Die Unerwünschten – Les Indésirables

Bâtiment 5

Frankreich/B 2025 · 105 min.
Regie: Ladj Ly
Drehbuch: ,
Kamera: Julien Poupard
Darsteller: Anta Diaw, Alexis Manenti, Aristote Luyindula, Steve Tientcheu, Aurélia Petit u.a.
Les indésirables
Im Hintergrund: ein Spekulationsobjekt
(Foto: Film Kino Text)

Klassenkampf als Häuserkampf

Ladj Ly macht in »Die Unerwünschten« die französischen Vorstädte zum Schauplatz eines aufwühlenden Klassenkampfes mit einer unerschrockenen Heldin. Dabei er scheut er nicht vor melodramatischer Zuspitzung zurück

Die Kamera fliegt aus Vogel­per­spek­tive auf einen der impo­santen Riegel­bauten einer Groß­wohn­sied­lung der Banlieue zu, visiert eine der Wohnungen in den oberen Geschossen an: Dort trauert man, die Groß­mutter der jungen Haby ist gestorben, der Sarg ist in der Wohnung aufge­bahrt, die Einwan­de­rer­fa­milie aus Mali nimmt Abschied.

Dann muss der Sarg durch viele Stock­werke von den Männern nach unten bugsiert werden, das enge rampo­nierte Trep­pen­haus gleicht einem Hinder­nis­par­cours, je weiter nach unten sie kommen, umso düsterer wird es, nicht nur der Aufzug funk­tio­niert nicht, in den unteren Etagen ist auch die Beleuch­tung defekt.

Diese eindrucks­volle Auftakt-Sequenz beschreibt die ganze Misere eines Lebens­raums, des Gebäudes Nr. 5, Bâtiment 5, wie der fran­zö­si­sche Origi­nal­titel des zweiten Films von Ladj Ly lautet, der in Deutsch­land unter dem Titel die Die Uner­wünschten – Les Indé­si­ra­bles startet.

Es ist dies der zweite Teil einer Trilogie, deren Auftakt Die Wütenden – Les Miséra­bles 2019 wie ein Meteorit in der Kino­land­schaft einschlug. Die Lebens­be­din­gungen in den Vors­tädten, die immer wieder durch heftige soziale Revolten und Krawalle und brutale Poli­zei­ein­sätze in die Schlag­zeilen kamen, sollen darin durch mehrere Jahr­zehnte verfolgt werden.

Ladj Ly wuchs selbst in einer solchen Banlieue auf, in Mont­fer­meil, im Viertel »Les Bosquets«. Als Auto­di­dakt begann er dort als Mitglied des Kollek­tivs Kour­t­rajmé eine Alltags-Chronik zu filmen.

Die Die Uner­wünschten drehte er wie Die Wütenden in seinem Quartier, auch wenn nun die Gemeinde den fiktiven Namen Mont­vil­liers bekommt. Es ist gerade der urbane Raum, es sind die großen Wohn­blöcke und der soziale Kontext, die durch die Kame­ra­ar­beit von Julien Poupard immer wieder eindrucks­voll insze­niert werden wie in der Auftakt­se­quenz mit dem Sarg im Trep­pen­haus.

Um die Gebäude und ihre Bewohner, die sich als »uner­wünschte« fühlen, dreht sich denn auch die Handlung. Ein Sanie­rungs­pro­gramm der Stadt­ver­wal­tung steht an, das vorgeb­lich die Lebens­be­din­gungen der Bewohner verbes­sern soll, letztlich aber dazu dient, die Migranten aus den Sozi­al­woh­nungen der Banlieues zu vertreiben und neue, teurere Wohnungen für Besser-Verdie­nende zu schaffen.

Die coura­giert-enga­gierte Haby (Anta Diaw) und ihr bester Freund, der zornig-impulsive Blaz (Aristote Luyindula), stehen für die Entrech­teten der Banlieue ein. Haby arbeitet als Prak­ti­kantin bei der Stadt und engagiert sich in einem Bürger­verein, der sozial Benach­tei­ligte bei der Wohnungs­suche unter­s­tützt.

