Deutschland 2016 · 81 min. · FSK: ab 12 Regie: Angela Schanelec Drehbuch: Angela Schanelec Kamera: Reinhold Vorschneider Darsteller: Miriam Jakob, Thorbjörn Björnsson, Maren Eggert, Phil Hayes, Anaïa Zapp u.a. |
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Alle verloren oder zumindest ermattet |
Ich wollte diesen Text eigentlich gar nicht schreiben. Denn meine Reaktion auf Angela Schanelecs Film Der traumhafte Weg war nach zweimaligem Ansehen Genervtheit, die durch gähnende Langeweile überdeckt und ruhig gestellt wurde. Außerdem sind mir die Beteiligten, besonders die Produzenten, aber auch die Regisseurin, und überhaupt die »Berliner Schule«, die es natürlich gibt, auch wenn das immer wieder gern geleugnet wird, sympathisch. Es werden nicht
viele Leute in den Film reingehen, wozu also mäkeln und Energie verschwenden? Und so interessant, dass man gewisse notwendige Auseinandersetzungen ausgerechnet an diesem Beispiel führen müsste, ist Der traumhafte Weg auch nicht.
Oder vielleicht doch?
Unglaublich viel Feuilletonplatz wurde jedenfalls vergangene Woche zum Filmstart auf Lobeshymnen für diesen Film verschwendet, Platz, der dann für anderes gefehlt hat, zum Beispiel den in wirklich jeder Hinsicht interessanteren und besseren diesjährigen Max-Ophühls-Gewinner Siebzehn, den ich allen hier nochmal dringend ans Herz legen will.
Und dann auch noch der Text von Dennis hier auf artechock.
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»Ein Kinofilm im emphatischen Sinne und eine Einladung, sich auf das Abenteuer des Sehens und des Nachdenkens einzulassen.« – so lobt Ulrich Kriest den neuen Film von Schanelec im letzten Satz seiner »Filmdienst«-Kritik.
Man sagt das dann immer so: »eine Einladung«, »das Abenteuer des Sehens«, »sich einlassen«... So kann man es sagen. Das
ist auch gar nicht falsch. Aber ganz richtig ist es auch nicht.
Denn das Adjektiv »einladend« ist so ziemlich das Letzte, was einem zu Schanelecs neuem Film einfällt. »Der traumhafte Weg« ist hermetisch, schwer zugänglich, und zwar, weil er sich willentlich abschottet gegenüber potentiellen Zuschauern. Denn das, was da auf der Leinwand zu sehen oder nicht zu sehen ist, das passiert Schanelec ja nicht. Sie weiß was sie tut und sie will es tun.
Sie will, das hat sie oft genug öffentlich gesagt, Sehgewohnheiten infrage stellen. Darum stellt
sich ihr Film künstlich dumm, gibt sich störrisch, schließt sich ab, zieht sich autistisch in seine eigene Welt zurück, nicht ohne die Welt der Anderen, wie das Autisten ja tun, genau wahrzunehmen. Sehr wohl aber in einem Gestus der Arroganz – der, wie jede Arroganz, natürlich sehr unterschiedliche Wurzeln haben kann, auch Unsicherheit.
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Präzise, durchdacht und sinnig findet Ulrich Kriest dann den Film, liefert aber in seinem Text auch keine Begründung dafür, was nun besonders einladend an ihm sein soll. Vielmehr sei der Film »angelegt wie ein schwebendes Mobile aus Einzeleinstellungen, die ein genaueres Hinsehen erfordern, wenn man der/den Geschichte(n), die sie (auch) erzählen, auf die Spur kommen will. ... Auch hier wirkt manches auf den ersten Blick mysteriös, fragmentarisch und isoliert, aber, wenn man die Puzzleteilchen an Informationen zusammenlegt, wird auch hier deutlich ... Wenn die Geschichten, die in 'Der traumhafte Weg' 'vorgestellt' werden, auf der Zielgeraden – nach mehr als 30 Jahren! – enggeführt werden, dann ist es das Privileg des aufmerksamen Beobachters, die Spannung dieser Engführung zu genießen.« Das liest sich wie die Beschreibung eines elitären Projekts.
