USA 1999 · 94 min. · FSK: ab 0 Regie: Ash Brannon, John Lasseter Drehbuch: John Lasseter, Peter Docter, Andrew Stanton Musik: Randy Newman Kamera: Sharon Calahan |
Die Beziehungen zwischen Mensch und Spielzeug sind seit jeher Feindverhältnisse. Bereits vor vier Jahren zeigte John Lasseters mit großem technischen Aufwand vom Hause Pixar inszenierter Animationsfilm Toy Story, wie brutal es im Kinderzimmer wirklich zugeht: Sobald sie unbeobachtet sind, erwachen die Spielsachen wie die Heinzelmännchen und leben ihr eigenes Leben – das mit seinen Konkurrenzkämpfen und Identitätskrisen dem unsrigen zum Verwechseln ähnlich sieht. Und da diese Toys auch echte Gefühle haben, sind die Menschen ihre größte Bedrohung. Im ersten Teil war es der Nachbarsjunge Sid, ein destruktiver Charakter, der seinen Zerstörungstrieb phantasievoll an den Spielsachen seines Freundes Andy ausließ.
Auch in Toy Story 2 kann sich das Spielzeug nur auf sich selbst verlassen. Denn als Cowboy Woody, schon eine der Hauptfiguren des ersten Teils, eines Tages beim Spielen beschädigt wird, reagiert sein Besitzer Andy mit kurzfristigem Liebesentzug. Auch dessen Mutter wird zur Bedrohung, schleicht sie sich doch heimlich ins Kinderzimmer und rangiert das alte Spielzeug ihres Sohnes aus. Eine erste Ahnung seiner eigenen Zukunft schleicht sich bei Woody ein, das Bewußtsein der Tragik seiner eigenen Existenz und der sklavischen Abhängigkeit von seinem Besitzer. Das Ende von dessen Kindheit wird auch das Ende des Spielzeugs sein. So wird Woody sich seiner eigenen Sterblichkeit bewußt; und Albträume zeugen von der Ahnung eines möglichen Todes in irgendeiner Flohmarktkiste.
Hat man die metaphysische Ausgangsprämisse Spielzeuge sind eigentlich auch beseelte Lebewesen einmal akzeptiert, geht somit alles im gewohnten Erzählmuster des durchschnittlichen US-Mainstream weiter. Im Grunde ist Ttoy Story 2 zumindest in der Hinsicht ein geradezu hyperrealistischer Film, als er die Wirklichkeit der Außenwelt und die Gültigkeit ihrer Wahrnehmung niemals infragestellt. Anders als in den Cyberfilmen der letzten Zeit geht es in Toy Story nicht um Sein und Schein, nicht darum, dass sich Puppen (oder Androiden) der Differenz bewußt werden, die sie von den Menschen trennt. Bewußt werden sie sich nur ihrer Abhängigkeit, in ihren inneren Erlebnissen sind sie von ihren Besitzern eigentlich ganz ununterscheidbar.
Darum durchleben sie auch – egal was passiert – keine anderen als menschliche Probleme. Als Woody auf einigen Umwegen von einem erwachsenen Spielzeugsammler gestohlen wird, wird sich die Cowboyfigur nach dem Blick in die Zukunft analog auch ihrer eigenen Geschichtlichkeit bewußt. Denn in den späten 50ern war Woody ein berühmtes Spielzeug – bis zum Sputnikschock, als mit einem Mal nur noch Weltraumspielzeug Mode war. Jetzt will der garstige Sammler das wertvolle Sammlerstück gemeinsam mit anderen Figuren in ein japanisches Museum verkaufen. Das kitzelt Woodys Narzißmus. Denn im Museum winkt auch die Überwindung des Kinderzimmertodes, das Versprechen einer sterilen Unsterblichkeit: »Und Generationen von Kindern werden Dich besuchen« erklärt ihm eine andere Figur. Zugleich sehnt sich Woody aber zurück in Andys Kinderzimmer, von wo aus sich Buzz Lightyear und andere Spielsachen bereits auf die Suche gemacht haben...
Der Showdown ist technisch furios und unterhaltsam umgesetzt. Viele Anspielungen auf andere Filme – besonders eine grandiose Parodie auf Luke Skywalkers Duell mit Darth Vader – machen den Kinderfilm auch für Erwachsene kurzweilig. Doch alle Technik kann nicht über den traditionellen Kern dieser Toy Story über die Kürze des Lebens hinwegtäuschen: keine Freiheit winkt Woody, sondern zwei unterschiedliche Formen von Gefangenschaft. Indem er seinen Loyalitätskonflikt gegen die »große« Ehre und ewige Jugend im Museum und für den sicheren Zukunfts-Tod als Knecht im Kinderzimmer entscheidet, wählt er auch Heimat statt Aufbruch, Dienst und Selbstopfer statt Selbstverwirklichung. Ein Kampf um Anerkennung findet nicht statt, die Herr-Knecht-Dialektik wird gestoppt, bevor sich richtig in Gang gesetzt war. Und die Moral der Spielfiguren bleibt eine sentimental-traditionelle wie man sie schon aus alten Capra-Filmen kennt: »Wir müssen für Andy da sein.«
Wo Matrix die Realität als Ganze bestreitet, wo American Beauty gerade die amerikanische Musterfamilie dekonstruiert und uns selbst Lasseters letzter Pixar-Film A Bugs Life auf unser eigenes großes Krabbeln in der Massengesellschaft aufmerksam machte, da unternimmt Toy Story 2 die (Wieder-)Einübung in die traditionelle Wirklichkeit.
(Eine geringfügig veränderte Fassung dieses Textes erschien auch in der Frankfurter Rundschau)