D/NL 2023 · 97 min. · FSK: ab 6 Regie: Jialing Zhang Drehbuch: Jialing Zhang Kamera: Cuier, Rcs, J.V. Chi Schnitt: Barbara Toennieshen, Claire Shen |
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Fesselnde Beschreibung des alltäglichen Lebens... | ||
(Foto: Piffl Medien) |
Unter der Herrschaft der allmächtigen kommunistischen Partei hat sich die Volksrepublik China zu einem rigiden Überwachungsstaat entwickelt. Dort dürfte inzwischen die Hälfte aller Überwachungskameras der Welt installiert sein, von denen die meisten mit hochmoderner Software zur Gesichtserkennung ausgestattet sind. Das Regime nutzt High Tech und Big Data, um durch ständige Überwachung jeden Bereich des Alltags seiner Bürger zu kontrollieren und jede Opposition im Keim zu ersticken.
Wie weit das Regime in Peking mit seinen digitalen Repressionsmaßnahmen vorangeschritten ist, verdeutlicht die Regisseurin Jialing Zhang in ihrem neuen Dokumentarfilm Total Trust. Sie hat in New York studiert und lebt in den USA. Jialing hat bereits an mehreren investigativen Dokus über ihr Heimatland als Co-Regisseurin mitgewirkt, darunter das kritische Werk Land der Einzelkinder (One Child Nation) über das umstrittene Ein-Kind-Dogma. Seitdem darf sie nicht mehr in die Volksrepublik einreisen. Ihren neuen Film konnte sie nur aus der Ferne mit Hilfe anonym bleibender mutiger Unterstützer drehen, die auch beim Hinausschmuggeln der Aufnahmen halfen.
Die emotionsgeladene Strandszene gibt gleich zu Beginn einen klaren Hinweis auf die Ausrichtung des Dokumentarfilms der Regisseurin Jialing Zhang, die in New York studiert hat und in den USA lebt. Ihr geht es weniger um die technischen Fähigkeiten des allgegenwärtigen Überwachungsstaates, sondern um die alltäglichen Folgen für Bürger, vor allem diejenigen, die das totalitäre Regime als Bedrohung betrachtet.
Ihre jüngste Arbeit verknüpft einen kenntnisreichen Überblick über die vielfältigen Überwachungsinstrumente der Behörden mit einer fesselnden Beschreibung des alltäglichen Lebens einiger Bürger und ihrer Familienangehörigen, die das totalitäre Regime als Dissidenten betrachtet. Dazu präsentiert eine alternierende Montage drei Erzählstränge um engagierte Chinesinnen und Chinesen, die sich trotz vieler Repressalien für die eigenen Menschenrechte sowie für die Freilassung inhaftierter Angehöriger und anderer Regimeopfer einsetzen.
Der erste Strang ist in Shenzhen angesiedelt, wo Zijuan Chen sich bei den Behörden unbeliebt macht, weil sie unermüdlich Petitionen an die Staatsmacht schreibt und Protestvideos veröffentlicht, in denen sie die Freilassung ihres Mannes Weiping Chang verlangt, der im Januar 2020 inhaftiert wurde. Dem engagierten Menschenrechtsanwalt wird Anstiftung zur Untergrabung der Staatsmacht vorgeworfen. Er bezeichnet sich als unschuldig und berichtet über Folterungen in Tagebuchvideos. Seit der Festnahme wartet er auf einen Prozess, darf seine Familie aber nicht sehen. Seine Frau versucht, ihren Sohn Tutu mit lebensgroßen Pappaufstellern zu trösten, auf denen Fotos aller Familienangehörigen aufgeklebt sind. Als Mutter und Sohn 2000 Kilometer mit dem Auto zum Prozessauftakt fahren, werden sie kurz davor an einer Kontrollstelle gestoppt – angeblich weil sie aus einer Corona-Hochrisikozone kommen. Den Gerichtstermin verpassen sie.
