Frankreich 2013 · 94 min. · FSK: ab 12 Regie: Katell Quillévéré Drehbuch: Mariette Désert, Katell Quillévéré Kamera: Tom Harari Darsteller: Sara Forestier, François Damiens, Adèle Haenel, Paul Hamy, Lola Dueñas u.a. |
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Zaungespräche sind manchmal die besten |
Eine Tanzaufführung in der Grundschule. Zwei Dutzend kleine Mädchen in roten Kleidchen tanzen, die Eltern sind stolz, und es gibt Applaus. Die Mädchen sind glücklich. Dann zoomt die Kamera auf das Gesicht von Suzanne, und wir sehen in ihre Augen. Ein Blick genügt, da wissen wir alles. wir spüren, dass es um Suzanne geschehen ist, wir erkennen ihre Verlorenheit. »Ist das wirklich alles?«, scheint sie zu fragen, und falls man mit sieben Jahren schon verachten kann, dann ist ihr Blick der verächtlichste der Welt.
Suzanne und ihre jüngere Schwester Marie werden älter, sie werden fünfzehn, und irgendwann Mitte zwanzig. Doch Suzannes Blick bleibt. Ihr ist auf Erden nicht zu helfen, jedenfalls nicht mit den Antworten des normalen Lebens. Ein Mann, Kinder, Arbeit – »ödes Spießertum, bourgoiser Schwachsinn«, sagt ihr Blick, und vor allem »Das kann doch nicht alles gewesen sein«. Für Suzanne ist das auch nicht alles gewesen – vielmehr fängt alles erst an.
Einen Mann, ein Kind und viel Arbeit findet sie zwar auch. Aber der Mann ist Julien, ein Gangster und Ausbrecherkönig, das Kind, einen Jungen namens Charlie, gibt sie bald nach der Geburt bei ihrer Schwester ab, und die Arbeit ist die einer Räuberbraut.
Regisseurin Katell Quillévéré, die Französisch-Afrika aufwuchs, hat sich von den Memoiren tatsächlicher Gangstergefährtinnen inspirieren lassen. Etwa von der Persönlichkeit der Jeanne Schneider, der Frau des berüchtigten Jacques Mesrine. Quillévéré wollte wissen, was es ist, was diese Frauen antreibt und fasziniert. Ihre Suzanne ist keine schwache Frau, keine Abhängige. Sie ist stark und kaltblütig, sehr tapfer, und zugleich ganz auf den Mann fixiert, mit dem sie eine Amour fou verbindet.
Dies ist ein Familienfilm. Ein Liebesfilm. Ein Gangsterfilm. Es ist aber vor allem ein Film, der vom ganzen Leben erzählt, von einer ganz bestimmten, sehr besonderen Frau, die unerschütterlich ihren Weg geht: Suzanne, die so merkwürdige, so faszinierende wie verwundernde Titelheldin dieses Films, ist eine sehr typische Frauenheldin des aktuellen Kinos: Wie Isabelle in François Ozons Jung & schön und wie Frances Ha ist auch sie eine junge Frau, die sich um Konventionen so wenig schert, wie um die Moral, die die Alten predigen und ihren Kindern aufzwingen wollen. Diese jungen Frauen sind dabei nicht unmoralisch, sie sind nur vielschichtiger, mehrdeutiger, sie wirken erfrischend neben den Gefühlszombies des Hollywoodkinos. Ihre Persönlichkeiten sprengen das enge Korsett der Drehbuchseminare und Fernsehredaktionen, in denen alles darauf abgeklopft wird, dass es motiviert und motivierend und natürlich »zielgruppenaffin« ist. Ähnlich erfrischend, das nur nebenbei, ist auch Suzannes Schwester Marie, die zwar im Hintergrund der Handlung verbleibt, von dort aus aber eine enorme Intensität entfaltet.
Denn sie ist es, die für Suzannes Kind Ersatzmutter wird – und so ein wenig von ihrem eigenen Leben, ihrer eigenen Freiheit für die der Schwester opfert. Gespielt werden die zwei Schwestern von Sara Forestier und der deutschstämmigen Adele Haenel.
So gradlinig und schnell erzählt ihrer beider Geschichte ist, so ungewöhnlich ist die Erzählweise der Regisseurin: Denn Quillévéré erzählt in kurzen Ellipsen und Zeitsprüngen. Sie erklärt damit die Suzanne der Gegenwart auch aus ihrer Kindheit, den Erlebnissen mit der Schwester, mit dem liebevollen Vater, der die abwesende Mutter ersetzen musste, es aber nur unvollständig konnte. Trotzdem pathologisiert Quillévéré ihre Hauptfigur nie: Suzanne ist kein Opfer. Sie ist eine freie Frau, die ihre eigene Variante von Freiheit wählt, und die von einer tiefen Sehnsucht nach Liebe erfüllt ist. Ein ambitionierter Film, dessen vielschichtiges Konzept immer aufgeht.