USA 2008 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Louis Leterrier Drehbuch: Zak Penn, Edward Harrison Kamera: Peter Menzies jr. Darsteller: Edward Norton, Liv Tyler, Tim Roth, Tim Blake Nelson, Ty Burrell u.a. |
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Wild |
Eine Reihe von Blutbildern unterm Mikroskop steht am Anfang und erinnert uns, auf den Vorspann der einstigen »Hulk«-TV-Serien anspielend, im Schnelldurchlauf an die Geschichte die bisher geschah. Bisher, das heißt vor allem in Ang Lees erst vor fünf Jahren herausgebrachtem Hulk-Film, der sich wie ein Prequel ausnimmt zu diesem, der nicht sein Sequel sein will. Dazu gleich noch mehr. Denn bevor man seine fünf Sinne recht beisammen hat, und ganz drin ist in diesem Film, da sind wir schon m mitten in den Favelas von Brasiliens Rio de Janeiro, wohin sich »Hulk«/David Banner vor der Welt, den Verfolgungen durch das US-Militär, vor allem aber dem eigenen Wutpotential in die Isolation zurückgezogen hat. Er lebt mit kaum Besitz außer einem schmucken Dell-Computer und niedlichem Hund in einem Einzimmerappartement, jobbt in einer Limonadenfabrik und flirtet mit der hübschen einheimischen Co-Workerin, die passenderweise auch noch im gleichen Haus ein paar Stockwerke unter ihm wohnt. Er nimmt Martial-Arts-Unterricht und macht Zen-ähnliche Übungen in Anger-Management, zählt seine »Days without incident« (158) und guckt als conflakes-mampfende Couch-potatoe zum Portugiesisch-lernen fern. Da läuft dann »Sesamstraße« oder auch mal kurz »Hulk« mit Bill Bixby, den man sagen hört: »Everyday a great punch« – also gerade das, was Banner nicht will, der, um nicht zum Hulk zu mutieren, einen Blutdruckmesser trägt und sorgsam dafür sorgt, dass dieser nicht auf über 190 hochschnellt. Nebenbei kommuniziert er noch per verschlüsselter internetleitung als »Dr.Green« mit einem »Dr. Blue«, dessen Identität einstweilen im Dunkeln bleibt.
Eines Tages verletzt Banner sich bei der Arbeit, sein ganz besonderer Blutsaft tropft in eine Limoflasche, wird in die USA geliefert – das gefährliche kommt eben immer aus heißen südlichen Schmutzländern – und das bringt schließlich den militärisch-indistriellen Komplex der USA, deren wertvollstes Geschöpf, dessen teuerstes Produkt, dessen gefährlichster Flüchtling er doch ist. Etwas naiv wirkt gemessen an Banners Hulk-Potential der folgende Squad-Einsatz dann schon, zugleich demonstriert er all die Kälte und Bosheit, die man US-Militärs unterstellen darf, zeigt, wie Amis sich in der Fremde aufführen, die Selbstverständlichkeit, mit der ein kurzes »take him!« aus Generalsmaul gebellt und ausgeführt wird, mit der man in fremden Ländern operiert, wie im eigenen Vorgarten, mit der eine ganze Favela zusammengeballert wird. Die Amerikaner und ihre Armee sind das Sicherheitsrisiko
Dies ist vorhersehbar der dies ira für Banner, und er wird kurz zum »Hulk«, landet in Guatemala, dann in Mexiko, schließlich in den USA und dort geht es kreuz und quer bis zum Showdown in New York – zwischenzeitlich zweifelt man ein wenig, ob der Film nicht eher ein Remake von Auf der Flucht ist, aber sei‘s drum...
