Indien 2021 · 95 min. Regie: Renuka Shahane Drehbuch: Renuka Shahane Kamera: Baba Azmi Darsteller: Kajol, Tanvi Azmi, Mithila Palkar, Kunaal Roy Kapur, Vaibhav Tatwawadi u.a. |
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Im Schatten der eigenen Familiengeschichte... | ||
(Foto: Netflix) |
Wie sehr sich der indische Film in den letzten Jahren um die prekäre der Rolle der Frau in Indien gekümmert hat, zeigen allein schon so unterschiedliche Produktionen wie der ruhige und zärtliche, nach Sinn, Erfüllung und Authentizität suchende Sir (Die Schneiderin der Träume) von Rohena Gera oder die gerade auf Netflix gelaunchte, explosionsartige #MeToo-Serie Bombay Begums von Alankrita Shrivastava, einem wilden, wütenden und radikalen feministischen Manifest.
Dass es auch einen Weg zwischen diesen beiden Extremen gibt, zeigt das in Indien bereits im Vorfeld hoch gehandelte Familiendrama Tribhanga, das durch einen Produzenten wie Ajay Devgn, ein Kamermann-Urgestein wie Baba Azmi und nicht zuletzt durch die Besetzung einer der Hauptrollen durch die Hindi-Film-Ikone Kajol mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, als es vielleicht sonst der Fall gewesen wäre. Denn Bollywood-Schauspielerin Renuka Shahane, die hier ihr Debüt als Regisseurin und Drehbuchautorin gibt, hält Indien und besonders Mumbai einen schmerzvollen Spiegel vor.
In Anlehnung an ihre eigene Familiengeschichte erzählt Shahane in Rückblenden, Dialogen, sowie Film-im-Film-Szenen fast 50 Jahre Frauengeschichte, die ernüchternder nicht sein könnten. Sie beschränkt sich dabei jedoch auf die bildungsbürgerliche Oberschicht und entfaltet über eine von Frauen dominierte Familie ihr Anliegen. Sie führt die gefeierte Schriftstellerin Nayantara Apte (Tanvi Azmi) ein, die sich selbstbewusst immer wieder von ihren Männern trennt – zum Leid ihrer Tochter Anuradha (Kajol) und ihres Sohnes Robindoro (Vaibhav Tatwawaadi), die sich auch wegen sexuellen Missbrauchs irgendwann von der Mutter abwenden. Die Schatten ihrer dysfunktionalen Familienvergangenheit holen sie jedoch immer wieder ein, auch in Form von Anuradhas eigener Tochter Mascha (Mithila Palkar), die sich für eine Zukunft als Ehefrau in einer betont traditionellen Familie entscheidet, um das erfahrene Leid als Kind einer alleinerziehenden Mutter und bekannten Schauspielerin zu kompensieren.
Shahane beschönigt in dieser Familienaufstellung nichts, sondern entwickelt über die Erkrankung der Großmutter und ihr Koma eine gruppentherapeutische Dichte, die der eigentliche Motor von Tribhanga ist. Doch über die familiäre Introspektion hinaus interessiert Shahane auch die indische Gesellschaft und das moderne Mumbai, das trotz seines kosmopolitischen Selbstverständnisses und seiner Sprachenvielfalt (es wird neben Hindi und Englisch auch immer wieder Bombays Mahrati gesprochen) dann doch immer wieder jene rigide reglementiert, die gegen die herrschende Moral aufbegehren. Dass das nicht nur für die ärmere Bevölkerungsschicht gilt, so wie das gerade Gitanjali Rao in ihrem beeindruckenden Animationsfilm Bombay Rose gezeigt hat, sondern auch für die bildungsbürgerliche Mittel- und Oberschicht des Landes, macht Shahane nachdrücklich klar.
Sie zeigt aber auch, dass es zumindest auf familiärer Ebene möglich ist, die eigenen Traumata zu zähmen, dass sie gewissermaßen wie die verquere Tribhanga-Stellung (die der Filmtitel zitiert) in klassischen indischen Tänzen wie dem Odissi Teil des menschlichen Schicksals sind und durch »Ausübung« einen Transformationsprozess auslösen. Aus Trauma also durchaus Traum werden kann.
Dieser Gedanke wird zwar unmissverständlich deutlich, doch leider entschließt sich Kajol, deren Rolle im Film nicht nur die einer Schauspielerin, sondern auch Odissi-Tänzerin ist, nur zu äußerst fragmentarischen Andeutungen einer jener großen Odissi-Choreografien, wie sie regelmäßig in den Kulturzentren Delhis oder dem Garten von Mumbais Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya-Museum aufgeführt werden.
Tribhanga ist seit dem 15. Januar 2021 auf Netflix abfrufbar.