USA 1999 · 123 min. · FSK: ab 6 Regie: Mike Newell Drehbuch: Glen Charles, Les Charles Kamera: Gale Tattersall Darsteller: John Cusack, Billy Bob Thornton, Cate Blanchett, Angelina Jolie u.a. |
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Die Kontrolle verloren? |
Ein Film über Air Traffic Controllers (Fluglotsen), ein Film über Kontrollverlust. Nick (John Cusack) ist einer unter diesen Typen mit dem totalen Peil, an dessen Überblick täglich das Leben tausender Menschen hängt. Nick arbeitet im Fluglotsen-Center von New York – stressiger wird dieser Job nicht mehr. Nick ist weiss, um die 30, New Yorker, obere Mittelklasse, recht glücklicher Familienvater. Das, was im Kino gemeinhin also so als Abbild der Normalität gilt, als
Stellvertreter für uns ZuschauerInnen. Und Nick hält sich für den besten in seinem Job.
Dann kommt der neue Kollege Russell (Billy Bob Thornton): Ein »Halbblut«, älter, Südstaatler vom Land, eher Unterschicht, kinderlos.
Und plötzlich zieht Nick beim Schwanzvergleich den Kürzeren. Russell kann alles besser: Singen, Basketball, Flugzeuge lotsen; und seine Frau (Angelina Jolie) ist auch noch attraktiver als Mrs. Nick (Cate Blanchett).
Es geht in Pushing
Tin – wie es kaum anders gehen kann – dann darum, wie die große weisse Hoffnung Nick und dessen Ehe von diesen Anfechtungen des »Anderen« in die Krise gestürzt wird. Und diese überwindet. Wer hätte das gedacht...
Wenn Pushing Tin ein fundamentales Problem hat, dann das, zu kontrolliert zu sein. Welchen Aspekt des Filmes man auch betrachtet: Grundsolides Handwerk allüberall.
Das ist, verstehen wir uns nicht falsch, keinesfalls wenig. Einen so gleichsam unsichtbaren Stil wie Regiesseur Mike Newell (Four Weddings and a Funeral, Donnie Brasco) an den Tag zu legen ohne dabei zu langweilen will auch gekonnt sein. Das Buch der Gebrüder Charles ist eines dieser Musterbeispiele aus den »Wie schreibe ich ein Drehbuch?«-Kursen – bestens erfülltes Schema F plus einige gute Gags. Das Schauspieler-Ensemble überzeugt durch die Bank, und besonders Billy Bob Thornton (der es irgendwie schafft, gut einen Kopf kleiner zu wirken als in seinen anderen Filmen) schaut man mit Freude
zu.
Aber es ist letzlich auch nicht viel: In allen Belangen ist stets Schluss, bevor es droht wirklich interessant zu werden. Die Macher hätten sich ein Beispiel an ihren Filmfigur nehmen sollen – Russell spielt mit hohem Einsatz und ist bereit, den Preis zu zahlen. Regie und Buch aber gehen in Pushing Tin immer auf Nummer sicher. Vielleicht, weil Glen und Les Charles ihr Handwerk beim Fernsehen gelernt haben (von ihnen stammen die legendären Serien
Cheers und Taxi), wo kein Konflikt bedrohliche Ausmaße annehmen darf und alles am Ende wieder supersauber in den alten Bahnen laufen muss. Vielleicht, weil Mike Newell noch nie ein cineastischer Hassardeur war.
So kann man sich von Minute eins an in der Sicherheit wiegen, dass es in diesem Film nie ans Eingemachte geht. Dass alle Flugzeuge sicher landen werden, ohne dass mehr als ein verschüttetes Erfrischungsgetränk in der Touristenklasse zu beklagen wäre.
Dass der weisse, urbane Mittelstand wiedergeboren obsiegt und sich alles Andere brav von selbst in die Wälder zurückzieht – nicht, ohne ein wenig bei der Selbstfindung mitgeholfen zu haben.
Und so erinnert Pushing Tin letzlich an einen dieser Bord-Filme beim Langstreckenflug: Kino auf Autopilot, das die Zeit verfliegen lässt, Kino schaumgebremst, aus dem alles entfernt wurde, was Unvorbereitete stören könnte. Kino, das beschwichtigt und kaum mehr bringt als cineastische »Miles & more.«
Vor kurzem startete unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit (in der ersten Wochen mit weniger als 30.000 Zuschauern) der Film Turbulenzen und andere Katastrophen. Da man mittlerweile schon daran gewöhnt ist, dass gute Filme in zu wenigen Kinos starten und kaum beworben werden, hätte man sich auch in diesem Fall nicht weiter darüber gewundert, wenn der Regisseur dieses Films nicht Mike Newell wäre.