Es ist immer eine beliebte akademische Frage, ob solche Filme nun »nur für die Fans« gemacht werden sollten, also nicht so vieles erklären, was diese bereits wissen. Oder ob sie eben bei Null anfangen sollen, damit sie auch ohne alles Vorwissen verständlich bleiben. Natürlich wird diese Frage nie entschieden werden, denn selbstverständlich richten sich solche Filme an beide Gruppen. Dieser hier, gedreht vom Louis Leterrier, der sich ausgerechnet durch den zweiten Transporter-Film beim Studio für den neuen Hulk qualifiziert hatte, wickelt die Vorgeschichte wie erwähnt in den skizzenhaften Bildern des grob fünfminütigen Vorspanns ab. Das kann er aber nur, weil er sich darauf verlassen kann, das Ang Lees Hulk die Figur eingeführt und – ob nun geglückt oder nicht, Flop oder doch Erfolg – einem zweiten Film den Boden bereitet hatte. Lees Hulk-Version wurde vieles vorgeworfen, unter anderem, man habe die Hauptattraktion der Franchise, also das große grüne Männchen kaum gesehen. Wir hätten gern mitgestoppt im Kino, aber auch ohne das getan zu haben möchten wir wetten, dass er in The Incredible Hulk kaum häufiger vorkommt. Auch bei Leterrier dauert es fast eine halbe Stunde, bis sich Banner zum ersten Mal in »Hulk« verwandelt, und der tut dies im ganzen Film nur schnöde drei Mal, also im Schnitt alle 35-40 Minuten.
Außerdem sieht er hier einfach ziemlich schlecht aus – womit nicht nur die eher erbärmlichen CGI-Effekte gemeint sind, sondern vor allem die Farbe: Während Lee seinen Film insgesamt sehr stark comichaft inszeniert und im Design der Ästhetik einer Graphic Novel angelehnt hatte, seinen Hulk limonadengrün – und damit bewußt »chemisch«, knallig, künstlich – eingefärbt hatte, sieht er diesmal zwar weniger wie ein wildgewordenes Radiergummi oder ein Riesenflummi aus, aber dafür mehr schlammigbraun, spinatgrün, etwa wie eine überdimensionierte Kröte – was kaum ein Gewinn ist. Insgesamt erscheint The Incredible Hulk schmutziger, weniger comichaft als Ang Lee, realistischer, damit aber auch banaler. Von den schrillen Gammastrahlen ist nicht viel übrig.
Nochmal zurück: »The best way to control your anger is to control your body« erklärte der Zen-Meister unserem Helden am Anfang des Films. Wer würde da nicht auch Aspekte der US-Politik mitdenken, allein schon die sozialstaatliche Körperpolitik der Schlankheitskampagnien.
Wut als körperliche Reaktion – das Thema von The Incredible Hulk wie von Hulk ist scheinbar das Kontrollieren solcher Emotionen, ist eine als Zähmung der Bestie und Zivilisierung der Natur verstandene Emotionale Intelligenz. Aber Hulks emotionale Dummheit, die ins Groteske – grün anlaufen wie Verleihnix – übertriebene Todsünde Wut ist auch eine höhere Intelligenz, ein Instinkt, der seinen Besitzer schützt und unschlagbar macht, ihm Erfahrungen liefert, die Normalsterbliche nicht haben können. So gesehen rechtfertigt der Film den Wutausbruch um des höheren Guts willen. Erst indem er zum Behemoth wird, kann Banner den fischartigen Leviathan »Abomination« (Scheußlichkeit) zu besiegen, der als böser »Hulk« all das tun darf, was dem Guten untersagt ist. Erst im Kampf von Hulk gegen Hulk, im Kampf der zwei Seiten seiner selbst, kommt Hulk also zu sich.
Im Fall von The Incredible Hulk ist es genau betrachtet aber vielleicht gar nicht unbedingt Zorn und Wut, als körperlicher Stress verschiedenster Art – bis hin zur sexuellen Erregung – unter dem Hulk leidet.
Soll man, kann man Mitleid mit Hulk haben, überhaupt irgendetwas fühlen? Er wird hier in diesem Film ein richtiges Monster, der Jekyll-Hide-Charakter der Figur wird deutlicher, als im vorangegangenen Film. Deswegen ist »Hulk« auch keineswegs ein Superheld, er rettet in erster Linie nicht die Welt, sondern sich, die Welt kommt erst dran, als es nicht anders geht.
Ein paar Dinge muss man noch bemerken: Fortwährend erinnert der Film ganz offen an eine der King Kong-Verfilmungen. »Hulk« ist Kong, das Biest, Betty Ross ist die Beauty. Wie bei King Kong suchen die Schöne und das Biest Zuflucht in einer Höhle, wie King Kong schreit Hulk unartikuliert Trauer und Zorn in die Welt hinaus, klettert Kong-like Fassaden hoch – besser als bei Peter Jackson.
