USA 2023 · 157 min. · FSK: ab 12 Regie: Francis Lawrence Drehbuch: Michael Lesslie, Michael Arndt Kamera: Jo Willems Darsteller: Tom Blyth, Rachel Zegler, Hunter Schafer, Josh Andrés Rivera, Peter Dinklage u.a. |
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Coming-of-Age eines jungen Politikers... | ||
(Foto: Leonine) |
»Seht wie flüchtig die Zivilisation ist!« – Dr. Volumnia Gaul in Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes
Man kann sich für ein paar unbesonnene Momente schon fragen, wer das überhaupt sehen soll. 157 Minuten düsterste Dystopie, die zeigt, wie leicht das vielleicht wertvollste Gut unserer westlichen Welt, die demokratische Freiheit und die ihr zugrunde liegende Zivilisation abhandengekommen sind, ohne dass es jemand gemerkt hätte. Damit ist das Prequel zu den vier bisherigen Teilen (davon ein Zweiteiler) des Tribute von Panem Franchises noch einmal hoffnungsloser als es die erst 64 Jahre später spielenden Ereignisse sind, in denen ja gerade nicht die Hoffnungslosigkeit im Zentrum steht, sondern die Hoffnung auf einen Systemwandel, auf eine Befreiung aus dem diktatorischen Joch von Panem, in Person einer auch schauspielerisch einzigartigen Lichtgestalt, mit der – wir erinnern uns – damals von Jennifer Lawrence verkörperten Katniss Everdeen.
Diese Hoffnung ist 64 Jahre zuvor nicht einmal im Keim zu erkennen. Stattdessen zeigt Lawrence ein Panem, also das, was nach einem verheerenden Bürgerkrieg noch von Nordamerika übriggeblieben ist, das noch von Krieg und Hungersnöten und Armut gezeichnet ist und das über die gerade zum zehnten Mal stattfindenden Hungerspiele irgendwie versucht, die eigenen Wunden zu lecken und alte Traumata aufzuweichen.
Die Tribute aus den unterlegenen Distrikten sind auch hier Todgeweihte, aber es geht ihnen nicht einmal im Vorfeld der Kämpfe gut, anders als 64 Jahre später, in der eine saubere Inszenierung alles ist. Und es gibt einen alten Bekannten, der das Bindeglied zwischen Prequel und Sequel ist, Coriolanus »Coryo« Snow (Tom Blyth), der Herrscher über Panem, der in den vier früheren Filmen so großartig ambivalent von Donald Sutherland gespielt wurde. Hier ist Snow noch ein ambitionierter Niemand aus einer verarmten Oberschichtfamilie, der es mit Ehrgeiz und neuen Reformideen für die kaum mehr populären Hungerspiele zu Ruhm und Ehre bringen will, auch wenn er hier, zu Anfang, ganz eindeutig noch ein guter Mensch mit hehren Idealen ist.
Blyth spielt dieses Coming-of-Age eines jungen Politikers hervorragend aus, gerade auch, weil er durch seine Antipodin, das Tribut Lucy Gray Baird (Rachel Zegler), charakterlich eine immer wieder überraschende und glaubwürdige Entwicklung durchstehen darf. Dabei erlaubt sich der Film, der übrigens so wie die anderen Teile auf einer Romanvorlage von Suzanne Collins basiert, Anspielungen auf die tragische Vater-Sohn Dyade Luke Skywalkers und Darth Vaders – auch wenn es sich hier wohl eher um eine Großvater-Enkelin-Beziehung handeln dürfte. Und dann sind da all die Schlangen, die in dieser phobischen Intensität bislang wohl nur von Steven Spielbergs Indiana Jones durchlitten werden durften.
In Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes befinden wir uns jedoch nicht im seligen Eskapismus der 1980er Jahre, der Geburtszeit der großen Blockbuster und des absoluten Turbokapitalismus, in der der Kommunismus langsam zu wanken begann und sich der Kapitalismus als singuläres gesellschaftliches System durchsetzte, sondern wir befinden uns heute und jetzt am am Ende dieses Zeitkontinuums, in der fast alle Heilsversprechen aufgebraucht und Makulatur geworden sind. Und in dem, wie es aussieht, kaum noch einer Interesse daran hat, die freiheitliche Welt zu retten, weil die von George Bush einst ausgerufene Achse des Bösen, die nun eine Achse des Widerstands ist, nicht nur immer stärker wird, sondern sich derartig geschickt verpuppt hat, dass sie sich moralisch und parteipolitisch bei breiten Wählerschichten auch in der westlichen Welt immer souveräner durchzusetzen versteht. Man denke nur an die kürzlich veröffentlichte Umfrage der Bertelsmann-Stiftung bei westlichen Jugendlichen, nach der – abhängig vom Bildungsgrad – nur mehr zwischen 40 und 77 Prozent einem demokratisch geführten Staat zustimmen.