Auf der Gegen­seite der Konfron­ta­tion steht der Interims-Bürger­meister Pierre Forges (Alexis Manenti), der nach dem über­ra­schenden Tod des amtie­renden Bürger­meis­ters einspringt. In einer schwarz­hu­mo­rigen Szene stirbt der an einem Herz­in­farkt quasi als Kolla­te­ral­schaden bei einer von ihm feierlich initi­ierten Sprengung eines Hoch­hauses im Rahmen des Sanie­rungs­pro­jekts.

Als poli­ti­scher Neuling mit noch sauberen Händen sieht sich der Kinder­arzt Pierre Forges jedoch bald über­for­dert. Zwischen Familie, Arzt­praxis und Amt einge­klemmt, flüchtet er aus Unsi­cher­heit in die Rolle des repres­siven Hard­li­ners, um sich so die Sorgen der Bürger vom Leib zu halten. Alexis Manenti, der schon in Die Wütenden den rassis­ti­schen Bad Cop gab, führt die eisige Entschlos­sen­heit Pierres, sich hinter der Charak­ter­maske des Reak­ti­onärs zu verschanzen, mit provo­zie­render Über­zeu­gungs­kraft vor und erhält immer noch die Hoffnung aufrecht, dass er sie irgend­wann auch wieder ablegen könnte.

Doch scheint er aussichtslos in der Eska­la­ti­ons­dy­namik befangen. Mit Will­kür­ent­schei­dungen wie einer nächt­li­chen Ausgangs­sperre für Jugend­liche möchte er die Sicher­heit im Viertel garan­tieren. Haby entschließt sich daraufhin spontan, selbst für das Amt des Bürger­meis­ters als Kandi­datin anzu­treten, als »junge Französin von heute« möchte sie mit diesem Akt der Selbst­er­mäch­ti­gung eine Alter­na­tive zur passiven Ohnmacht und zur aggres­siven Aufleh­nung aufzeigen. Blaz hat dafür wenig Vers­tändnis, »die Politik ist nichts für uns«, er tendiert eher zu Gewalt­aus­brüchen als Reaktion auf die Über­griffe der Polizei, wenn sie etwa die auf der Straße impro­vi­sierte Auto­werk­statt seines Vaters auflöst.

Zwischen dem Bürger­meister mit seinen Hinter­leuten, die in die Immo­bi­li­en­ma­chen­schaften verstrickt sind, und den Bewohnern des Bâtiment 5 verhärten sich die Fronten immer mehr. Der Klas­sen­kampf wird dann zu einem regel­rechten Häuser­kampf, als Pierre Forges den Brand in einer Wohnung des Bâtiment 5 als will­kom­menen Anlass nimmt, eine Noteva­ku­ie­rung anzu­ordnen. Diese Zwangs­räu­mung des Gebäudes durch ein Großauf­gebot der Polizei stellt die spek­ta­kulärste Szene des Films dar, ein erschüt­ternder Höhe- und Tiefpunkt glei­cher­maßen. Hier kommt das Motiv des Hauses in seiner ganzen Ambi­va­lenz zur Geltung. So elend und beengt die Behau­sungen sind, stellen sie doch den geschützten Lebens­raum der Mühse­ligen und Geplagten dar. Nun müssen sie in kürzester Zeit das Nötigste zusam­men­raffen und in Notun­ter­künfte über­sie­deln.

Dass das alles ausge­rechnet an Weih­nachten statt­finden muss, ist gewiss eine drama­tur­gi­sche Über­spit­zung, die etwas plakativ wirkt. Doch wo die sozialen Verhält­nisse sich nur noch als harte Klas­sen­ant­ago­nismen abbilden lassen, können die Mittel der Darstel­lung nicht drastisch genug sein. Da erscheint Habys Entschluss zur poli­ti­schen Parti­zi­pa­tion zwar auch naiv, weist aber dennoch einen Weg aus der Sackgasse, während andere Figuren wie Blaz oder Pierre Forges in ihren Auto­ma­tismen der gewalt­samen Eska­la­tion gefangen bleiben. Auch das ist den Verhält­nissen geschuldet und gibt dem melo­dra­ma­ti­schen Realismus des Films von Ladj Ly eine seltene Dring­lich­keit.