USA/D 2004 · 97 min. · FSK: ab 12 Regie: Philip Kaufman Drehbuch: Sarah Thorp Kamera: Peter Deming Darsteller: Ashley Judd, Samuel L. Jackson, Andy Garcia, David Strathairn u.a. |
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Schlampe oder Tough Girl? |
Über der Golden Gate Bridge hebt sich der Nebel. In langsamen Bewegungen streift die Kamera über San Francisco, liefert kurze Impressionen, dazu spielt ein melancholisches Saxophon etwas altmodischen Jazz. Irgendwann kommen ihre Augen ins Bild. Und man weiß sofort, dass es Ashley Judds Augen sind. Beim dritten oder vierten Mal, wenn sie ins Bild kommen, spiegeln sich in ihnen unheilschwanger schwarze Vögel.
Ein eleganter Auftakt zu einem Film, der in seiner Grundkonstellation manches verspricht: Ashley Judd in einer Hauptrolle als Jessica Shepherd, eine Polizistin, die nach dem Wechsel zur Mordkommission mit ihrem neuen Partner (unterfordert: Andy Garcia) gleich durch den ersten Fall, einen Serienmord, mit ihren eigenen inneren Abgründen konfrontiert wird. Denn schnell ist klar: Sie kannte die Opfer; die selbstbewusste, allein lebende junge Frau, die sich gern öfters aus einer Szenebar einen Kerl für harten Sex ins Bett holt, hatte mit jedem von ihnen ein Verhältnis – offenkundig haben die Morde also auf die eine oder andere Weise mit ihr zu tun. Und offenbar wird sie beobachtet. Schon zuvor hatte man Jessica kennengelernt: Schnell, scharf, eine Spur zu aggressiv, und etwas zu trinkfreudig. Zudem erfährt man bei der routinemäßigen Sitzung mit dem Polizeipsychologen, dass sie ihre Eltern früh verloren hat; der Vater, auch ein Polizist, tötete mehrere Menschen, zuletzt ihre Mutter und sich selbst. Sein damaliger Kollege John Mills ist ihr jetziger Chef und »Ersatzvater«.
So klischeebeladen die Grundkonstellation, so weit hergeholt dieser Plot auch sein mag – es hätte trotzdem etwas werden können mit dem neuen Film von Routinier Philip Kaufmann. Schließlich ist die Geschichte vom Girl in der Männerwelt, speziell der Frauen-Polizeifilm auch 15 Jahre nach Kathryn Bigelows Blue Steel immer noch ein Ansatz, der einfallsreichen Regisseuren und Drehbuchautoren viele Chancen eröffnen könnte.
Und mit Ashley Judd hat Twisted eine Hauptdarstellerin, die zu den allerbesten Schauspielerinnen des US-Films gehört. Judd, deren Potential nach wie vor unterschätzt wird, kann genauso gut eiskalte Killerinnen spielen, wie verletzliche, weiche Figuren, positive femmes fatales, wie verbitterte Ehegattinnen. In einem ihrer besten Auftritte, Stephan Elliotts Eye of the Beholder verbindet sie alles dies. Immer, auch diesmal haben die Figuren dieser hochinteressanten Darstellerin etwas Schillerndes, Zweideutiges, Hartes, stehen abseitig von den üblichen Hollywood-Frauenrollen. Dabei wirkt sie oft fast zu selbstbewusst. Und vielleicht aus diesem Grund hat sie nicht den eindeutigen, klaren Erfolg gehabt, den sie verdiente, wurde verfehmt, über Gebühr mit ihren Rollen identifiziert. Auch darin ist Ashley Judd eine der wenigen würdigen Nachfolgerinnen von Barbara Stanwyck.
Was den Stoff schließlich überdies ins Prinzipielle hebt, ist die Frage, wie diesmal das Kino mit – aus klassisch, hollywood-puritanischer Sichtweise – »sündigem« Verhalten umgeht. Denn wie erwähnt: Jessica ist eine durch und durch emanzipierte Frau mit liberaler, wo nicht freizügiger Lebensweise: Sie ist nicht nur ein berufstätiger Whorkaholic mit herrisch-arrogantem, ein bisschen zu eingebildetem Auftreten, sie trinkt auch gern mal einen über den Durst, und schläft mit vielen wildfremden Männern. Mag ein solches Verhalten auch für nahezu jeden männlichen Film-Cop nach wie vor Ehrensache sein – einer Frau lässt man das in Hollywood nicht durchgehen.
Auch Twisted belegt diese Regel. Denn Jessica darf im Film mit ihrem Leben nicht glücklich sein. Mal hat sie Alpträume. Mal sieht man sie alte Fotos betrachten, weinen, »Ich vermisse Dich Mami«. Mal erkennt man, dass sie sich selbst und ihren Therapeuten belügt. Was bei einem Mann »gesunder Ehrgeiz« wäre, wird bei dieser Figur ins Angespannte und Hysterische übersteigert. Und ihr – vielleicht gar nicht untypisch männliches – Verhalten, das sich in Durchsetzungskämpfen mit Rivalen, Prestigedenken, und reger Konfliktbereitschaft äußert, thematisiert der Film flugs als »Agressionsproblem«, das einer Therapie bedarf.
Der Subtext ist klar: Die zu selbstbewusste, zu freizügig lebende Frau soll ihre Hybris ablegen und Demut lernen, überdies weniger trinken und sich einen festen Partner suchen. Wer das nicht tut, ist krank. Dass es am Schluß der größte Moralapostel ist, der als Täter entlarvt wird, lässt diese Angst vor sexuell unabhängigen und aktiven Frauen zwar als pathologisch erscheinen, wendet die prinzipiell altbackene Botschaft aber nicht mehr in ihr Gegenteil.
Nebenbei hat der Polizeitherapeut in diesem Film einmal mehr die abgedroschene Funktion, Dinge auszusprechen, die ein guter Regisseur ungesagt ließe und durch das Spiel seiner Darsteller und treffende Bilder zeigen würde. Und am Ende tritt wieder einmal ein »talking killer« auf den Plan, um den Rest der kruden Handlung aufzudröseln – zumindest für diejenigen Zuschauer, die zwischendurch ein Nickerchen eingelegt haben.
Das Ergebnis der guten Ansätze ist also in diesem Fall alles andere, als befriedigend. Twisted will ein moderner Noir-Thriller sein, und belässt es doch bei wenigen schönen Bildern. Der Rest ist eine merkwürdige Melange aus altbackenen Ideen, unaufgelösten Subplots, verschwindenden Figuren und unterforderten Darstellern.