Ekkehard Knörer in »Spiegel Online« hat einen ungleich härteren Ton, er hämmert und dekretiert mehr auf den Leser ein, als dass er ihm ein offenes Verständnisangebot macht: »Man muss sich dem ›Traumhaften Weg‹ überlassen, oder man lässt es.« Soso. Eigentlich schon das Ende der Debatte, denn ich finde, man »muss« erstmal gar nichts. Und in diesem Fall gehöre ich dann wohl aus Knörers Sicht zu denen, die es lassen. Ich hab ihn mir aber zweimal angesehen, nicht weil ich
muss, sondern weil ich wollte, aus Neugier, aus Interesse, ob meine erste Reaktion trog. Vielleicht trog auch die zweite, aber »man muss« (Knörer) dann auch mal hinschreiben, wie es einem geht.
Da bringt es mir dann wenig, wenn Knörer weiter dekretiert: »Das ist kein Film für Leute, die in ihren Geschichten alles erklärt haben wollen; kein Film für Leute, die sich an die Hand nehmen lassen, die Spannung suchen und Offenheit als Zumutung begreifen; auch kein Film, der in den Dialogen
verdoppelt, was man ohnehin sieht.« Nur böse Menschen kennen keine Schanelec. Soll ich mich in so einer Klischeebeschreibung wiederfinden?
»Angela Schanelec macht Filme, die einem das Sehen, das Denken, das Fühlen, das Hören nicht abnehmen. Oft wird sie angefeindet dafür.« Nein, vielleicht wird sie eher dafür angefeindet, dass sie es dem Zuschauer viel schwerer macht, als nötig, und dass aus diesen Schwierigkeiten nichts folgt. Man könnte sich mal im Arsenal die ganz tolle Retrospektive für den Argentinirer Matias Pineuro ansehen, um zu erleben, wie es auch gehen kann, das man Filme macht, die weder blöde noch konventionell sind, die zu Neugier und Denken animieren, die diese Anstrengungen dann aber belohnen, weil sie Spaß machen, und man sie gerne wiedersehen will.
Was ist das Argument für diesen Film? Gegengift gegen psychologischen Realismus lese ich bei Dennis. Auch das kann man so sehen. Nur könnte man das auch über »Willkommen bei den Hartmanns« schreiben. Außerdem bleibt halt auch ein Gegengift ein Gift, und die ins Feld geführten japanischen Filme bieten auch Psychologie und auch Erklärungen des Handelns aus der Geschichte und den Erfahrungen einer Person. Ich habe den Eindruck, da ist Terrence Malick in seinen neuen Filmen viel antipsychologischer – da sind die Charaktere tatsächlich Figuren, nicht mehr Subjekte.
Dass nichts essentiell sei, wird zu einem weiteren Argument. Hier ist die Kritik so hermetisch wie der Film, denn was heißt denn das? Und dass »Lebensentwürfe und Karrieren ... in diesem Berlin nach der Wende nur traumhafte Wege im Sinne leerer Versprechungen des städtischen und kapitalistischen Nebeneinander« seien, das glaube ich gern, das klingt auch gut, das hat nur mit diesem Film nichts zu tun, wird ihm aufgepfropft wie eine leere Behauptung.
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Peter Körte in der FAS schreibt schon in seiner Überschrift sehr schön: »Es muss beim Erzählen nicht alles erklärt werden«. Das stimmt natürlich. Die Frage ist aber: Muss irgendwas erklärt werden? Ich glaube eigentlich nicht. Ich glaube aber: Wenn man nichts erklären will, dann muss man zeigen. Mein Problem mit diesem Film ist, dass er nichts zeigt.
