Ö/D 2018 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Nikolaus Leytner Drehbuch: Nikolaus Leytner, Klaus Richter Kamera: Hermann Dunzendorfer Darsteller: Simon Morzé, Bruno Ganz, Johannes Krisch, Emma Drogunova, Karoline Eichhorn u.a. |
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Bruno Ganz als Sigmund Freud |
»Freuds Gesicht hellte sich auf. Eigentlich hatte er sich in Gegenwart sogenannter ,einfacher Leute ›immer ein wenig unbeholfen und deplatziert gefühlt. Mit diesem Franz aber verhielt es sich anders. Der Bursche blühte.‹« -Robert Seethaler, Der Trafikant
»Mein Name ist Tubutsch, Karl Tubutsch. Ich erwähne das nur deswegen, weil ich außer meinem Namen nur wenige Dinge besitze …« -Albert Ehrenstein, Tubutsch
Beim Lesen von Robert Seethalers Roman »Der Trafikant« öffnet sich unweigerlich ein ganz eigener Resonanzraum, werden Erinnerungen an eine der bizarrsten Novellen, Tubutsch, des großen Albert Ehrenstein wach und werden natürlich Erinnerungen an die großen – literarischen – Verlierer des einst großen Österreich geweckt, an Joseph Roths Carl Joseph Trotta von Sipolje oder Franz Ferdinand Trotta aus Roths Kapuzinergruft. Vor allem dieses Werk überschneidet sich auch zeitlich mit Seethalers Roman, der mit spröder Leichtigkeit den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, 1938, erzählt. Und wie es auch schon Joseph Roth gelungen ist, so versteht auch Seethaler die komplexen und düsteren Ereignisse über eine Figurenkonstellation zu erzählen, die nicht nur schichtenübergreifend ist, sondern immer wieder auch Interesse an den so wichtigen Kleinigkeiten des Alltags hat. Bei Seethalers »Trafikanten« laufen diese erzählerische Fäden vor allem in der »Trafik« zusammen, einer österreichischen Institution, eine Art »Kiosk« oder Kleingeschäft, in dem Tabakwaren, Zeitungen, Zeitschriften (auch sogenannte »Bückware«) und Schreibwaren verkauft wurden. Das Besondere daran war, dass die Lizenz für eine Trafik fast ausschließlich an Kriegsopfer oder schuldlos verarmte Beamte und deren Angehörige vergeben wurde; später wurden Menschen mit Behinderungen bevorzugt. In eine solche Trafik wird Seethalers Hauptprotagonist, der 17-jährige Franz Huchel versetzt, nachdem seine alleinerziehende Mutter ihren Liebhaber und Protegé, verloren hat. Franz lernt bei dem ehemaligen Geliebten seiner Mutter, dem im Ersten Weltkrieg versehrten Otto Trsnjek nicht nur das Geschäft des Trafikanten, sondern auch die zunehmende Politisierung des Alltags kennen und trifft dort auch auf den in der Nähe wohnenden Sigmund Freud, mit dem sich Franz – obwohl aus einer völlig anderen Schicht stammend – langsam anfreundet.
Diese Geschichte und vor allem Seethalers immer wieder mit Leerstellen operierende, schöne, aber auch zurückgenommene Sprache filmisch zu adaptieren, ist nicht einfach, doch wirft man einen Blick auf Axel Cortis und Gernot Rolls grandiose, fürs Fernsehen gedrehte Roth-Verfilmung des Radetzkymarsches, – die heute eine nahezu perfekte »Miniserie« abgeben würde – keine Unmöglichkeit.
Nach einer ersten Drehbuchfassung des kurz vor Beginn der Dreharbeiten verstorbenen Klaus Richters, die sich stark an den Roman anlehnte, entwickelte Regisseur Nikolaus Leytner mit Richter eine zweite Fassung, in der die im Roman nur angedeuteten Träume des jungen Franz eine größere Bedeutung erhalten, gleichzeitig aber versucht wurde, nah am Roman zu bleiben. Dies zeigt sich immer wieder an Dialogen, die z. T. von Seethaler direkt übernommen wurden. Damit dürfte der Film das Vertrauen der Leser von Seethalers Roman wieder befrieden, die mit der Ausstaffierung der Träume ihre Probleme bekommen dürften. Denn die poetische Auserzählung von Franzs Träumen ist nicht nur eine etwas zu starke Anbiederung an Freuds Wirkungsgebiet – und damit eine zu eindeutige Interpretation des Romans – sondern sie fallen vor allem auch filmästethisch zu sehr aus der akkuraten Kulissenlandschaft heraus, für die Leytner sich entschieden hat.
Bis in kleinste Details versucht Leytner die Zeit vor und kurz nach dem Anschluss Österreichs zu animieren, werden das Zigarrensortiment, die politisch klar definierten Tageszeitungen genauso wie die zarten Porno-Heftchen der damaligen Zeit fast schon ein wenig zu museal aufbereitet. Die Träume von Franz in ihrer modernen, betont »zeitlosen« Ästhetik hätten sich dem gegenüber besser als Dialog-Komponente ausgenommen.
Wer mit dieser schablonenartigen, an TV-Produktionen angelehnten Herangehensweise leben kann, dürfte mit Leytners filmischer Umsetzung von Seethalers Roman gut leben können. Zumal die schauspielerischen Stärken die inszenatorischen Schwächen immer wieder wettmachen. Nicht nur Simon Morzé als Franz in seiner langsamen Annäherung an Freud (Bruno Ganz), sind ein wirklicher Genuss, sondern gerade auch die mit Ensemblemitgliedern des Wiener Burgtheaters besetzten kleineren Rollen des Otto Trsnjek (Johannes Krisch) oder Franz' Mutter (Regina Fritsch) sind so stark besetzt, dass sie Seethalers »Trafikanten« in seiner filmischen Übersetzung auch gleich noch aus der Vergangenheit herausreissen. Denn gerade die hier so überzeugend illustrierte radikale Politisierung des Alltags, in denen nur noch gebrüllt, aber nicht mehr geredet wird, klingt beängstigend vertraut.
