Frankreich/D 2003 · 119 min. · FSK: ab 18 Regie: Bruno Dumont Drehbuch: Bruno Dumont Kamera: Georges Lechaptois Darsteller: Katia Golubeva, David Wissak |
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Anatomie einer Paarbeziehung |
Was die Handlung betrifft, wäre Bruno Dumonts Film Twentynine Palms schnell erzählt: David und Katja verbringen ein paar Tage in dem kalifornischen Ort Twentynine Palms. Die beiden fahren dort mit ihrem Hummer-Utility-Vehicle viel in der Gegend herum, um irgendwelche nicht näher bezeichneten locations auszukundschaften, ein Auftrag, von dem David ganz zu Anfang des Films bei einem Handytelefonat spricht. Die Interaktion zwischen dem Paar ist geprägt von banalen Kommunikationsschwierigkeiten, die auch den zwischen beiden bestehenden Sprachbarrieren geschuldet sind: Sie unterhalten sich meist in dem beiden nicht als Muttersprache geläufigen Französisch, Katja, gespielt von der Sharunas-Bartas-Actrice Katerina Golubeva, hat einen starken slawischen, David (David Wissak) einen amerikanischen Akzent. Er wiederum greift öfter auch auf seine Muttersprache zurück, die Katja aber nicht besonders gut versteht, geschweige denn selbst beherrscht. So kommt es immer wieder zu alltäglichen Mißverständnissen und Reibereien, etwa wegen des zerkratzten Lacks des Fahrzeugs, wenn Katja am Steuer diesen ins Gestrüpp lenkt, oder wegen eines von David angefahrenen Hundes. Nur beim leidenschaftlichen Sex scheinen sie sich am besten zu verstehen. Der nicht ungetrübten Romanze der beiden setzt dann die von außen einbrechende willkürlich erscheinende Gewalt am Schluß des Films ein brutales Ende.
Der Film wäre nicht weiter der Rede wert, reduzierte er sich auf diesen Plot. Aber so einfach, wie sie scheinen, verhalten sich die Dinge bei Bruno Dumont natürlich nicht. Denn mehr als daß er die skizzierte rudimentäre Handlung als Geschichte entwickelte, schildert der Film eine Situation, einen Zustand, in dem das Anekdotische so gut wie keine Rolle spielt. Bruno Dumonts Anatomie einer Paarbeziehung mit ihren männlichen und weiblichen stereotypen Verhaltensweisen –
man kann sich dabei durchaus an Michelangelo Antonionis sezierende Existenzanalysen erinnert fühlen – eignet etwas Modellhaftes, manchmal wirkt es, als unterziehe der Drehbuchautor und Regisseur Dumont die beiden Figuren einer besonderen Prüfung, als setze er sie (und auch den Zuschauer) gewissermaßen einer Grenzsituation, ja einer Grenzerfahrung aus. Die experimentelle Anordnung der menschlichen Geworfenheit schimmert dabei gelegentlich schon zu exemplarisch
durch. Aber gerade Katerina Golubewa vermag mit ihrer charakteristischen Mischung aus zickiger Nervigkeit und psychologischer Unergründlichkeit die Parabelhaftigkeit immer wieder ins irritierend Konkrete und Körperliche zurückzuholen. Mit dieser Art Rollen hat sie ja auch schon genügend Erfahrung, man denke vor allem an den äußerst enigmatischen Film Few of Us (1996) von
Sharunas Bartas, in dem Katerina Golubeva mit dem Hubschrauber in einer unwirtlichen russischen Steppenlandschaft in Sibirien buchstäblich ab- und ausgesetzt wird.