Aber vielleicht ist mein Problem doch ein anderes: Auch bei Körte steht dieses M-Wort: »Als Zuschauer müssen wir uns mit Zeichen,
Hinweisen, Möglichkeiten begnügen, als würden nie mehr als Bruchstücke einer Geschichte sichtbar.« Wieder müssen wir Zuschauer etwas. Warum sehnen sich alle nach der Kino-Diktatur, warum wird das »müssen« und Rohrstock-Ästhetik neuerdings als Freiheit verkauft? Seinen gleich darauf folgenden Satz glaubt Körte dann wohl selber nicht: »Und da ist vor allem auch keine allwissende Instanz im Hintergrund, die einem gezielt etwas vorenthält, um Spannung zu erzeugen.« Wohl nicht um Spannung zu
erzeugen, aber wer möchte glauben, dass Schanelec nicht mehr weiß, als der Zuschauer, und das sie, wenn sie uns Hände zeigt, statt Gesichter, das nicht gezielt macht?
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Produktiver finde ich ein anders Argument für den Film: Der traumhafte Weg fungiert dabei auch als Intervention gegenüber dem konventionellen und überdeterminierten (Fernsehspiel-)Realismus, wie er hierzulande mittlerweile auch 80 Prozent der Kinofilme zu eigen ist (Ulrich Kriest). Da ist einiges dran,
Die Frage ist bloß, ob die Intervention funktioniert und nicht nach hinten losgeht, weil sie das andere Extrem stark macht: Die
Verweigerung.
Zudem müsste man fragen, was eigentlich die Gründe für besagte Konventionen sind? Der böse Kapitalismus? Oder ein Bedürfnis der Zuschauer nach Andockmöglichkeiten.
Vielleicht ist dieses Bedürfnis falsch oder ideologisch. Aber dann ist der, der ihm widerspricht eben der Spaßverderber. Wenn man so etwas sein möchte – und Schanelec will es glaube ich – ist die Frage, wie man das macht. Mit einem Teelöffel Zucker schlucken nicht nur Kinder die bittre
Medizin lieber. Wie gesagt: Ein Teelöffel, nicht zwei Esslöffel! Schanelec setzt uns auf Entzug, und treibt uns dazu wie ein Coach morgens um sechs zum Dauerlauf in den Wald. Man muss sich halt drauf einlassen. Das würde mir auch guttun.
Würde es wahrscheinlich, will ich aber nicht. Und schon gar nicht, wenn mir andere verordnen.
Zudem darf man bei alldem Gerede über den bösen kapitalistischen Realismus nicht vergessen, dass die deutsche Fernsehästhetik mit Realismus so viel zu tun hat, wie Angela Schanelec mit Simon Verhoeven.
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Was ich mit alldem sagen möchte? Trotz allem Respekt habe ich den Eindruck, hier trösten und helfen sich die Kollegen mit Floskeln über die eigene Ratlosigkeit, das eigene Unbehagen. Das zeigt sich am Vergleich mit Robert Bresson, der sich in etwa jeder zweiten Kritik irgendwo findet. Er wurde (davon abgesehen, dass man Schanelecs Filme schon öfters mit Bresson in Beziehung gesetzt hat), diesmal von Locarno-Direktor Carlo Chatrian in die Welt gesetzt, und dann immer weiter vom einem zum anderen übernommen. Da träumen und schlafwandeln die Kritiker ähnlich wie Schanelecs Figuren, man kommt nicht an sie ran, hat aber auch keinen Grund es lange zu versuchen. »Lernen heißt hier« schrieb Dennis, »das immer Gleiche zu wiederholen und darin besser zu werden. Das zu tun, was schon die Eltern gut konnten.« Da hat er wohl etwas anderes gemeint.
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Nachdem ich Der traumhafte Weg im letzten August in Locarno im Wettbewerb gesehen hatte, schrieb ich freundlich, aber wie ich hoffe erkennbar distanziert. Es heißt in meinem Text unter anderem: »Die Regisseurin sträubt sich gegen die Konventionen des Erzählkinos, und zeigt statt Gesichtern Hände und Füße. Nunja. Muss es sein? Man hat den Eindruck, man soll hier erzogen werden, aber der Film erklärt nicht, warum. Eher geht es darum, das Denken zu
vergessen und zu akzeptieren – darum geht es allerdings auch an einer Koranschule.
