Traumnovelle

Deutschland 2024 · 109 min. · FSK: ab 16
Regie: Florian Frerichs
Drehbuch: ,
Kamera: Konstantin Freyer
Darsteller: Nikolai Kinski, Laurine Price, Detlev Buck, Nora Islei, Bruno Eyron u.a.
Traumnovelle
Verquaste Altherrenphantasien?
(Foto: Apollo / barnsteiner)

Der unheimliche Reiz der Maske und die gefährliche Versuchung der Aufrichtigkeit

Bürgerliche Abenteuer im Berlin von heute: Florian Frerichs versetzt Arthur Schnitzlers »Traumnovelle« ins vermeintliche Sündenbabel der Hauptstadt – Gedanken zur Aktualität dieses Autors

»Harmlose und doch lauernde Fragen, verschmitzte, doppel­deu­tige Antworten wech­selten hin und her; keinem von beiden entging, dass der andere es an der letzten Aufrich­tig­keit fehlen ließ, und so fühlten sich beide zu gelinder Rache aufgelegt.« – Arthur Schnitzler

»Ich hab' heute nichts versäumt/ Denn ich hab′ nur von dir geträumt.« – Nena

Unter dem Pflaster liegt die Sünde. So stellen wir es uns jeden­falls gerne vor, das Leben in Berlin-Mitte, dem Herz der baby­lo­ni­schen Metropole, in der schwarz­grüne »Anywheres« ihr Geld verprassen, auf Kosten der ausge­beu­teten Massen.

In dieses Berlin der nicht mehr »Goldenen«, sondern »Eisernen« Zwanziger Jahre unseres 21. Jahr­hun­derts hat der Berliner Filme­ma­cher Florian Frerichs seine Adaption von Arthur Schnitz­lers Traum­no­velle verpflanzt. Im Film heißen Fridolin und Albertine nun Jacob und Amelia, wie Menschen in Berlin-Mitte eben heißen. Statt der Droschke gibt’s ein Taxi, immerhin nicht von Uber. Die Mode ist von Prada und Tom Ford.
Die Gedanken aller­dings sind auch banal geworden, so banal wie der Zeitgeist unserer Gegenwart.

+ + +

Die Musik ist von Thomas Kantelinen besonders schön und geschickt geschrieben: voller Anklänge nämlich an den Schost­a­ko­witsch-Walzer, der durch Stanley Kubricks groß­ar­tige Verfil­mung des Stoffs 1999 neue Berühmt­heit bekam.

Ohne den Verweis auf Kubricks Verfil­mung kommt man hier nicht durch, auch wenn wir Frerichs zugu­te­halten wollen, dass er etwas völlig anderes versucht. Dass er auch einer anderen Filme­ma­cher­ge­ne­ra­tion angehört, und auch sonst mit Kubrick nicht vergli­chen werden sollte. Aber die Vorlage ist zu mächtig. Sie hatte schon Kubrick fast erdrückt.

Ruth Kerry und Wolfgang Glück haben die »Traum­no­velle« 1969 auch bereits verfilmt, mit Karlheinz Böhm und Erika Pluhar. »In schwülen Farben gebadet« schrieb ein Kritiker damals. Ich konnte den Film jetzt nicht zum Vergleich sehen, und hoffe, dass das gute Gründe hat.

Frerichs Film ist aufwen­diges Kino, dem man zugu­te­halten muss, dass es komplett unab­hängig produ­ziert ist.

Das Berlin, das der Regisseur hier beschwört, ist noch eine Stadt der Träume und Albträume. Hinter den Fassaden der teils ruinösen, teils futu­ris­ti­schen Bauten verbergen sich mensch­liche Höhen und Abgründe. Die Straßen und Trassen der Stadt sind die Nerven­stränge eines post­mo­dernen Molochs, die Blut­bahnen einer zum Untergang verur­teilten Welt – vorder­gründig von betö­render Schönheit, doch innerlich schon untot.

+ + +

»Es gibt geheime Tropfen, gebraut aus einem Zauber­kraut...« – das könnten K-.o.-Tropfen sein, doch zumindest der Anfang dieses Films ist ganz unschuldig. Da liest ein Kind sich selbst in den Schlaf. Der Nacht­himmel, von dem in der Gute­nacht­ge­schichte der Novelle die Rede ist, ist hier eine Bettdecke und eine Tapete. »Süße Träume« wünscht der Vater und wird sie vor allem bald selbst bekommen. Giuseppe Verdis »Masken­ball« ist deutlich ins Bild gerückt und demas­kiert für uns von Anfang an das, worum es hier gehen wird.

