USA 2015 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Rupert Goold Drehbuch: Rupert Goold, David Kajganich Kamera: Masanobu Takayanagi Darsteller: Jonah Hill, James Franco, Felicity Jones, Maria Dizzia, Ethan Suplee u.a. |
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Zwei Opponenten sitzen sich gegenüber |
Dies ist eine faszinierende Geschichte: Von zwei eitlen Menschen, die sich gegenseitig benutzen, von einem Journalisten, der durch Zufall gerade im Moment der größten Schmach auf die Geschichte seines Lebens stößt, von einem Teufelspakt.
Er ist ein ziemlicher Narziss, der New Yorker Reporter-Star Michael Finkel (gespielt von Jonah Hill). Die Medienwelt liegt dem kleinen, etwas stämmigen Mann zu Füßen, so scheint es, als eines Morgens seine Geschichte auf der Titelseite des »New York Times-Magazine« prangt. Kurz darauf aber ist er seinen Traumjob und seinen bis dato guten Namen los – denn um der perfekten Story Willen hat er es mit den Fakten nicht ganz so genau genommen.
Nur seine Freundin ist glücklich über den beruflichen Absturz: Der Journalist ist am Boden. Doch dann passiert etwas, das ihn seine zweite Chance wittern lässt.
Ein Mörder wird gefangen. Er hat offenbar seine ganze Familie umgebracht, der Fall scheint klar, nur eines ist merkwürdig: Bei der Verhaftung gab der Mörder Christian Longo (gespielt von James Franco) den Namen des gefallenen Star-Reporters an. Eine merkwürdige Form von Kontaktaufnahme. Die beiden Männer treffen sich, und es beginnt ein Psychoduell und ein Machtkampf, in dem es um das Verhältnis von Fiktion und Realität geht, um ein Geflecht aus vermeintlichen Wahrheiten, offenem und unfreiwilligem Betrug.
Die beiden schließen einen Teufelspakt: Chris gewährt Michael Exklusiv-Rechte an seiner Geschichte, der bringt ihm bei zu schreiben, und gemeinsam verfassen sie ein Buch über Chris' Fall.
True Story – eine »wahre Geschichte«, im deutschen mit dem etwas auftrumpfenden Titelzusatz »Spiel um Macht« versehen, ist das Kinodebüt des britischen Theaterregisseurs Rupert Goold. Nach den vor zehn Jahren erschienenen Memoiren des Journalisten Michael Finkel erzählt er eine Geschichte um zwei sehr verschiedene, aber fast gleichrangige Figuren. Der eine ist der durch eigenes Verschulden gedemütigte, zugleich von dem Interesse des Verdächtigen geschmeichelte Journalist. Der andere ein mutmaßlicher Mörder, gebildet und manipulativ, mitunter reumütig, dann wieder leugnend, dass er seine Frau und seine drei Kinder ermordet hätte.
Auf den ersten Blick erscheint dies als eine fast symbiotische, gleichberechtigte Beziehung. Doch schnell ist klar, wer hier Herr ist, wer Knecht. James Franco, das neue Kinowunderkind Amerikas und zur Zeit der Mann für alle Fälle in Hollywood, verkörpert diesen Puppenspieler herausragend: Zärtlich, einfühlsam, scheinbar verwundbar, aber immer sehr eloquent und hart und böse, wenn es drauf ankommt. Ein prachtvoller, magnetischer Auftritt!
Michael begreift lange nicht, auf was er sich da einlässt. Zunehmend schleicht sich Chris vom Gefängnis aus in sein Leben ein, so weit, dass er sogar Michaels Freundin zu manipulieren beginnt.
So entspinnt sich ein kluges, etwas verquasseltes Psychokammerspiel um die Relativität von Wahrheit, in dem bald klar wird, dass beide Gegenspieler im jeweiligen Gegenüber etwas gefunden haben, was sie brauchen: Für ihre Zwecke, für ihr eigenes Ego, zur Erlösung von ihren Sünden.
So ist True Story vor allem ein Film über menschlichen Narzißmus.
Je länger der Film dauert, um so mehr übernimmt aber auch die Hollywood-Dramaturgie mit den ihr eigenen Zwängen das Kommando. Und so kann dieser Film über Manipulation alles in allem trotz guter Darsteller doch nicht ganz befriedigen – sondern wirkt selbst manipulativ. Der Reporter ist am Ende zweimal von der eigenen Eitelkeit verführt worden und durch die Hölle gegangen – nach soviel Strafe sollen wir Zuschauer in ihm wieder einen positiven Helden sehen. Der Mörder aber
bleibt ein Mörder. Dem Inneren dieser Person kommen wir auch nach dem Abspann nicht näher.
Dabei sind sich beide ähnlicher, als einem lieb ist. Und der reale Fall verrät viel mehr über uns und die Natur der Wahrheit, als dieser Film.