Und Liv Tyler als Betty läßt einen ratlos: Sie wirkt zwar wie sonst auch eher etwas doof, aber das nutzt der Rolle in ihrer Unentschiedenheit und Naivität, die überdies wohl auch weniger stereotyp ist, als die Hulks und seiner Gegenspieler. Banner und sie verbringen in getrennten Zimmern eine saubere Nacht, in der noch nicht mal geknutscht wird. Wer mit dieser Comic-Figur den Kampf zwischen zwei Seiten der Männlichkeit verbindet, der wird die zweite Seite hier vermissen.
Es gibt zudem ganz objektive Schwächen und Fehler, die mit Geschmacksfragen rein gar nichts mehr zu tun haben: Zig offene Fäden, Figuren, die dann so einfach aus dem Film verschwinden, der sehr abrupt endet: Der Somebody-Freund von Betty, der mad Scientist, der zuvor noch von Banners Blut infiziert wurde und jetzt wohl für ein Sequel auf Eis liegt, aber auch unser böses Monster werden eigentlich nicht zuende erzählt. Man sieht The Incredible Hulk auch an, das er verschnitten wurde, man glaubt die 70 Minuten Szenen, die laut Aussage des Regisseurs gedreht wurden, dann herausgefallen sind, und nun auf der DVD oder in zukünftigen Avengers-Filmen auftauchen werden, förmlich zu spüren, sieht die Narben, die sie im fertigen Film hinterließen.
Ein letzter Punkt: Der Bierernst, die fast völlige Humorfreiheit von The Incredible Hulk. Sie wird schmerzhaft bewußt, wenn es doch einmal kurz witzig ist, und in der letzten Szene des Films: »Reload« sagt general Ross und meint das Whiskyglass, da taucht aus dem nicht Iron Man Stark, vor allem aber Robert Downey Jr auf: »Stark! We should talk.« – »You should listen.« antwortet Stark und fügt hinzu: »I always thought, we should team together.« – »Who is we?«
Dieser letzte Moment, der schillernde Auftritt von Robert Downey Jr ist tausendmal witziger als der ganze Hulk-Film. Auch deshalb, weil die potentielle Paarung von Stark und Hulk, des expressiv-ironischen Republikaners und des repressiven Demokraten, von McCain und Al Gore also, eine Illusion ist.
Leterrier scheitert also an dem, was Ang Lee gelang, aber ihm gelingt nicht, was Ang Lee mißriet. Beide Filme haben aber bestimmte Seiten und Potentiale ihrer Figur nicht ausgereizt: ist doch Hulk eigentlich ein Symbol des Zusammenspiels von höchsten wissenschaftlichen Höhenflügen und der banalster Barbarei in ein und der gleichen Figur, eine Enthüllungsgeschichte vom fünfjährigen Kind, das im Erwachsen schlummert und – hyperventilierend, schreiend, mit Dingen werfend – bei Gelegenheit ausbricht, der ideale Verkörperung von Repression: Unschuldig und destruktiv im gleichen Moment.
Das Thema von Ang Lees Film war neben dem erfrischend geglückten Versuch, dem Medium Comic – per Splitscreen, per scharf kontrastierender Bildfolgen, Achsensprüngen, eine Aufmerksamkeit erzeugende Abfolge von Bildern, in denen das Zebntralobjekt im Rahmen springt – eine filmische Form zu geben, vor allem eine Verteidigung der Psychoanalyse gegen den Angriff von Soziologie und Kulturwissenschaften und eine philosophische Meditation: Über den »dunklen Grund«, auf dem, wie Schelling bemerkte »alle Persönlichkeit ruht, der allerdings auch Grund der Erkenntnis sein muss.«
The Incredible Hulk bleibt demgegenüber ein konventioneller anspruchsloser Blockbuster, irgendwie langweilig und vorhersehbar, als »reine Unterhaltung« und Produkt der uns Sand in die Augen streuenden Trivialkultur kaum geglückt. Das Remake eines nicht sehr alten Films hat sich also in diesem Fall kaum gelohnt, außer dass es uns noch einmal an die schnell vergessenen Stärken von Ang Lees Version erinnert. Hoffen wir, dass es uns mit The Dark Knight und Heath Ledgers Joker in einigen Wochen nicht ähnlich geht.