In der spärlichen Werbung zu Turbulenzen und andere Katastrophen stand dann auch erwartungsgemäß der magische Satz »Von dem Regisseur von Vier Hochzeiten und ein Todesfall« und trotzdem half es nicht, die Masse der Kinobesucher auf den Film aufmerksam zu machen. Andererseits verwundert die Wirkungslosigkeit dieses Werbearguments auch wieder nicht, da Mike
Newell in den letzten Jahren alles andere getan hat, als das Image des »Machers von Vier Hochzeiten und ein Todesfall« zu bedienen.
Obwohl die ganze Welt von Newell damals weitere britische Romantikkomödien erwartete, wollte er (irgendwo auch verständlich) nichts mehr damit zu tun haben. Spätestens nach dem großartigen und sperrigen Donnie Brasco dürfte dann auch der letzte Vier Hochzeiten und ein Todesfall-Fan von ihm abgelassen haben. Es ist fraglich, ob Newell bei der Fortsetzung des Erfolges von Vier Hochzeiten und ein Todesfall durch Notting Hill nicht mitmachen wollte oder durfte. Nachdem man Turbulenzen und andere Katastrophen gesehen hat, drängt sich die erste Variante auf.
Denn Turbulenzen und andere Katastrophen ist ziemlich genau das Gegenteil von einem Film wie Notting Hill. Hier sind die Protagonisten eben nicht nur nett, schrullig und liebenswert. Hier ist die Handlung kein verklärtes modernes Märchen der Gebrüder Grimm, sondern eine neue Variante des klassischen Motivs vom mysteriösen Doppelgängers wie bei Poe. Hier ist der Humor nicht korrekt, brav und positiv sondern bitterböse und sarkastisch. Hier springen einem die Witze nicht direkt ins Gesicht, sondern werde mit einer gekonnten Beiläufigkeit eingebaut.
Ungewöhnlich ist alleine schon die Handlung des Films.
Der Fluglotse Nick Falzone (John Cusack) ist der Beste. Egal was er macht, er ist darin unschlagbar. Er dirigiert die Flugzeuge im überfüllten New Yorker Luftraum wie kein Zweiter, hält Basketballrekorde auf Grillpartys, fährt Auto wie ein Rennfahrer und seine Frau (Cate Blanchett) ist die schönste unter den Gattinnen der Fluglotsen. Doch dann taucht plötzlich der mysteriöse Russell Bell (Billy Bob Thornton) auf und Nick ist
nur noch die Nummer Zwei. Der stoische Russell schlägt ihn auf jedem Gebiet. Er ist der bessere Fluglotse, überbietet den Basketballrekord, singt in Nicks Lieblingsrestaurant schnulzige Lieder und seine Frau Mary (Angelina Jolie) ist eine verführerische Sexbombe.
Was immer Nick versucht, um seinen Ruf als der Beste, Coolste, Verwegenste zurück zu gewinnen, immer ist Russell wie bei der Geschichte vom Hasen und vom Igel schon da und erntet die Lorbeeren. Als Nick durch einen
Seitensprung mit Mary die Kampfzone auf den familiären bzw. emotionellen Bereich ausweitet, muss er zwangsläufig dabei verlieren.
Die Geschichte vom geheimnisvollen Fremden, der über einen erfolgreichen Menschen wie ein Fluch hereinbricht, erinnert immer wieder an Erzählungen der romantischen Literatur. Am Schluß stellt sich bei solchen Geschichten meist heraus, dass der mysteriöse Doppelgänger, der das Leben der Hauptfigur so ruiniert hat, nichts anderes war, als der (oft schizophrene) Kampf mit dem eigenen, übergroßen Ego. So sollte man auch Turbulenzen und andere Katastrophen
verstehen.
Der selbstbewußte Nick scheitert eben vor allem an seinem eigenen Egoismus und Mißtrauen. Die Misere, in der er am Schluß steckt, hat er sich eindeutig selber zuzuschreiben. Da in Amerika sonst eigentlich die Meinung vorherrscht, dass am eigenen Elend immer jemand anderer schuld ist, erstaunt diese Botschaft um so mehr.
Diese kontinuierliche Talfahrt des überheblichen Fluglotsen Nick inszeniert Newell zum Glück nicht mit gnadenloser Ernsthaftigkeit. Immer wieder schafft der Humor ein passendes Gegengewicht und die souveräne Regie in Verbindung mit dem wunderbaren Spiel der Darsteller bewahrt die Charaktere davor zur Witzfigur zu verkommen.
Sollte Mike Newell die Regie bei dem voraussehbar erfolgreichen Notting Hill tatsächlich freiwillig abgelehnt haben, um statt dessen Turbulenzen und andere Katastrophen zu machen, dann hat er künstlerisch auf jeden Fall die bessere Wahl getroffen und verdient dafür einigen Respekt. Dass die Masse der Zuschauer das wieder einmal nicht zu würdigen weiß, ist nicht neu, aber immer wieder deprimierend.