USA 2014 · 94 min. · FSK: ab 12 Regie: Daniel Benmayor Drehbuch: Leslie Bohem, Matt Johnson, Kevin Lund, T.J. Scott Kamera: Nelson Cragg Darsteller: Taylor Lautner, Marie Avgeropoulos, Adam Rayner, Rafi Gavron, Josh Yadon u.a. |
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Anarchistische Neudefinitionen von Raum |
Prekäre Verhältnisse in New York. Um seine Schulden bei der chinesischen Mafia zu bezahlen, rast Cam (Taylor Lautner) als Fahrradkurier durch die Schluchten der Großstadt. Doch all seine Versuche, wieder ein normales, schuldenfreies und unabhängiges Leben zu führen, gleichen dem Don Quijottschen Anrennen gegen Windmühlen. Erst als er Nikki (Marie Avgeropoloulos) kennenlernt, eine begnadete Parkour-Läuferin, eröffnen sich neue Alternativen, denn für Nikki und ihre Freunde ist Parkour nicht nur extremer Sport, sondern auch gesellschaftliches Abgrenzungsmodell und kriminelles Werkzeug, das durch Nikkis Freund Miller (Adam Rayner) noch eine weitere ambivalente Note erhält.
Der Spanier Daniel Benmayor versucht in seinem englischsprachigen Debütfilm Tracers vor allem über das Porträt einer amoralischen und in prekären Verhältnisse lebenden jungen Generation über die eng gesteckten Grenzen des reinen Action-Films hinaus zu gehen. Das gelingt Benmayor vor allem im ersten Drittel von Tracers immer wieder überzeugend, besonders in den fast ethnografisch-dokumentarischen Wechseln zwischen den Lebensrealitäten von Cam, seinen Wohn- und Arbeitsorten und dem Übergang von der Welt der Fahrradkuriere in die der Parkour-Läufer. Vor allem ein immer wieder filigran in den Dschungel der Großstadt eingewebter Soundtrack verstärkt diese Momente.
Bei aller sozialkritischer Färbung und einer anfangs auch vielversprechend komplex und sowieso temporeich angelegten Story wird jedoch spätestens nach der Hälfte des Films klar, dass der Spagat, den Benmayor bis dahin versucht, nicht durchgehalten wird. Stattdessen treten immerhin fulminante Symbiosen aus Parkour-Stunts und atemberaubenden Stadtperspektiven zunehmend in den Vordergrund. Der Plot verkümmert zusehends zu einem Stereotypensalat aus leidlich bekannten Genderkonzepten und einer abgestandenen Melange aus Gut und Böse.
Wie viel besser der Film eigentlich hätte sein könnte – ein Potential, das er im ersten Drittel auch aufweist – zeigt der Vergleich mit Kathryn Bigelows frühem Point Break (1991), in dem ähnliche gesellschaftliche Verwerfungen verhandelt werden und eine sehr ähnliche Geschichte erzählt wird. Die Parkour-Läufer aus Benmayors Tracers sind bei Bigelow allerdings Surfer, angeführt von dem charismatischen Bodhi (Patrick Swayze), der Miller an Ambivalenz in nichts nachsteht. Auch in Point Break muss sich das jüngste Mitglied der Gruppe erst gegenüber dem Anführer emanzipieren, um moralisch wieder Fuß zu fassen und das amoralische, weil unkontrollierte Streben nach grenzenlosen Freiheit wieder zu relativieren.
Gelingt Bigelow die Gratwanderung zwischen einer komplexer, immer wieder auch zart erzählten Geschichte und knallharter Action, verflacht Benmayors Neuerzählung dieser postmodernen Malaise trotz der faszinierenden Parkour-Variante zunehmend. Dabei hätte Benmajor gerade über die grundsätzliche Idee des Parkourlaufs Neuland beschreiten können. Denn Freiheit wird hier nicht mehr wie bei Bigelow über das Bezwingen der Natur eingefordert, sondern durch das Überwinden von Menschen geschaffener Räume, im Grunde also ein zutiefst anarchistisches Konzept, das nicht nur die technologische Moderne zu bezwingen, sondern auch eine Neufefinition von akkultiertem Raum versucht.
Interessanter als Benmajors Tracers selbst ist deshalb viel mehr, wie sehr anarchistische Konzepte in einer wirtschaftlich zunehmend anarchen Weltordnung Konjunktur haben, Widerstand ohne moralisches oder politisches Konzept auf allen Ebenen durchdekliniert wird (Wild, Il capitale umano, Blackhat). Dazu passt auch, dass ein Remake von Bigelows Gefährliche Brandung noch in diesem Jahr in die Kinos kommen wird.