Ausgereift ist dieser Film in jedem Fall, eine Zumutung ist er auch – aber dann eben letztlich doch eine produktive Zumutung für alle, die radikales, ästhetisch konsequentes, streng konstruiertes Kino schätzen. Schanelec macht No-Nonsense-Filme, macht keine Kompromisse, sondern sie zieht ihr Ding durch. Das mag im Leben unerträglich sein, für große Kunst aber ist es eine essentielle
Voraussetzung. Was im Umkehrschluss aber nicht bedeutet, dass alle Filme in diesem Stil schon automatisch große Kunst sind.«
Davon habe ich nichts zurückzunehmen.
Ob sie gut Fußball spielt, fragt die Tochter irgendwann ihren Vater. Denn als der Arzt sie fragt, kann sie es selber nicht erklären. Das heißt natürlich nicht, dass sie nicht weiß, ob sie Fußball spielt. Es gibt davon sogar ein Video auf Papas Handy. Sondern sie weiß eben nicht, auf welche Art und Weise sie spielt und wie sich das zum Spiel insgesamt verhält. Wie soll sie das auch wissen, denn sie tut es ja um der Sache Willen und nicht aufgrund von Resultaten. Die Schauspielerin Ariane ist die Mutter dieser jungen Fußballerin. Sie kommentiert später im Film, bei einem Interview am Set, dass das Schauspielen einen Menschen im Leben nicht weniger einsam macht. Natürlich ist das Schauspielen eine Möglichkeit, sich etwas zu erschließen, einen Blick in eine andere Identität zu wagen. Aber das rührt nicht an der Substanz, am Wesenskern der Menschen, die diesen Beruf ausüben – sei das Spielen nun Kunst oder nicht. Genau genommen macht Angela Schanelec irgendwie keinen Unterschied zwischen Fußballspielen und Schauspielen. Kurz darauf gibt es den zweiten Todesfall des Films. Auch hier erscheint alles als Frage von Verhältnismäßigkeiten: Allein an Gott zu glauben, das spendet noch keinen Trost. Anscheinend ist in diesem Fall die Liebe für einen Menschen ausgeblieben und er wirft sich dann eben auf die Gleise.
Schanelec zeigt wenige Figuren über eine lange Zeit Ende der Achtziger. Man sieht vier Erwachsene und zwei Kinder, ihre Wege durch Lebensentwürfe, die in Momenten immer wieder Träumen ähneln. Vielleicht sind das auch Träume, die Lebensentwürfen ähneln. Das ist hier nicht so wichtig. Denn weder die Träume noch die Lebensentwürfe sind dabei ganz und gar lebendig, weil sie dem Kino gemäß eben allesamt Bilder sind. Was sich vor einer Kamera befindet, das ist ja auch nicht automatisch zu sehen. So etwas ist immer eine Frage der Schärfe. Oft sind in Schanelecs Film in der Tat dann nur Hände und Körpermitten zu sehen. Und sie sagt selbst von ihren Filmen, dass ihre Bildrahmungen ganz automatisch denen von Bresson ähneln und dass das ewig zu Vergleichen führt. Wenn man den Kopf nicht zeigen will und trotzdem ein Bild komponiert, dann sieht das nun mal so und so aus – Bresson hin oder her. Abwegig ist der Vergleich natürlich nicht. Auch bei Bresson ist es nun eben so, dass eine Perfektion und Raffinesse im filmischen Inszenieren minimalistischer Situationen, vor allem im Umgang mit der Abwesenheit von Schauspiel vorliegt. Der Vergleich erschöpft sich also nicht in der Kameraarbeit. Und natürlich ist auch das Schauspiel allein in diesen filmischen Modellversuchen keine Antwort auf eine menschliche Verfasstheit. Vielmehr vermitteln sich in beiden Fällen verwandte Fragen nach dem Wesenskern des Menschlichen.
