Untitled

Österreich/D 2017 · 107 min. · FSK: ab 12
Regie: Michael Glawogger, Monika Willi
Drehbuch: , ,
Kamera: Attila Boa
Schnitt: Monika Willi
Eine Idee von der Freundschaft und Intimität mit dem Unzugänglichen

Denken unter der Bedingung des Todes

Der 2014 an Malaria verstor­bene Michael Glawogger hat seinen letzten Film nicht mehr fertig­stellen können, aber er hat große Teile davon während der vier­mo­na­tigen Dreh­ar­beiten gestaltet, über lange Reisewege und durch diverse Kulturen hindurch, über kleine, intime Bilder und große wuchtig-pathe­ti­sche Eindrücke hinweg. Einiges hat er dazu aufge­schrieben, flüchtige und bedeu­tungs­schwan­gere Sätze. Monika Willi hat das Material seines letzten Films zu einem Film zusam­men­mon­tiert und liest dazu einige dieser Sätze vor, die auf der 67. Berlinale zum ersten Mal gezeigt werden.

Manchmal ist da eine spiri­tu­elle Rhetorik drin, für diese Text­pas­sagen muss man sich schon bewusst entscheiden. Reli­gi­ons­sprech nach dem Tod des Filme­ma­chers in diesem Kino­tes­ta­ment zu hören, das haucht einen leisen Zweifel: Lebt Michael Glawogger in seinen Bildern weiter? Diesen Bildern tut das fast unrecht, denn ganz unbe­streitbar tragen die das lebendige Fein­ge­fühl eines beson­deren Doku­men­ta­risten in sich.

Das Gegenteil von Leben ist sowieso nicht der Tod, sondern ein Nicht-Leben. Kunst­stoff, unbe­lebtes Material, darin lässt sich wohl keine Spur von Bewusst­sein vermuten, zumindest nicht mit unseren Werk­zeugen der Wahr­neh­mung. Wenn hingegen jemand für Tod erklärt wird, dann heißt das, dieser Mensch hat eben gelebt. Das Sterben ist in sich bedeu­tungs­voll, die letzten Gesten, das beglei­tende Verab­schieden. Sterben, als Prozess und in der Konse­quenz, ist untrennbar mit dem Fort­be­stehen eines Bewusst­seins verbunden. Die Erin­ne­rungen, die Bilder, die Aufzeich­nungen, die Freund­schaft und Liebe zu Menschen, die bleiben mehr oder weniger sichtbar und sind untrennbar davon, wie sich die Hinter­blie­bene und ganze Gesell­schaften weiter entwi­ckeln. Mensch­li­ches Denken steht natürlich unter der Bedingung des Todes, Lebens­spannen sind getaktet, haben Abschnitte, Wendungen, Höhe­punkte. Biogra­fien zeigen glühende Momente ebenso wie Drama­tur­gien, sie tragen Anekdoten und sind nicht minder erzäh­le­risch als Geschichts­bücher.

Von Menschen gefilmte und montierte Bilder, die scheinen eigent­lich niemals unbelebt, niemals Objekt, niemals Kunst­stoff. Denn ein Bild zu machen, das sammelt nicht bloß die Seelen der Abge­bil­deten ein, sondern immer auch die der Foto­gra­fie­renden. Was Glawogger mit seinem Kame­ra­mann Attila Boa gefilmt hat, das trägt einen Teil von beiden in sich. Spannend ist das vor allem, weil es hier eigent­lich ums Verschwinden geht. Ein Mensch sucht sich die am Wenigsten nahe­lie­genden Orte auf der Welt, um dort ein Gefühl dafür zu erleben, wie man unsichtbar wird, ein unun­ter­scheid­barer Teil einer entle­genen Gemein­schaft. »Sprecht mit mir, so lange, bis ich eure Sprache spreche«, heißt es irgend­wann, verbunden mit der Hoffnung, dass Außen­ste­hende einen viel­leicht irgend­wann nicht mehr bemerken. Es ist nur eine Frage der Zeit, man muss sich nur lange genug irgendwo einfügen, dann ist man endgültig unter­ge­taucht zwischen den Leuten und Tieren und Erschei­nungen dort. Ganz früh im Film heißt es: »I want to give a view of the world that can only emerge by not pursuing any parti­cular theme, by refrai­ning from passing judgment, procee­ding without aim. Drifting with no direction except one’s own curiosity and intuition«.

Aus der freien Intuition, die in diesen Worten anklingt, bildet sich im Film bald auch eine zarte Melan­cholie – eine Verdros­sen­heit der immer­wäh­renden Aufmerk­sam­keit und Sicht­bar­keit gegenüber, die die Zentren der Zivi­li­sa­tion mit sich bringen. An Orten, wo der Strom ausfällt, sucht Glawogger dann auch nach Spielen mit dem Licht, die ohne das Dunkle nicht auskommen. Diese Film­bilder, die sich nicht unter einen Titel fügen wollen, machen weniger etwas sichtbar, als dass sie im Sicht­baren die Hoffnung auf einen Unter­schlupf ausloten. Die Bahnen, die dieser Mensch durch die Welt zieht, die Kamera von sich wegge­richtet, stecken etwas ab, eine Idee von der Freund­schaft und Intimität mit dem Unzu­gäng­li­chen, mit dem Abge­schie­denen, das das Denken und Fühlen auf sich selbst zurück­werfen kann. In West­afrika sprechen dann ein paar Jungs davon, wie sich ihr Körper fühlt, nicht der Geist. Weil der Körper den Geist trägt, ebenso wie das Bild eben ein Bewusst­sein trägt. Der Film spricht mit Dialekt, könnte man sagen und an wenigen Stellen ist Glawog­gers Stimme zu hören, ganz zwei­fellos anwesend, gegen­wärtig, anschau­lich: »Der schönste Film, den ich mir vorstellen kann, ist einer, der nie zur Ruhe kommt.«