USA 2015 · 130 min. · FSK: ab 12 Regie: Judd Apatow Drehbuch: Amy Schumer Kamera: Jody Lee Lipes Darsteller: Amy Schumer, Bill Hader, Brie Larson, Colin Quinn, John Cena, Tilda Swinton u.a. |
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Derbe Dekonstruktion gängiger Genderklischees |
»Ich bezeichne mich als Feministin, um Leute ins Bett zu kriegen und mir in der Bar die Widerlinge vom Hals zu halten, aber Feminismus ist keine Identität. Feminismus ist ein Prozess. Nennt euch, wir ihr wollt. Wichtig ist, wofür ihr kämpft. Fangt jetzt an.«
Laurie Penny, Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution
Das erste, alles beherrschende Gefühl, das einem in Judd Apatows neuem Film widerfährt, ist Irritation. Sitze ich hier im falschen Film? Ist Dating Queen tatsächlich von dem Regisseur, der nicht nur ein regelrecht neues Subgenre von Komödie etablierte, für Komödienklassiker wie Jungfrau (40), männlich, sucht... oder Beim ersten Mal verantwortlich ist und der mit Wie das Leben so spielt und Immer Ärger mit 40 nicht nur in die tragischen Tiefen des Komödiengeschäfts hinabblickte, sondern auch dem Thema Sequel neue Tiefen abzugewinnen verstand? All diesen Filmen ist jedoch eins gemein: der männliche Blick dominiert. Mehr noch: die weibliche, homosexuelle (und jüdische) Sicht wird konsequent persifliert. Was nicht heißen will, dass die männliche Perspektive positiver verhandelt wird. Aber in Zeiten, in denen die Forderungen nach politisch korrektem Verhalten immer differenzierter werden, fielen auch Apatows Filme konsequent in Ungnade und wurden heftig kritisiert.
Bei Dating Queen ist jedoch nichts mehr wie es (bei Apatow) einmal war. Denn Amy, Apatows Heldin, ist gewissermaßen die filmgewordene Realität von Laura Pennys feministischen Ideen. Apatow verfolgt dafür das ganz normale Leben einer Frau, die ein wenig anders ist: die nicht an die große Liebe glaubt, sondern lieber an großen Sex und die dafür bereit ist, im Leben scharfe Grenzen zu ziehen und Männer (und Frauen) immer wieder vor den Kopf stößt. Aber nicht nur Sex ist Thema, Apatow lässt sich auch Zeit für Amys Alltag als Journalistin eines Life-Style-Magazins, der letztlich auch als Aufhänger dafür benutzt wird, Amy in eine alles andere als eindeutige Liebesbeziehung zu überführen. Dies wirkt jedoch keinesfalls konstruiert, denn sowohl das Timing und Niveau der grotesken Momente, des eigentlichen komödiantischen Potentials, sind über weite Strecken stimmig und werden zusätzlich durch ein starkes Ensemble unterstützt, das nicht nur auf bewährte »Standards« wie Bill Halder (The Skeleton Twins), Brie Larson (21 Jump Street) und Tilda Swinton vertraut, sondern auch das Risiko eingeht, einen NBA-Star wie LeBron James mit einer gewichtigen Sprechrolle zu integrieren.
Amy ist jedoch nicht nur Apatows Hauptdarstellerin und dabei auch eine aberwitzige Verballhornung von Apatows bisher benutzten männlichen Stereotypen. Amy ist auch Amy Schumer, eine in den USA hochgehandelte Stand-up-Komödiantin, Produzentin und Schauspielerin, die nicht zuletzt seit ihrer legendären eigenen Show Inside Amy Schumer auf »Comedian Central« keine Randerscheinung mehr ist. Dies und Schumers tatsächlich effektiver Ansatz, feministisches Gedankengut komödiantisch wirkungsvoll und ohne didaktischen Zeigefinger zu inszenieren, mögen Apatow wohl auch bewogen haben, ihr nicht nur die Hauptrolle, sondern auch das Drehbuch überlassen zu haben. Was wiederum Schumer veranlasste, weit über ihr normales Format hinauszugehen und fast so etwas wie ihre eigene Lebensgeschichte zu erzählen.
Dating Queen wird dadurch zu einer seltsamen, gefährlichen, hybriden Mixtur: er hat die überragenden filmischen Qualitäten von bisherigen Apatow-Filmen, aber auch eine völlig überraschende und entwaffnende Bissigkeit, die auch vor peinlichen Momenten nicht zurückschreckt. Dazu gehört nicht nur Schumers gnadenlose Dekonstruktion ihrer eigenen Körperlichkeit, sondern auch die Hinterfragung selbstverständlichster Beziehungsdynamiken. Zwar ist sie damit zweifellos auf allen Ebenen angreifbar, doch wie sehr sie damit auch angreift, zeigt auf tragische Weise das Lafayette Attentat in den USA, bei dem am 23. Juli in einer Vorstellung von Dating Queen zwei Menschen erschossen worden sind. Der Attentäter, John Russell »Rusty« Houser, hatte sich explizit Apatows Film wegen seiner feministischen Ideen und den jüdischen Wurzeln von Apatow und Schumer ausgesucht.