1966 richtete der exzentrische Schriftsteller Truman Capote in New York den legendären »Black and White Ball« aus, zu dem er die 500 berühmtesten Persönlichkeiten der USA einlud. Anlass war der überwältigende Erfolg seines True Crime Bestsellers »In Cold Blood«, der ein Jahr später als Kaltblütig verfilmt wurde. Die sechsjährige Entstehungsgeschichte zum Buch ist im Biopic Capote (2005) festgehalten. Für seinen Tatsachenroman interviewte der Schriftsteller die beiden Mörder der unschuldigen Farmerfamilie Clutter im Gefängnis.
Truman Capote war bereits vor dem Erscheinen von »In Cold Blood« ein gefeierter Schriftsteller. Ganz anders sah hingegen die Lage im Fall des Starjournalisten Michael Finkel aus, als der sich für sein Buch »True Story« mit dem mutmaßlichen Mörder Christian Longo traf. Der Enthüllungsreporter der New York Times war nach zahlreichen Titelstorys aufgrund einer manipulierten Reportage bei der berühmtesten Zeitung der Welt raus geflogen. In dem Interview mit Longo – der unter Anklage stand, seine Frau samt ihrer drei Kinder ermordet zu haben – witterte Finkel die Möglichkeit seiner Rehabilitierung und der Story seines Lebens.
Drehbuchautor und Regisseur Rupert Goold zeigt in True Story, seiner Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Michael Finkel, wie Longo auf seiner Flucht in Mexiko von der Polizei festgenommen wird. Dort hatte er sich ausgerechnet als der Reporter Michael Finkel ausgegeben, was den echten Finkel anschließend zu Longo führt. Der Mordverdächtige bietet dem gefallenen Pulitzerpreis-Anwärter ein Exklusivinterview an. Dafür darf Finkel jenes erst nach Abschluss der Verhandlung veröffentlichen. Außerdem soll Finkel ihm das Schreiben beibringen.
Aus dieser potentiell ungemein spannenden Ausgangslage macht Rupert Goold ein enorm konventionelles Psychodrama, das zudem durch seine große Unentschiedenheit missfällt. Am ungewöhnlichsten ist bei True Story die Wahl der beiden Hauptdarsteller. Der schon länger zum Indie-Star aufgestiegene James Franco bleibt sehr blass als der potentielle Mörder Christian Longo und ausgerechnet der Comedy-Darsteller Jonah Hill (21 Jump Street) spielt den gewitzten Starreporter Michael Finkel.
Am Ende des Filmes gibt es die für »a story based on true events« fast obligatorischen kurzen Einblendungen von Fotos des Longo und Finkel. Gewöhnlich ist dies der Moment, in dem sich zeigt, dass der Wahrheitsgehalt des Films da aufhörte, wo es um die Leinwandpräsenz der die realen Figuren verkörpernden Schauspieler ging. In der Regel sind die gewählten Schauspieler deutlich fotogener, die Frauen schöner, die Männer charismatischer. Im Falle von True Story ist dies erstaunlicherweise anders. Dort blickt den Zuschauer am Ende der echte Finkel mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und stechendem Blick entgegen, der zuvor von dem ein wenig korpulenten Buddytyp Jonah Hill verkörpert wurde.
Das soll nicht heißen, dass Hill seine Sache schlecht macht. Gerade im direkten Vergleich zu dem konstant verschlafen drein blickenden James Franco offenbart sich erneut Hills schauspielerische Klasse, die er zuvor bereits in Filmen, wie The Wolf of Wall Street (2013) bewiesen hatte. Aber zugleich strahlt Hill eine Harmlosigkeit aus, die so gar nicht zu dem extrem geltungssüchtigen und narzisstischen Finkel passt. Zudem wird der Wahrheitsgehalt der auf Finkels Perspektive basierenden »wahren Geschichte« im Film niemals thematisiert. In True Story verkürzt sich diese komplexe Ausgangslage zu der einzigen Frage, ob Longo lügt oder nicht.
Das im deutschen Titel hinzugefügte »Spiel um Macht« findet auf der Leinwand gar nicht statt. Goold verschenkt die Chance die Geschichte zu einem fintenreichen Machtspiel zweier narzisstischer Super-Egos zuzuspitzen. Stattdessen zeigt er einen viel zu gutmütig wirkenden Finkel, der sich die ganze Zeit über fragen muss, ob er nicht vielleicht doch von dem sich gleichfalls harmlos gebenden Longo an der Nase herumgeführt wird.
Erst ganz gegen Ende zeigt sich in der Weise, wie in True Story einer dem anderen ein Stichwort zuwirft und jener den Ball aufgreift, was für ein cleverer Film dies hätte werden können. – Immerhin geht die gegenseitige Faszination von Finkel und Longo im realen Leben so weit, dass die beiden nach wie vor jeden Monat miteinander sprechen...