Deutschland 2005 · 87 min. · FSK: ab 0 Regie: Neele Leana Vollmar Drehbuch: Janko Haschemian, Neele Vollmar Kamera: Pascal Schmit Schnitt: Andrea Mertens Darsteller: Gustav Peter Wöhler, Meret Becker, Petra Zieser, Lars Rudolph u.a. |
![]() |
|
Wo ist das Familienglück? |
Komödien, die nicht auf laute Lacher abzielen, sondern subtil, hintergründig und lakonisch eine ruhigere Version des Humors suchen, bezeichnet man gerne als »leise Komödien«.
Urlaub vom Leben von Neele Leana Vollmar könnte man vorschnell dieses Etikett anheften und da man Andreas Dresens Sommer vorm Balkon in die gleiche Ecke gestellt hat, verfallen einige Kritiker nun
darauf, zwischen beiden Filmen Parallelen zu ziehen oder gar einen Trend dahinter zu vermuten.
Doch wenn man die offensichtlichen und rein äußerlichen Gemeinsamkeiten (mal komische, mal tragische deutsche Großstadtgeschichte mit lebensnahen Figuren und Themen) einmal hintenanstellt, dann erkennt man, wie grundverschieden Dresens und Vollmars Filme sind (von der technischen Umsetzung ganz zu schweigen).
Sommer vorm Balkon ist eine echte Komödie, bei der man sich immer wieder
fragt, warum man angesichts all der (nachvollziehbaren) Probleme und Sorgen nicht in nachdenkliche Melancholie verfällt.
Urlaub vom Leben dagegen ist keine »leise Komödie« sondern eine »leise Tragödie«, bei der man sich ständig fragt, warum man zwischen all der unterschwelligen Tristesse trotzdem noch etwas zum Lachen findet.
Denn trist ist das Leben des Sparkassenmitarbeiters Rolf Köster (Gustav Peter Wöhler), dem sein Chef wegen zunehmender Ausfallerscheinungen einen einwöchigen Zwangsurlaub verordnet.
Da Herr Köster aber schon eine Abscheu gegen das allmorgendliche Frühstück mit seiner Familie hat und auch sonst eher neben als mit seinen Kindern und seiner Frau lebt, erzählt er nichts von seinem unverhofften Urlaubsglück und verlässt weiterhin jeden Morgen wie gewohnt das
Haus.
Gleichzeitig macht er die Bekanntschaft einer äußerst gesprächigen Taxifahrerin (Meret Becker) und seines bisher gemiedenen Nachbars (Lars Rudolph), die beide Kösters Leben ein wenig ins Wanken bringen. Einsturzgefahr für seinen Alltag besteht aber erst, als er erkennt, dass seine Frau eine Affäre hat, dass sein 6jähriger Sohn wohl in die Sonderschule muss und dass seine 11jährige Tochter eine tiefe Abneigung gegen ihre gesamt Umwelt inklusive Familie hegt.
Geschichten wie diese gab und gibt es viele. Frustrierte (meist Männer) Menschen, die irgendein Erlebnis oder Umstand aus der tristen Bahn wirft und die mit Hilfe einer unkonventionellen bzw. unbedarften Person das Leben neu entdecken. Ein universelles Thema, das sich in kleinen europäischen Filmen ebenso findet wie in amerikanischen Blockbustern.
Um so erfreulicher, dass Urlaub vom Leben nur bis zu einem gewissen Grad den Genrevorgaben folgt und
darüber hinaus einen eigenen Weg sucht. Ein Weg voller Überraschungen und nicht erfüllter Erwartungshaltungen.
Diese nicht erfüllten narrativen (nicht qualitativen!) Erwartungen sind die größte Stärke des Films, der einen immer wieder an einen Punkt bringt, an den man glaubt zu wissen, wie es weiter geht, weil es in solchen Filmen immer so weiter geht und dann kommt es doch ganz anders. Doppelt sympathisch ist dabei, dass es meist schlimmer ausgeht als erwartet.
Denn hier wird nicht die weitgehend verlogene Ansicht propagiert, dass sich ein Berg von Problemen lösen lässt, indem man seinen bisherigen Lebensstil einfach komplett über Bord wirft, um sich etwa von einem Kind, einem Spinner oder einem Aussteiger zeigen zu lassen, wie man »wirklich« lebt.
Kösters Bekanntschaft mit der Taxifahrerin ist maximal eine Inspiration aber sicher nicht die Motivation für seine Lebensänderung, die wiederum nicht in einem »Alles wird gut« sondern
vielmehr in einem »Es wird erst schlechter bevor es besser wird« endet.
Die Umsetzung dieser bemerkenswerten Geschichte fällt dagegen sehr ambivalent aus.
Vielfach gelingen wunderbare Momente der stillen Tragik und die Schilderung einer echten Lebenskrise, frei von sentimentalem Gedöns und geschwätzigen Erklärungen. Darin eingebetet finden sich aber auch amüsante Szenen mit trocken lakonischem Humor, der sich erfreulicherweise nicht aus der großen Skurrilitätenkiste bedient oder den sarkastischen Kommentator gibt.
Auf der anderen Seite aber wirkt der Film vielfach hölzern und unglaublich bemüht, was sich vor allem an einigen gestelzten Dialogen und Kösters Off-Kommentaren zeigt.
Schwer zu sagen, ob es dann am Drehbuch, an der Schauspielerführung oder an den Darstellern selbst liegt, dass vielen Dialogszenen die notwendige Leichtigkeit und Natürlichkeit fehlt und sie statt dessen künstlich und gestellt wirken.
Diese störende darstellerische Uneinheitlichkeit trifft dabei die Nebenrollen ebenso, wie die Hauptrollen, wobei etwa Gustav Wöhler und Lars Rudolph überwiegend positive in Erinnerung bleiben, während Petra Zieser als Frau Köster oder Falk Rockstroh als deren Liebhaber über sprechende Stereotypen kaum hinauskommen. Auch die Rolle der sonst so talentierten Meret Becker als verschrobene Taxifahrerin ist die meiste Zeit zu abstrakt, um den Zuschauer wirklich anzusprechen.
Technisch bewegt sich der Film adäquat auf »kleinem Fernsehspiel«-Niveau, wobei die Kameraarbeit einige ausgesprochen schöne Akzente setzt.
Mit Sommer vorm Balkon kann sich Urlaub vom Leben qualitativ so leider nicht ganz messen, aber stimmungsmäßig bildet er ein sehenswertes Gegenstück.
Dort offen, ehrlich, lustig, unbedarft, attraktiv, aktiv; hier ruhig, verschlossen, melancholisch, verhangen, bedächtig, lakonisch.
Oder mit anderen Worten: Dort Berlin, hier (endlich) Bremen.