Deutschland/USA 2020 · 87 min. · FSK: ab 6 Regie: Benoit Toulemonde Musik: Nils Frahm Kamera: Thomas Lallier Protagonisten: Nils Frahm |
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Nah dran an dem Nils-Frahm-Gefühl... | ||
(Foto: MUBI) |
Beim Streamingportal MUBI startet mit Tripping with Nils Frahm ein Film, mit dem man sich mal gepflegt wegbeamen kann. Sicherlich: Es hat auch etwas Schmerzliches, sich den intimen Konzertfilm anzuschauen, steht er doch für Vieles, das auf ungewisse Zeit nicht geht: Livemusik mit Publikum inklusive losgelöster menschlicher Nähe und Ekstase. Doch das Positive überwiegt, der Film markiert vielmehr ein produktives Dazwischen: er ist schmerzlich-schöne Erinnerung, vor allem aber verheißungsvoller Bote für all das, was bald wieder möglich sein wird.
Mit einem siebenköpfigen Kamera-Team hat Frahms langjähriger Freund und Filmemacher Benoît Toulemonde vier Konzertabende im Saal 1 des legendären Berliner Funkhauses gefilmt. Die Konzerte waren 2018 der Auftakt der »All Melody«-Tour, die den Wahlberliner mit insgesamt 180 ausverkauften Shows über zwei Jahre rund um den Globus brachte, von der Oper in Sydney bis zur Disney Hall in Los Angeles. Dass Brad Pitt den Konzertfilm mitproduziert hat, geht auf die Zusammenarbeit der beiden bei dem Science-Fiction Film Ad Astra zurück. Kinofreunde werden Frahms Musik sicher schon begegnet sein, auch der Soundtrack zu Sebastian Schippers Victoria stammte von ihm.
Dass der immer wieder auch Filmmusik komponierende Musiker mit Hang zu quasi filmischen neoklassischen Soundscapes, die fluide zwischen klassischen Klavierkompositionen und elektronischen Einflüssen changieren, endlich einen eigenen Film bekommt, passt. Und zwar einen, der mit großer Konzentration und in vielen Nahaufnahmen einfängt, was der sympathische Vollblutmusiker da treibt.
Wer Frahm schon mal live gesehen hat, kennt das Bild: Aufgeteilt in zwei gewaltige Kommandobrücken, zwischen denen er während des Konzerts hin und her springt, versammeln sich ein Flügel, alte Klaviere, ein Harmonium und diverse modulare Synthesizer. Einen Computer sucht man vergebens, bis auf ein Midikeyboard, mit dem Frahm eine Orgel ansteuert, die Backstage steht, ist alles analog. Man will das nicht wahrhaben, aber Frahm bedient die gesamte Apparatur alleine. In Toulemondes Film sieht man nun seinen Halbmarathon von Tasten zu Reglern und wieder zurück im Detail. Es ist ein wenig, wie einem Zauberer aus der Nähe bei der Arbeit zuzuschauen: faszinierend, ohne dass man den Trick wirklich versteht.
Konzentriert, mal in sich versunken, mal mit hellwachen Augen, geht der Mann mit der Mütze mit flinken Fingern zu Werke. Frahm ist ein Soundfetischist, immer auf der Suche nach dem perfekten Klang, für den er gegen Ende des Films im Song »Toilet Brushes« auch mal mit Klobürsten auf den Saiten seines Flügels herumtrommelt. Auf der gleichen Tour ließ Frahm beim Konzert in der Alten Oper in Frankfurt am Main kurzerhand alles im großen Saal fixieren, das während des Auftritts irgendwie hätte klappern können.
Toulemonde gelingt mit Tripping with Nils Frahm ein angenehm zurückhaltender, sich ohne Effekthascherei in den Dienst der Musik stellender Konzertfilm. Alleine in den ersten drei Stücken tun sich ganze Welten auf: in »Fundamental Values«, diesem wahnsinnigen 15-Minuten-Crescendo, schaukeln sich rhythmische Synthiepattern und ein melodisches Pianomotiv zu einem gewaltigen Soundscape hoch, das gefühlvolle »My Friend The Forest« bringt uns mit zarten Pianoklängen in einen Zauberwald, bevor »All Melody« sich in einer clubbig-treibenden Interpretation Bahn bricht. Frahm weiß sehr genau, wie er sein Publikum auf Reisen schickt, davon erzählen auch die ekstatischen Gesichter, die die Kameras in wenigen Momenten im Publikum einfangen.
Natürlich kann kein Film der Welt dieses Live-Erlebnis eins zu eins wiedergeben, weder zuhause auf dem Heimsystem, noch in dem gewaltigsten Kino dieses Planeten. Aber dennoch: Tripping with Nils Frahm ist nah dran an dem Nils-Frahm-Gefühl und macht riesige Lust auf ein neues Morgen.