Utama. Ein Leben in Würde

Utama

Bolivien/Uruguay/F 2022 · 88 min. · FSK: ab 6
Regie: Alejandro Loayza Grisi
Drehbuch:
Kamera: Barbara Alvarez
Darsteller: José Calcina, Luisa Quispe, Candelaria Quispe, Placide Ali, Félix Ticona u.a.
Filmszene »Utama. Ein Leben in Würde«
Das Wasser zieht sich zurück
(Foto: Kairos)

Der alte Mann und die Hochebene

Utama. Ein Leben in Würde von Alejandro Loayza Grisi bietet bilderstarkes Erzählkino aus Bolivien mit ethnografischer Handschrift

Jeden Morgen bricht der alte Virginio mit seiner Lama-Herde auf, um für seine Tiere einen Platz zum Grasen zu suchen. Der alte Quechua muss auf den kargen, staubig-steinigen Flächen und unter der stechenden Sonne am intensiv glühenden Himmel immer weitere Wege zurück­legen, denn das Land ist von einer Dürre heim­ge­sucht und trocknet immer mehr aus. So wie der Mann mit seinen Tieren immer weiter umher­ziehen muss, so verlän­gert sich der Weg auch seiner Frau Sisa, wenn sie das Wasser für das Zuhause holen geht. Der Brunnen im Dorf ist versiegt, der entfernte Fluss, aus dem die Frauen schöpfen, macht auch ihren Alltag immer beschwer­li­cher – Effekte des Klima­wan­dels auch und gerade hier, was die immer schon harten Exis­tenz­be­din­gungen auf dem Altiplano, der Anden­hoch­ebene im Westen Boliviens, noch unwirt­li­cher macht.

In Utama. Ein Leben in Würde von Alejandro Loayza Grisi kann man der Land­schaft dieser Anden­hoch­ebene ruhig eine tragende Rolle zuschreiben. Die Bild­ge­stal­tung durch die Kame­ra­frau Bárbara Álvarez, die auch schon mit der argen­ti­ni­schen Regis­seurin Lucrecia Martel zusam­men­ge­ar­beitet hat, sorgt für ungeheuer eindrucks­volle Aufnahmen des Altiplano.
Die weiten Einstel­lungen von der Land­schaft, von den umge­benden Berg­gip­feln, kahl-karg auch sie, lassen die winzigen Menschen darin geradezu verschwinden. Ihre einfachen Behau­sungen aus Stein wirken der Umgebung wie abge­trotzt.
Doch kein drama­ti­sches Gegen­ein­ander entwirft die grandiose Bild­ge­stal­tung, sondern immer wieder eine Nähe bis hin zur Anglei­chung, wenn sich die gewal­tigen Totalen von Gebirge und Ebene und die Groß­auf­nahmen von den Gesich­tern der Alten in der Schroff­heit der Schründe und der Runzeln zu entspre­chen scheinen.

Es geht hier nicht um einen Einklang von Natur und Mensch als versöhn­li­chem Idyll, das wäre eine irrige Leseweise, eine euro­päi­sche Wunsch­phan­tasie, die man als Schönheit in die Land­schaft hinein­pro­ji­ziert. Es geht um eine eher irri­tie­rende Akzeptanz des Gleich­muts der Natur, die ihren Zyklen aus Schöpfung und Zerstö­rung folgt und so eine kosmische Ordnung etabliert.

Der alte Virginio sieht sich mit seinen immer gleichen Verrich­tungen nicht anders als seine Vorfahren und die Dorf­ge­mein­schaft in einer der Natur dienenden Rolle. Dabei wirkt das alte Paar in seiner Verbun­den­heit zunächst wie von einer eigenen Kraft beseelt, mit der es sich in den widrigen Umständen scheinbar zu behaupten vermag. Doch wenn Virginio krampf­haft Anzeichen einer Erkran­kung vor Sisa zu verheim­li­chen beginnt, entwi­ckelt er einen Eigensinn, der nicht nur hart­nä­ckig dem gewohnten Tagwerk folgt, sondern auch Unheil ankündigt.

