Österreich 2000 · 84 min. · FSK: - Regie: Florian Flicker Drehbuch: Florian Flicker, Susanne Freund Kamera: Helmut Pirnat Darsteller: Roland Düringer, Josef Hader, Joachim Bissmeier, Birgit Doll u.a. |
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Josef Hader bei Schnee, im Fasching, in Wien |
Die Filmgeschichte ist wahrlich nicht arm an missglückten Raubüberfällen, doch nur in Österreich und speziell in Wien, wird aus einem solch fehlgeschlagenem Verbrechen ein schräges Kammerspiel über die Grundsätze des menschlichen Versagens.
Andi Berger (Roland Düringer) ist so ein Versager. Arbeitslos und ohne Geld schläft er bei seiner Schwester auf dem Sofa (zum Missfallen seines Schwagers), ist von seiner Frau und seinem Sohn getrennt und muss bis zum Abend 10.000
Schilling ausstehende Alimente auftreiben. Er fasst diese unrühmliche Situation in die alles sagenden Worten: »Des is ois Oasch!«
Als einziger Ausweg bleibt ihm scheinbar nur ein Raubüberfall.
Doch das ist leichter gesagt (bzw. gedacht) als getan, weshalb er angesichts der mürrischen Supermarktkassiererin nur eines tun kann: versagen. Er flüchtet vom Ort seines nicht begangenen Verbrechens und rettet sich in das Bekleidungsgeschäft von Hr. Böckl (Joachim Bißmeier), dem nächsten Versager. Dessen Geschäft läuft schlecht, auf der Bank hat er Schulden, Schicksalsschläge haben ihn verbittert und Liebe suchte er nicht mehr bei seiner Ehefrau, sondern Damen, die sich dafür bezahlen lassen.
Eigentlich will sich Berger nur kurz im Laden verstecken, doch ein Wort gibt das andere und als Böckl nichtsahnend die ironische Frage stellt: »Oder soll das ein Überfall sein?«, da kommt dem Amateurgangster die vermeintlich geniale Idee: »Joh, genau! Des is a Überfoi!« Aus dem Überfall wird mangels Beute schnell eine Geiselnahme, die sich schwieriger als erwartet gestaltet, denn Hr. Böckl ist nicht allein in seinem Laden. Auftritt Versager Nr. 3, Werner Kopper, gespielt von Josef Hader, der im Darstellen von unsympathischen Spießbürgern eine regelrechte Meisterschaft erreicht hat. Hr. Kopper ist noch keine 40 Jahre alt aber schon vom Postinnendienst frühpensioniert, hatte dafür noch nie etwas mit einer Frau, wohnt noch bei seiner Mutter, vertreibt sich am liebsten die Zeit in der Werkstatt von Hr. Böckl – wovon der gar nicht begeistert ist – und leidet an unzähligen Krankheiten, über die er gerne in aller Ausführlichkeit redet.
Wie könnte es anders sein, die ganze Sache entwickelt sich für Berger zu einem wahren Alptraum. Die eine Geisel rebellisch und trotzig bis hin zu Handgreiflichkeiten, die andere Geisel eine hypochondrische Nervensäge, nirgendwo Geld dafür überall Polizei und überhaupt muss er auch noch seinen Sohn pünktlich vom Kindergarten abholen. Der Berger hat es wieder geschafft, er hat versagt bzw. einmal mehr »Ois Oasch!«
Dass er als Geiselnehmer ein Dilettant ist, fällt nicht weiter ins
Gewicht, da seine Geisel in ihrer Rolle auch nicht besser sind. Immerhin entwickelt der eingebildete Kranke Hr. Kopper neben seiner Angina Pectoris bald ein weiteres, für solche Situationen typisches Leiden: das Stockholm Syndrom. Doch diese Solidarisierung ist dem Berger kaum hilfreich und am Schluß bekommt Hr. Kopper die Rechnung für seinen Opportunismus präsentiert. Bis es aber so weit ist, machen sich die drei das Leben zur Hölle. Man stichelt, spottet, verrät intime Geheimnisse
des anderen, streut Salz in seelische Wunden und wenn das alles nicht mehr reicht, dann greift man zur Pistole oder einer Holzlatte.
Was ist das nun? Eine Komödie? Ein Tragödie? Eine Tragikkomödie? Nein, alles falsch. Der Überfall ist ein österreichischer Katastrophenfilm und in diesem eigenwilligen Genre sind Humor und Drama sehr schwer zu trennen bzw. stehen oft sogar für das Selbe.
»I never saw anything funny, that wasn’t terrible, didn’t caused pain«, sagt ein betagter Komiker in Funny
Bones von Peter Chelsom und nach diesem Grundsatz sind solche österreichische Filme zu verstehen. Weder die »Klassiker« Indien und Hinterholz 8, noch die neueren Komm, süßer Tod und Die Gottesanbeterin enthalten Witze, die man nacherzählen könnte. Diese Filme zeigen nicht die lustige Seite des Lebens, sondern die lächerliche, was keineswegs immer zum Lachen ist. Den Charme dieser Art von Humor im einzelnen zu erklären, ist dabei ähnlich schwierig, wie die Faszination der Wiener für Friedhofsspaziergänge zu ergründen. In Anbetracht der ziemlich abwegigen, fast surrealen Handlung,
könnte man bei Der Überfall darauf verfallen, in dem Film eine überzogene Farce zu sehen. Doch das gelingt nicht. Dafür sind die Figuren zu natürlich, zu echt, als dass man sie und den Film so einfach als Hirngespinst abtun könnte. Die Information, dass der Film auf einer wahren Begebenheit beruht, verwundert einen da auch kaum mehr. In Wien ist, noch dazu während der Faschingszeit, eben fast alles möglich.
Wen wundert es bei einem so gelungenen Film, dass auch noch die Schauspieler auf der ganzen Linie überzeugen. Mit sehr viel Körpereinsatz gehen die drei Hauptdarsteller Heißmann, Hader und Düringer total in ihren Rollen auf und erreichen dadurch eine sehenswerte Natürlichkeit. Die beiden letztgenannten bilden zusammen mit Kollegen wie Alfred Dorfer oder Nina Proll mittlerweile ein festen Stamm von Darstellern, die in immer neuen Kombinationen dem aktuellen österreichischen Film ein unverkennbares und sehr interessantes Gesicht verleihen.
Der vierte Hauptdarsteller in Der Überfall ist aber einmal mehr die Stadt Wien, von der man nicht besonders viel sieht, deren Präsenz man aber immer spürt. Auch das ist Florian Flicker und vielen seiner österreichischen Kollegen zugute zu halten: Sie setzte auf Lokalkolorit und spekulieren nicht auf den sagenumwobenen »internationalen Markt«. Man sieht ihren Filmen die Herkunft schnell an, weiß aber spätestens dann Bescheid, wenn jemand im breitesten Dialekt zu reden anfängt. Da tut man sich als Zuschauer nicht immer leicht, aber wer versteht schon bei einem Film im englischen Original jedes Wort? Der Klang des Wienerischen entschädigte einen für möglicherweise nicht verstandene Worte allemal.