Die Welt in Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes entspricht in der gnadenlos zynischen und neoliberalen gesellschaftlichen Ausrichtung fast schon unheimlich dieser unserer Gegenwart. Die Distrikte sind hier wie 64 Jahre später nichts anderes als unser globaler Süden mit seinen Tributen, die in der offenen Arena unserer Welt und unter ähnlich grausamen »Kampfbedingungen« den Weg durch Wüsten und Meere nehmen, um am Ende zu den Siegern zu gehören.
In Francis Lawrence’ Prequel sehen wir den Übergang zur Zementierung dieser Zustände, könnte der hier stattgefundene Krieg nichts anderes als unsere heutige Welt der Kriege sein, nach deren Ende die Menschheit sich aus purer Angst und dümmster, verblendeter Hoffnung in eine autokratische Versklavung rettet. Wie subtil das passiert und wie unmöglich es selbst für diejenigen ist, die noch Widerstand wagen, sich nicht korrumpieren zu lassen, auch davon erzählt Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes.
Deshalb ist es natürlich nur zu wünschen, dass dieses Jugendfilm bzw. dieses Young-Adult-Format, in dem die literarischen Vorlagen ja geschrieben und vermarktet wurden, tatsächlich auch diese Zielgruppe erreicht. Denn wer, wenn nicht sie, kann noch verhindern, was längst schon passiert ist? Was ohne Zweifel eine der wohl schwierigsten Aufgaben überhaupt ist, als es ja das ist, »was wir lieben, das uns zerstört«, wie es am Ende dieses sehenswerten und der Filmreihe würdigen Prequels heißt.
Die Show muss weitergehen, die Spiele können beginnen. Das ist das Grundmotto dieses Filmuniversums, das bei uns Tribute von Panem heißt, im Rest der Welt die The Hunger Games.
Auch hier geht es los mit einer großen Show, mit den brutalen live-übertragenen Gladiatorenspielen auf Leben und Tod. Aber ums Überleben geht es gar nicht, sondern um das perfekte Spektakel.
Ein junges Mädchen wird auserwählt, als »Tribut« in den sicheren Tod zu gehen. Aber sie rührt die Kalten Herzen der Menschen an den Bildschirmen, denn sie singt: Sie ist der Singvogel im Titel Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes, also eine Ballade der Singvögel und Schlangen, und auch die Schlangen lernen wir bald kennen.
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Acht Jahre lang ruhte eines der erfolgreichsten Franchises der Lionsgate-Studio, das in der Blütezeit der Twilight-Saga mit den ganz Großen mithalten konnte. Das Drehbuch wurde wiederum von der Autorin Suzanne Collins geschrieben. Aber alle Figuren sind neu. Genaugenommen fast neu. Denn es geht um die Jugend des ambivalenten schillernden Schurken Coriolanus Snow.
Der neue Film ist also ein
Prequel und erzählt die Vorgeschichte dieser dystopischen Saga, lange bevor die bisherige Heldin Katniss alles verändern wird.
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Die »Hungerspiele« sind in dieser Vergangenheit eher eine Bestrafung als ein Spektakel. Doch aufgrund sinkender Einschaltquoten wird es bei der zehnten Auflage der Veranstaltung anders sein: Coriolanus und seine Mitschüler werden zu Mentoren der Tribute erklärt. Der Sieger hat bessere Chancen auf den Preis. Coriolanus wird als Mentor für Lucy Gray Baird ausgewählt, eine pseudoexzentrische Vagabundin aus »Distrikt 12«. Er sieht darin eine Chance, den Ruhm und Reichtum seines Familiennamens zurückzuerobern. Sie, ein Todesurteil.
So erzählt der Film vom Nullpunkt auch unserer gegenwärtigen Medienspektakelgesellschaft: Die Massaker-Spiele werden in eine Reality-Show verwandelt, in der Berühmtheit genauso wichtig ist wie körperliche Fähigkeiten. Es handelt sich um einen symbolischen Prozess, an dessen Ende das Ergebnis steht, dass es nicht mehr ausreicht, dass sich die Teilnehmer gegenseitig umbringen. Viel wichtiger ist: Sie müssen dabei ein überzeugendes Narrativ und einen überzeugenden Charakter schaffen.
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Es ist auch ein Film ohne Stars. Kein Donald Sutherland, keine Jennifer Lawrence, die vor knapp zehn Jahren in vier Teilen durch die dystopische Zukunftswelt der »Hunger Games« geführt hatte, sondern weitgehende No-Names, wie Tom Blyth, der den Kiddies von heute vielleicht aus einer HBO-Serie bekannt ist und der 22-jährige YouTube-Star Rachel Anne Zegler, die immerhin in Steven Spielbergs West-Side-Story-Remake debütierte.