Dann setzt die Frau Gattin etwas bemüht locker an: »Also wo waren wir? Ah du wolltest mir gerade verraten was dir letzte Nacht durch den Kopf ging.« Will der Gatte nicht. Sondern legt eine Schall­platte auf: »Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum« wird dann Friedrich Nietzsche zitiert. Ob Nietzsche aber das Berghain gemeint hatte? Dort oder an einem verwandten Ort wechselt die Geschichte dann hin. Amelia bekommt von einem maskierten Trottel zwei­deu­tige Angebote, Jakob wird eindeu­tiger gefragt: »Willst du ficken?« Mit zweien gleich­zeitig, die zum besseren Verwech­seln Domino und Domina heißen.
Verraten müssen wir hier nicht mehr, dass die Moder­ni­sie­rung Sprache und Stoff nicht immer in den Griff bekommt; oft genug wird hier das Poetische nur bana­li­siert.

Auch wenn dann noch einander gebeichtet wird: »Gestern in diesem Club, da... Ich weiß auch nicht..,. mögli­cher­weise... aber jetzt... Nein!«

+ + +

Das Verschmockte dieser Vorlage unter dem wie gesagt schon Kubricks Eyes Wide Shut litt, den man aber noch als Abgesang auf das 20. Jahr­hun­dert und das Werk des kurz zuvor gestor­benen Regie­meis­ters verstehen konnte, lässt sich heute erst recht nicht mehr ganz ablegen. Auch nicht, wenn man sie mit Refe­renzen ans neue Berlin über­tüncht.

Man ist gewohnt Arthur Schnitzler zu lieben und zu loben. Nichts ist scheinbar gegen ihn einzu­wenden. Wie kaum ein zweiter Schrift­steller steht Schnitzler für die Literatur des Wiener »Fin de Siècle«: Er diagnos­ti­zierte die Alpträume dieser Epoche und seiner eigenen Gene­ra­tion, ihre enttäuschten Liebes­wün­sche, die geheimen eroti­schen Phan­ta­sien und ihre in Depres­sionen mündenden Leben­sängste, deren sich bekannt­lich auch Sigmund Freud, ein Zeit­ge­nosse und Seelen­ver­wandter Schnitz­lers, allzu gern annahm. Die Nachwelt sieht den Doktor Schnitzler (auch er war nämlich ausge­bil­deter Arzt) darum gern als Doppel­gänger des Doktor Freud, der dieser Sicht­weise im Brief­wechsel mit dem Autor auch selbst Vorschub geleistet hat:
»So habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie alles das wissen, was ich in mühse­liger Arbeit an anderen Menschen aufge­deckt habe.« schrieb Freud an Schnitzler in einem Brief 1906.

+ + +

Mit Stücken wie dem lange von Schnitzler zurück­ge­hal­tenen »Reigen« oder Erzäh­lungen wie »Leutnant Gustl« und später der »Traum­no­velle«, die er 1921 nach seiner Eheschei­dung begann, aber erst ab 1925 als Fort­set­zungs­ge­schichte im Berliner Magazin »Die Dame« veröf­fent­lichte, traf der da längst zum Skand­al­li­te­raten abge­stem­pelte Erotomane Schnitzler einen Nerv insbe­son­dere beim Groß­bür­gertum.

Der junge Schnitzler war ein eminent gesell­schafts­kri­ti­scher Autor – nichts wäre falscher als ihn heute als Nost­al­giker zu verteu­feln. Aber mit dem Zusam­men­bruch der Monarchie und ihrer Gesell­schaft war ihm auch das Objekt seiner Kritik geraubt. Viele seiner Werke aus den zwanziger Jahren spielen in der Vorkriegs­zeit, so auch die »Traum­no­velle«.
Schnitzler hatte es eine Zeit lang schwer, sich gegen die nun modischen Expres­sio­nisten durch­zu­setzen. Erst als diese Mode vorüber war, fand er spät mit »Fräulein Else« (die sehr schnell, noch in den zwanziger Jahren mit Elisabeth Bergner verfilmt wurde) und der »Traum­no­velle« wieder volle Beachtung.