Dass das besonders ist, spricht schon für sich. Es gibt im Westen ja diese Obsession, das Kino und insbesondere das Schauspiel zwanghaft an psychologischem Realismus zu messen, ganz anders als etwa in Japan. Filme wie Der traumhafte Weg liefern dazu ein feines Gegengift, die Hoffnung auf eine heilsame Durchlässigkeit. Schanelec zeigt, wie Figuren erfunden und in Zusammenhänge gesetzt werden können, ohne dass zwangsläufig eine Begründung erforderlich ist. Eine Frau geht etwa von da nach dort, in einem Moment unter vielen, trägt dabei Kleidungsstück A und B. Alles hat seinen Platz und natürlich hat so ein Film eine Abfolge, die dann unweigerlich Komplexität schafft. Aber die nervtötende Schichtung von Bedeutung im Sinne von Konflikten und Spannungsdramaturgien, die darf hier hinten anstehen. Eher betont dieser Film einen Habitus und eine Kausalität als eine Geschichte, eher reiht er Hauptsätze als komplizierte Nebensätze. In einer solchen Reihe von Hauptsätzen sind alle Sätze dann selbstredend hauptsächlich und jeder Moment somit wesentlich. Für Verweise und Varianten braucht es dann keine eindeutige Grammatik der Bezugnahme, sondern bloß eine Zeitlichkeit.
Natürlich erinnern sich alle daran, dass zu Beginn des Films Griechenlands politische Situation in Europa ein Thema war. Das Politische, das spielt bestimmt auch eine Rolle für diese jungen Menschen. Das Politische macht aber, ebenso wie das durchaus artverwandte Schauspiel, nicht weniger einsam. Und das Politische lindert auch nicht Thereses Rückenschmerzen – ebenso wenig wie der Popsong, der während ihrer Physiotherapie-Sitzung zu hören ist: „You & Me“. Es gibt in diesem Film Phänomene und Motive, die aber nie mit etwas Essenziellem verwechselt werden. Wenn hier also nichts essenziell ist, was ist dann essenziell? Es entlarvt sich als eigentliches Problem, dass es in der Tat eine Essenz von Lebensenergie oder Kraft zu sein scheint, die diesen Leuten irgendwo auf dem Weg abhanden gekommen sein mag.
Ariane erkennt das und trennt sich. Die Liebe ihres Mannes hilft ihr nicht, sagt sie. Aber wo führt das hin? Und bei was hilft ihr diese Liebe nicht? Einmal hat sie eine Urwaldhose an und ein T-Shirt mit dem Sonnensystem. Kleider sind vielleicht der beiläufigste Ort für Utopien. Zu hunderten ziehen die aufgedruckten Träume in den Städten aneinander vorbei. Schanelecs Figuren spielen nichts vor, wenn sie umherstehen und mit schwachen Stimmen sprechen. Es gibt nicht einmal etwas, das vorzuspielen wäre. Weil die sich allesamt verloren haben oder zumindest ermattet sind. Die träumen ganz zweifellos von einem lebendigen Dschungel, für das Dschungelbuch wird sogar eine Scheibe im Buchladen eingeschlagen. Theres legt sich einmal im Wald mit dem Gesicht aufs Moos. In Dschungelträumen ist alles bunt und wild und intensiv. Und Träume sind hartnäckig. Aber diese Leute scheinen das Träumen nur gelernt und nicht kultiviert zu haben.
Lernen heißt hier, das immer Gleiche zu wiederholen und darin besser zu werden. Das zu tun, was schon die Eltern gut konnten. Und wenn dann zum Beispiel die zukünftige Lehrerin Theres einem Freund gegenübersteht, der Hilfe braucht, dann haut sie ab und gibt einen Scheiß. Die Lebensentwürfe und Karrieren sind in diesem Berlin nach der Wende nur traumhafte Wege im Sinne leerer Versprechungen des städtischen und kapitalistischen Nebeneinanders. Ganz nüchtern betrachtet – und exakt das tut der Film – sieht das hinter der Oberfläche alles reichlich grau aus. Konsequent sind ein weiteres Mal nur die Kinder. Ein Junge schert sich nicht um seine Lähmung und springt ins Wasser. „Da muss Spucke drauf“, sagt dann ein anderer zu seinem blutenden Knie. Und prompt wird die Wunde abgeschleckt. Der Junge mit den tauben Beinen spürt das natürlich gar nicht, ebenso wenig wie das Wasser beim Schwimmen. Aber beides funktioniert trotzdem.