Sein Starrsinn mag wie eine schrullig-sympa­thi­sche Charak­ter­ei­gen­schaft wirken, viel­leicht im Sinne der Drama­turgie auch als solche insze­niert sein, um so etwas wie einen psycho­lo­gi­schen Konflikt mit seiner Frau Sisa anzu­deuten. Doch bleibt er vor allem Zeichen einer fast schon physi­schen Behar­rungs­kraft, die den Verhält­nissen eignet und ihnen eine archai­sche, wenn nicht gar mythische Dimension verleiht.
Virginios Starrsinn profi­liert sich stärker noch, als Clever, der Enkel aus der Stadt La Paz, seine Groß­el­tern besuchen kommt. Er sieht vor allem die Rück­s­tän­dig­keit im Dorf und auf dem Land und möchte Virginio und Sisa dazu bewegen, das Leben hier aufzu­geben und in die Stadt zu ziehen.

Doch die Kluft zwischen den Alten und den Jungen ist sehr tief. Clever spricht nicht einmal mehr Quechua, Virginio muss sich mit ihm auf Spanisch verstän­digen, über das Zerwürfnis mit seinem Sohn, Clevers Vater, will er sowieso nichts sagen. Virginio spürt einfach nur seinen Tod nahen, die Krank­heits­zei­chen versucht er zu igno­rieren, auf die Behand­lung durch einen herbei­ge­holten Arzt will er sich nicht einlassen.
Er liest vielmehr in den Flügen des müde werdenden Kondors, dass ihm das Ende bestimmt ist, so wie es auch der austrock­nenden Natur bestimmt ist. Die Dorf­ge­mein­schaft, die dem Wasser­mangel noch mit einem rituellen Gang ins Gebirge und einer alten magischen Vorstel­lungen verpflich­teten Zeremonie abzu­helfen sucht, ist letztlich ebenso bereit, sich ins Unver­meid­liche zu fügen und den Untergang zu akzep­tieren.

Die im Hinter­grund stehende Thematik des Klima­wan­dels und seiner globalen Folgen gibt dem Film eine drama­ti­sche Dring­lich­keit, die durchaus eher von außen kommt. Die Lebens­weisen im boli­via­ni­schen Altiplano stehen lange schon unter dem Druck verän­derter sozio­ö­ko­no­mi­scher Verhält­nisse, die durch die Auswir­kungen des Klima­wan­dels verstärkt werden, eines Klima­wan­dels, der seiner­seits eben von diesen ökono­mi­schen Entwick­lungen weltweit ausgelöst wurde, so dass man diese margi­na­li­sierte Region als zwei­fa­chen Leid­tra­genden global wirksamer Prozesse ansehen kann.

Der Film Loayzas, es handelt sich um seinen Debütfilm nach einer Tätigkeit als Fotograf und Werbe­filmer, arbeitet geschickt mit Mitteln der Reduktion, die er aus dem Darge­stellten heraus motiviert. Er kann so eine einfache, zum Para­bel­haften neigende Handlung über­zeu­gend und ergrei­fend umsetzen, ohne sche­ma­tisch zu simpli­fi­zieren. Sein Ansatz ist durchaus ethno­gra­fisch zu nennen, da er sich strikt auf die beson­deren Lebens­ver­hält­nisse und die darin ange­sie­delten Figuren konzen­triert. Auch die Darsteller des alten Quechua-Paares (José Calcina als Virginio und Luisa Quispe als Sisa) sind vom Regisseur beim Suchen nach geeig­neten Schau­plätzen mehr oder weniger vor Ort gecastet worden und stehen für die quasi-doku­men­ta­ri­sche Anmutung des Films ein.

Die einfühl­same Erzähl­weise in Utama setzt ganz auf univer­sale Verständ­lich­keit und Zugäng­lich­keit, und so tritt das allgemein Mensch­liche in den beson­deren sozialen, geogra­phi­schen und ethni­schen Gege­ben­heiten der darge­stellten Welt in den Vorder­grund. Das renom­mierte Sundance-Festival hat 2022 diese Quali­täten mit dem Großen Preis der Jury honoriert. Das ist ein enormer Erfolg für einen Film aus Bolivien, einem Land, aus dem man erst in jüngster Zeit wieder starke Filme zu sehen bekommt. Neben dem behut­samen Utama wäre dabei auf den bei verschie­denen Festivals gezeigten El Gran Movi­mi­ento von Kiro Russo zu verweisen, der mit seiner wesent­lich radi­ka­leren Visua­lität stärker auf dem Parti­ku­laren des Darge­stellten insis­tiert, bis hin zur Opakheit in optischer und drama­tur­gi­scher Hinsicht.