Im zweiten Strang geht es um den Menschenrechtsanwalt Quanzhang Wang, seine Frau Wenzu Li und ihren Sohn Quanquan. Während der Vater sich auch nach seiner Freilassung aus fünfjähriger Haft weiter für Menschenrechte engagiert, unterstützt sie ihn tatkräftig. Die Familie leidet darunter, dass Polizisten im Treppenhaus Überwachungskameras installiert haben. Als Wang eines Tages einer Einladung von EU-Diplomaten folgen will, blockieren die Bewacher die Wohnungstür. Der Sohn hat die jahrelange Abwesenheit des Vaters nicht gut verkraftet. Einmal berichtet Wang, dass sein Sohn ihm bei Konflikten ins Gesicht sagt: »Geh zurück ins Gefängnis!« Li wiederum ist nervlich sehr angespannt, angesichts der täglichen Herausforderungen sagt sie: »Ich brauche einen Ausweg. Der Glaube an Gott ist mein Weg nach draußen.«
Der dritte Strang schildert, wie sich die Journalistin Sophia Xueqin Huang aus Guangzhou City gegen Repressalien zur Wehr setzt. Seit sie Artikel über die Proteste in Hongkong und sexuelle Belästigung an Hochschulen geschrieben hat, wird sie systematisch überwacht. Die Journalistin beklagt den Trend zur Selbstzensur und träumt von einem Studium in Großbritannien. Als die Polizei eine Kamera gegenüber ihrem Wohnzimmer fest installiert, liest sie den Überwachern tagelang Kapitel aus George Orwells dystopischem Romanklassiker »1984« vor. Kein Zufall: Was Orwell 1949 über die erschreckende Zukunftsvision eines totalitären Staates geschrieben hat, ist in China nun offenbar schon weitgehend Realität.
Zwischen die einzelnen Episoden werden Panorama-Aufnahmen chinesischer Metropolen mit glitzernden Hochhausfassaden, riesigen Video Walls und spektakulären Feuerwerken eingeschoben, die gelegentlich als visuelle Ruhepunkte dienen. Jenseits der konkreten Fallbeschreibungen beleuchtet die Regie an vielen Beispielen, wie das Regime rücksichtslos hochmoderne Technik wie künstliche Intelligenz, Gesichtserkennung oder Stimmenanalyse erprobt und einsetzt, um die Bürger rund um die Uhr noch effektiver zu überwachen. So erfährt man aus einem Propagandavideo zum China Skynet Project, dem mutmaßlich größten Video-Überwachungsnetzwerk der Welt, dass dieses 170 Millionen Kameras nutzt. Binnen drei Jahren sollen 400 Millionen Kameras hinzukommen.
Am erschreckendsten aber ist das sogenannte Sozialkreditsystem, das jeden Bürger nach seinem Verhalten benotet. Es bietet 190 Möglichkeiten, Punkte zu erwerben, etwa durch Freiwilligenarbeit, das Denunzieren von Missetätern oder Bekundungen von Reue. Aber es enthält 1040 Wege, Punkte zu verlieren. Zum Beispiel indem man das Auto falsch parkt, den Müll nicht geordnet entsorgt oder gar Petitionen an die Behörden schreibt. Von der Zahl der Punkte hängt aber ab, ob man zum Beispiel mit der Bahn reisen darf oder die Kinder Zugang zu einer guten Schule bekommen. Indem das Programm die Bürger ermutigt, ihre Nachbarn auszuspionieren und jede vermeintliche Störung der sozialen Stabilität zu melden, schafft es ein umfassendes Netzwerk der totalen Kontrolle mit weitreichenden physischen und psychischen Folgen. Orwell lässt grüßen!
Wenn es (wenige) Anzeichen des Unmuts und des Widerstands gegen die umfassende Anpassung und damit Anlass zur Hoffnung gibt, dann kommen sie von der jungen Generation. So entlädt sich der Frust bei Tutu über die Ungerechtigkeiten, indem er einmal Überwachungskameras attackiert.