Zugleich ist es wieder ein weiteres Prequel, das dem Publikum zu erklären versucht, warum ein Bösewicht zum Bösewicht wurde. Ein gefährlicher dramaturgischer Schachzug, weil es naheliegt, in Ungereimtheiten zu verfallen, und man nach irgendwelchen Begründungen sucht, nach den Traumata eines Bösewichts, der genau das eigentlich nicht sein darf. Ballad of Songbirds and Snakes verfällt in viele dramaturgische Klischees und versucht, Snow zu vermenschlichen, indem er ihm Familie, existenzielle Krisen und zwischenmenschliche Beziehungen verleiht. Aber man ertappt sich immer wieder dabei, die Stirn zu runzeln bei dem Gedanken, dass die Figur dieses hübschen Bubis zu einem Mann wird, dessen »Atem nach Blut riecht«, wie es in den Romanen heißt.
Stattdessen sollen wir Mitleid mit dem verarmten Waisenkind aus reicher Familie haben, das zum grausamen Autokraten wird: Mit dieser Entstehungsgeschichte versucht Ballad of Songbirds and Snakes wenig überzeugend, die Entstehung von Soziopathie und Korruption zu erklären. Coriolanus ist eine emotional und psychologisch unvollständige, flache Figur, die sich mit rasantem Tempo von Empathie zu Hass entwickelt.
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Dies ist definitiv wieder ein Film, der sich an Teenager und Anfang-20-jährige richtet, und der die Revolte der Jugend gegen die Erwachsenenwelt zum Thema macht und ins Zentrum setzt. Die Erwachsenenwelt ist böse und korrupt, aber natürlich auch faszinierend, man möchte dabei sein.
Nur dass auch die Medien böse sind, dürften die meisten heute Jungen nicht teilen.
Der Film stellt uns einen Helden vor, der versucht, seine Zukunft zu gestalten, nachdem er das Sicherheitsnetz seines reichen Vaters im Krieg verloren hat. Als Sohn der Herrscherschicht des Kapitols hat er immer noch den Ehrgeiz von jemandem, der alles haben kann, aber er weiß, dass er doppelt so hart kämpfen und gleichzeitig den Schein wahren muss, um nicht als minderwertig angesehen zu werden.
Seine größte Herausforderung besteht darin, die Kämpferin aus einem der ärmsten Distrikte mit den geringsten Aussichten auf den Sieg bei den Spielen zum Erfolg zu führen, also in einer medialen Aufmerksamkeitsökonomie zu siegen.
Nicht, dass sie viel Aufmerksamkeit bräuchte. Rachel Zeglers Lucy Gray ist ein Wirbelsturm, der sich sowohl die Menschen in Panem als auch uns Zuschauer fesselt. Ein wunderbarer Gegenpol zu Jennifer Lawrence’ Katniss: Sie ist frecher, aber trotzdem emotional und verletzlich.
Die Musik spielt in der Saga wieder eine große Rolle, mehr denn je dank der Country-Songs von Lucy Gray.
Visuell greift Regisseur Francis Lawrence sehr effektiv auf Elemente aus verschiedenen ikonographischen Feldern zurück: Es dominiert die Ästhetik der Sowjetunion, gemischt mit einigen faschistischen Elementen, als vertraute, abgründige Vergangenheit. Das Drehbuch wiederum amalgamiert Shakespeare-Referenzen mit jenen zu Huxley, Orwell und der Harry-Potter-Saga. Doch alles bleibt seicht, gefüllt mit übertriebenen Erwachsenen-Charakteren, wie Casca Highbottom (Peter Dinklage), dem Schöpfer der Hungerspiele, der einen mysteriösen Groll gegen Coriolanus hegt; Dr. Volumnia Gaul (Viola Davis), die leitende Direktorin der Veranstaltung, die sich ebenso mysteriös gönnerhaft gwegenüber ihm verhält; und Lucretius »Lucky« Flickerman (Jason Schwartzman), einem frustrierten Magier, der zum Meteorologen und zum Moderator der Spiele geworden ist.
In jedem Fall ist dies alles das Gegenstück zum Marvel-Universum, das vor allem eine große Computershow ist.
Der Rest sind die Bösewichter und die sogenannten Weisheiten eines bitter-philosophischen Medienuniversums: »Von Natur aus wohnt in uns allen das Gute. Wir können die Grenze zum Bösen übertreten – oder nicht.«
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Der Film hat einige starke Momente, doch leider reicht das nur dazu, zwei Drittel des Films interessant zu machen, und immer wieder gibt es größere Leerstellen in einem mit zweieinhalb Stunden eine Stunde zu langen Film.
Das ist der Preis, für einen Film, der möglichst vielen Teenies ihr Taschengeld abknöpfen will.
Letztendlich ist es Regisseur Francis Lawrence gelungen, The Hunger Games wieder aufleben zu lassen – nicht mehr und nicht weniger.