einem Zwitterwesen aus Mensch und Maschine. Und wo früher Sushilehrlinge drei Jahre lang Reis kochen mussten, bevor sie ihre erste Gurken-Maki rollen durften, formt heute ein Roboter in Plastik eingeschweißte Lachs-Nigiri. »Die Leute werden es lieben«, prophezeit der Erfinder des Roboters. Zweifellos hat er damit recht.
In Japan, so heißt es, hat immer alles zwei Seiten. Das gilt auch für Tokio und seine Bewohner. Da ist einerseits Fotograf Araki, der mit der Kamera in der Hand zum bildproduzierenden Berserker mutiert. Da gibt es aber auch den Herrn Tanaka, der im Morgengrauen auszieht, um geduldig seine dreißigste Ansicht des Fujiama einzufangen. Cyber und Zen sind in Tokio kein Gegensätze, die sich ausschließen, sondern einander ergänzende Paralleluniversen.