Aus heutiger Sicht betrachtet, waren Schnitz­lers Novellen und Thea­ter­s­tücke lange ihrer Zeit voraus – doch inzwi­schen hat manches, so scheint mir, seinen Zenit deutlich über­schritten, was ja auch dem besten Wein irgend­wann passieren kann.

Oder es hat ich noch keiner die Mühe gemacht (und es geschafft), Schnitzler wirklich zu moder­ni­sieren. Oder können wir das noch ernst nehmen, die mit allen sieben Todsünden getränkten Wiener Straßen, gesäumt von Prosti­tu­ierten, Lolitas und die Endsta­tion des Masken­balls eines Orgien feiernden Geheim­bundes?

+ + +

Kubrick besetzte die Haupt­rollen mit Tom Cruise und Nicole Kidman, die seiner­zeit auch in wirk­li­chen Leben mitein­ander verhei­ratet waren – und versetzte den Trip vom Wien der Jahr­hun­dert­wende ins moderne New York. Florian Frerichs besetzt nun Nicolai Kinski und Laurine Price, was gut funk­tio­niert, Detlev Buck, Bruno Eyron und die Neuent­de­ckung Nora Islei spielen auch mit, Sharon Brauner und Sharon Kovacs haben Gast­auf­tritte.
Ansonsten folgt der Film aber der altbe­kannten Handlung dieses Nacht­rei­gens eines Upper-Class-Ehepaars, in dem die »desperate housewife« Amelia ihrem Götter­gatten Jakob gegenüber eines Tages beginnt von ihren heim­li­chen sexuellen Träumen zu erzählen – in denen ein fremder Mann eine Rolle spielt. Für Jakob Anlass genug, das eigene sexuelle Verlangen erfor­schen zu wollen und dann doch vor allem den eigenen Skrupeln und Gewis­sens­bissen zu begegnen. Es kommt, wie es kommen muss: Die bürger­liche Fassade voller unter­drückter Sehn­süchte bricht entgegen aller Erwar­tungen nicht wie ein Karten­haus in sich zusammen – repres­sive bürger­liche Sexua­lität wie eh und je.

+ + +

Aber wahr­schein­lich hat er alles, was ihm hier so passiert, sowieso nur geträumt, selbst die Träume seiner Frau. Ein Traum in einem Traum in einem Traum.

Viel­leicht ist es trotzdem einfach so, dass die »Traum­no­velle« die über­schätz­teste Novelle des ansonsten überhaupt nicht über­schätzten Arthur Schnitzler ist. Eine Alther­ren­phan­tasie, verquast, schmierig, extrem zeit­ab­hängig und in irgend­einer Form auch barock onduliert mit diesem ganzen Masken­spiel­zeug, den verklemmten Bordell­gängen, mit der Angst eines Mannes vor der Sexua­lität seiner Frau und der gleich­zei­tigen Beschwörung der eigenen Verfüh­rungs­kraft. Das, was gut ist an diesem Stoff, es ist die Bedeutung des Traumes, das ist das Spiel mit der Psycho­ana­lyse Sigmund Freuds und der Traum­deu­tung.

Alles steht hier, bis zum mögli­cher­weise versöhn­li­chen Ende, an dem die Eheleute weise Sentenzen austau­schen, unter dem Gesetz der Zwei­deu­tig­keit.

Aber es sind die Gesetze des Erzählers Schnitzler. Das Doppel­gän­gertum mit Freud war nur Maskerade, wie das Kostüm aus Schau­er­roman und Kolpor­tage, das Schnitzler der »Traum­no­velle« über­ge­worfen hat. Wenn die Eheleute am Ende wieder zusam­men­finden, erschöpft ebenso sehr vom Erzählen der Träume wie vom Erleben des Traum­haften, traut man ihrer Versöh­nung kaum.

»Kein Traum ist völlig Traum.« sagte Arthur Schnitzler. »Und kein Film ist völlig Film« fügte Michael Althen seiner­zeit in seiner (sehr positiven) SZ-Bespre­chung der Venedig-Premiere des Kubrick-Films. Und setzte hinzu »Das ist in der Tat das Beste, was man übers Kino sagen kann.«

Wenn sich in diesem Film die Grenze zwischen Realem und Phan­ta­siertem auflöst, ist dies die glanz­volle Selbst­be­haup­tung der Kunst gegenüber der Psycho­ana­lyse. Und des Kinos gegenüber der Literatur.