Sowohl mit der Dauer als auch mit dem Format der Einstellungen in Twentynine Palms gibt Dumont ein Raum- und Zeitmaß vor, das den Eindruck von der Ausgesetztheit seiner Protagonisten verstärkt. Lange Einstellungen vom fahrenden Auto aus oder eines schier endlosen Frachtzugs schaffen einen
überformenden Rhythmus, der einen beharrlichen Gang der Dinge etabliert. Insbesondere die im von Dumont eingesetzten Scope-Format großartig zur Geltung kommende Wüstenlandschaft spielt in diesem Film eine maßgebliche Rolle, und zwar im wörtlichen Sinne, sie gibt das Maß vor, innerhalb dessen sich die Menschen auch optisch behaupten müssenoft genug vergeblich. Meist muß man sie in den Totalen erst suchen. Bestenfalls fügen sie sich in die karge Landschaft ein wie in jener
faszinierenden Folge von Einstellungen, in denen sie sich mit ihren nackten Leibern ornamentartig einpassen in eine Konstellation von Felsen, die wie Skulpturen von Brancusi geformt sind. Die Erhabenheit der Natur hat dabei nichts Erhebendes, sondern eher etwas Erdrückendes, und wenn sich die menschlichen Körper hier der mineralischen Welt anpassen, dann um den Preis der vorübergehenden Aufgabe des organischen Lebens. Es wirkt fast so, als würde damit veranschaulicht,
welch ein geringes Einschiebsel in die Erdgeschichte der Mensch ist, deren Äonen sich in anderen Dimensionen als der menschlichen Zeit bemessen.
Als Gegenmittel der Selbstvergewisserung inmitten des überwältigenden äußeren Raums dient die leidenschaftlich ausagierte Sexualität bei Katia und David. Wobei auch hier wiederum die Entladung der animalischen Instinkte eher in ein Überwältigtwerden umschlägt. Wie auch in früheren Filmen Dumonts äußert sich in den Sexszenen eine
unterirdische Verbindung von Gewalt und Sexualität, wobei in der Inszenierung auch subtil mit Momenten des Horrorfilms gespielt wird, vor allem in den Szenen am gespenstisch verwaisten Pool des Motels direkt an der Straße.
Natürlich bereitet sich in den animalischen Zügen der Leidenschaft auch die Bestialität der Gewalteruption am Ende vor, und es ist nicht ganz klar, inwieweit Dumont hier eine ursächliche oder notwendige Wechselwirkung oder gar einen erbsündeartigen
Schuld- oder Verfehlungszusammenhang suggeriert, eine Deutung, die man nicht ganz ausschließen kann bei einem Regisseur, der sich schon auf Robert Bresson berufen hat; wobei Dumont allerdings nicht wie Bresson eine gottferne, sondern eine gottlose Welt zeigt, in der David das Wort »miracle« bezüglich der Autolackpolitur gebraucht, als er zu seiner Freude feststellt, daß er damit die Kratzer wieder beheben kann. Und ob die bedingungslose Hingabe, mit der sich Katia und David
einander beim Sex ausliefern, als Erlösungsbedürfnis aufgefaßt werden kann, muß ebenfalls dahingestellt bleiben. Eher könnte man sagen, daß eine Verzweiflung zum Ausdruck kommt, über das Körperliche hinauszugelangen, mit dem Physischen das Physische gewissermaßen zum Meta-Physischen hin durchstoßen zu wollen. Was der Film als Ergebnis kühl registriert, wäre dann ein elementares Scheitern dieses Versuchs. Inwiefern Dumonts eigene Filmkunst betroffen ist von der Aporie, für den
Ausdruck eines jenseits des Physischen Liegenden auf das Medium des Physischen angewiesen, ja zurückgeworfen zu sein, darüber läßt sich nur spekulieren. Daß er, der für sich das Programm eines rein physischen Kinos in Anspruch nimmt, hier sich von einem latenten Selbstwiderspruch affiziert zeigte, dafür gibt es kein Indiz. Zu sehr steht er scheinbar als kalter Demiurg und Techniker der Verzweiflung über der Welt seiner ausgelieferten Figuren.
Und irgendwie mutet es bei der behaupteten Theorieeliminierung fast schon als hintertriebener Witz an, wenn er Katia beim Sex kurz vorm Höhepunkt die Worte encore, encore in den Mund legt, jenes Wort, das Jacques Lacan als Titel sprachspielerisch über sein berühmt-berüchtigtes XX. Seminar zur weiblichen Sexualität gesetzt hat. Wobei man dem raffinierten Dumont bescheinigen kann, daß Lacans Wortspiel durch den russischen Akzent besonders gut zur Geltung kommt bzw. im Situationskontext umakzentuiert wird: Vielleicht meint Katia gar nicht wirklich »encore« im Sinne von noch mehr (wie die Untertitel nahelegen), sondern tatsächlich das buchstäblich zu verstehende »en corps« (im Körper), wenn sie auf Davids Frage antwortet, ob sie ihn spüren könne.