Von einem, der auszog, das Leben zu lernen: Die Mutter treibt den etwas passiven Franz (Simon Morzé) bereits mit 17 Jahren aus seinem Heimatdorf in der tiefen österreichischen Provinz hinein in die brodelnde Metropole Wien. In der österreichischen Hauptstadt soll der Bauernbub etwas Anständiges lernen. Aber die Zeiten sind schlecht, und so langt es zunächst nur für die Arbeit an einem Kiosk für Zeitungen und »Rauchwaren«. In österreichischem Deutsch heißt so ein Kiosk »Trafik«,
so erklärt sich der Titel. »Ein Trafikant verkauft Genuß und Lust« erklärt der sich väterlich kümmernde Kioskbetreiber Otto Trsnjek (Johannes Krisch) dem Jungen. Einer der illustren Kunden ist kein Geringerer als der berühmte Sigmund Freud, Vater der Psychoanalyse, der im Trafik immer seine Zigarren kauft.
Wenn auch die berufliche Karriere noch ausbleibt, so bietet Wien dafür allerlei andere Reize: Zum Beispiel die fesche Böhmin Anezka (Emma Drogunova), die als Varietétänzerin vielen
Männern den Kopf verdreht. Der schüchterne Franz weiß nicht so genau, wie er seine Angebetete für sich interessieren könnte, und auch der berühmte Doktor Freud, angeblich doch ein Experte in Fragen der Erotik und anderen tiefen Geheimnissen des Menschlichen, kann ihm da nur mit primitiven Ratschlägen helfen: »Mit den Frauen ist es wie mit den Zigarren: Wenn man zu fest an ihnen zieht, verweigern sie den Genuß.«
Um Genuß, ob Frauen oder Zigarren, geht es also. So aalglatt und süffig alles von Nikolaus Leytner inszeniert ist, so ecken- und kantenlos ist es auch gespielt. Bruno Ganz bleibt als Doktor Freud ein profaner Heiliger ohne Fehl und Tadel, trotzdem die Dialogsätze aus dem Klischeebaukasten kaum mehr zulassen, als eine Psychoanalytiker-Karikatur und ansonsten einen netten Märchenonkel, der der berühmte Nervenarzt wohl auch eher nicht gewesen ist.
Während so das sexuelle Jünglingserwachen verzögert seinen Lauf nimmt, tauchen im Hintergrund auch ein paar Hakenkreuzflaggen auf, und Schlägertypen, die mit dem Messer Jagd auf Kommunisten machen: Das steht sinnbildlich für die Zeit des Austrofaschismus und des Dollfuß-Ständestaats (1933-1938) vor dem »Anschluß« Österreichs ans Deutsche Reich vor 80 Jahren.
Die Nazis und das Böse kommen dabei immer näher. Eines Morgens steht am Fenster der »Trafik«: »Hier kauft der Jud«
und zeitgleich wird Franz endlich von Anezka erhört. Dazu träumt er viel, besonders Freudianisch-Symbolisches und Doktor Freud sagt noch ein paar kluge Sätze, bevor er ins Londoner Exil entschwindet.
Dies ist mit anderen Worten typisches, also vorhersehbares, am Reißbrett entwickeltes, allzu gediegenes Historienkino, das es sich in der Vergangenheit gemütlich macht, und hinter der Bedeutung des Stoffes versteckt, das eine mögliche – in diesem Fall antifaschistische – Botschaft aber gleich wieder durch glatte, konsumierbare und zigmal gesehene Bilder, durch Licht, wie aus der Margarinewerbung und grundsätzliche Überästhetisierung – also hart gesagt: durch »faschistische Ästhetik« – dementiert.
Faschismus als Hintergrund für Pubertätsgeschichten – das passt fast zu gut auf die Propaganda der Nazis, in der Eros und Thanatos sei jeher eng verwoben waren und man die Jugend bevorzugt mit dem Versprechen einer Befreiung aus dem Joch der Älteren zu gewinnen suchte.
Dabei ist alles natürlich ganz gegenteilig gemeint: Zugrunde liegt dem Film schließlich der gleichnamige Bestseller von Robert Seethaler, Lesestoff für die Oberstufen, weil die Zeiten scheinbar vorbei sind, als man den Schülern noch Brecht und Kästner, Frisch und Feuchtwanger zumutete und man mit den besten Absichten in den Ministerien glaubt, hier auf konsumierbare Weise fürs Dritte Reich zu interessieren. Die Marketing-Techniker des Verleihs schreiben denn auch gut gelaunt von »der turbulenten Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg« – ob das die Häftlinge in Dachau auch so gesehen haben?
Am legitimsten an diesem Film sind noch die Traumsequenzen. Denn in ihrer offenkundigen Künstlichkeit und ihrem direkten Bezug zu Freuds Traumdeutung erlauben sie immerhin auch ein anderes Verständnis des Films: Denn auch in die zunächst süßen Träume des liebesverwirrten Franz schreibt sich der Horror der allmählich nazifizierten Wirklichkeit ein. Wie, wenn dieser ganze Film ein »anderer Schauplatz« wäre – wie Freud das Unbewusste nannte –, und wir auf der Leinwand eigentlich einen Traum von Franz sehen würden? Das würde Franz' Passivität ebenso erklären wie die artifizielle Ästhetik und das Fratzenhafte der braunen Nachtgestalten.