Venom: The Last Dance

USA 2024 · 110 min. · FSK: ab 12
Regie: Kelly Marcel
Drehbuch:
Kamera: Fabian Wagner
Darsteller: Tom Hardy, Chiwetel Ejiofor, Juno Temple, Peggy Lu, Rhys Ifans u.a.
Venom: The Last Dance
Romantische Selbstironie bis zum Ende
(Foto: Sony)

Je größer die Liebe, desto härter das Leben

Der abschließende dritte Teil von Marvels Venom-Franchise bietet neben gut getaktetem Jux und Dollerei auch eine zeitgemäße gesellschaftspolitische Ebene zum Umgang mit dem Bösen

Es ist die Zeit der großen Abschiede, zumindest im Hause Marvel. Zuerst waren die Guardians of the Galaxy Vol. 3 letztes Jahr dran, dann nahm Deadpool mit Deadpool & Wolverine Abschied und nun also Venom, ebenfalls mit einem dritten Teil.

Gemein ist diesen Filmen, dass sie der Figur des Anti­helden völlig unter­schied­liche und neue Akzente gegeben haben; Akzente, die zwar immer komö­di­an­tisch grundiert, die grotesk, absurd und komisch waren, dann aber auch ungeahnte Tiefen boten. So wie bei Venom, dessen zentraler Held Eddie Brock (Tom Hardy) von dem außer­ir­di­schen Parasiten bzw. Symbi­onten Venom befallen wird, der in (und manchmal auch außerhalb von) ihm lebt und in einem ständigen symbio­ti­schen Dialog mit seinem Wirt die Welt der Menschen zu verstehen versucht. Ist sie ihm zu böse und stimmt Eddie dieser Meinung zu, reagiert Venom mit einem Abbeißen des bösen Kopfes. Das ist natürlich klas­si­sches Vigilante- bzw. Selbst­justiz-Genre, aber da wir uns bei Venom im Hause Marvel befinden, dürfte eher von Held wider Willen- bzw. Anti­helden-Film gespro­chen werden.

Im dritten Teil erhält diese Kompo­nente aller­dings noch einige neue Zutaten. Zwar ist da immer noch Eddie Brock, dessen Verhalten für einen außen­ste­henden Nicht-Marve­lianer wie eine klas­si­sche Schi­zo­phrenie aussieht, ergänzt durch eine schwere schizoide Persön­lich­keits­störung, da jeder Schritt auf einen Mitmen­schen ja eine poten­ti­elle Gefahr bedeutet und sich Eddie dementspre­chend und zunehmend desin­ter­es­sierter an sozialen Bezie­hungen zeigt. Doch da jeder Nicht-Marve­lianer gerade das Marvel-Anti-Helden-Universe sehr schnell adap­tieren lernt – ist ja im Grunde jeder von uns ein Anti-Held von Geburt an –, wiegt im nun dritten Venom, Venom: The Last Dance, eine neue Zutat etwas schwerer als sonst: die Bedrohung durch eine Macht aus dem Universum, die einfach nur das Böse und die Zers­törung will, also so etwas Anne Apple­baums Achse der Dikta­toren in ihrem Autocracy, Inc., The Dictators Who Want to Run the World. Auch in Venom funk­tio­niert das nur mit Zusam­men­ar­beit, auf der Seite der Bösen so wie auf der Seite der Guten.

Für diese Melange findet Regis­seurin Kelly Marcel, die mit Tom Hardy auch das Drehbuch geschrieben hat, die entspre­chenden Bilder und weiß auch die zahl­rei­chen Subplots geschickt zu inte­grieren. Sei es die Begegnung von alten Bekannten aus den beiden ersten Teilen (für deren Dreh­bücher Marcel übrigens ebenfalls verant­wort­lich war), wie Mrs Chen (Peggy Lu) oder Patrick Mulligan (Stephen Graham) oder die fast schon groteske Erwei­te­rung um einen Fami­li­en­film, in dem Eddie, der ja schon genug Begeg­nungen der doppel­bö­digen Art zu verar­beiten hat, auch noch mit einer Spät-Hippie-Familie in einem VW-Bus konfron­tiert wird, die auf Nevadas State Route 375, besser bekannt als Extra­ter­restrial Highway, unterwegs sind, damit sich der größte Wunsch des Vaters, endlich Außer­ir­di­sche zu sehen, erfüllen wird. Diese über­ra­schend liebens­wert gezeich­neten Charak­tere, die direkt aus Matt Ross’ Captain Fantastic (2016) entlaufen zu sein scheinen, zeigen natürlich nicht nur subtil, dass man seinen größten Wunsch gerade dann nicht sieht, wenn man ihn vor Augen hat, sondern auch, dass man loslassen muss, auch wenn es sich um die eigenen, jahrelang gepflegten Träume handelt. Dass ausge­rechnet Eddie Brock und sein Partner Venom dabei auf sehr kreative Weise hilfreich sind, obgleich sie ja selbst an dem Traum eines harmo­ni­schen, symbio­ti­schen, aber natürlich unmög­li­chen Zusam­men­le­bens arbeiten, ist eine schöne, ironische Dreingabe des klugen Drehbuchs und dann auch schau­spie­le­risch hervor­ra­gend umgesetzt. Vor allem Tom Hardy, der zuletzt in Jeff Nichols’ The Bike­ri­ders sein volles Potential hat ausschöpfen können, zeigt hier, wie komplex ein Anti-Held angelegt sein darf und wie aufregend das schau­spie­le­risch umgesetzt werden kann.

Und dann gibt Venom: The Last Dance natürlich auch ein letztes Mal dem Body Horror-Genre ein komisches, selbst­iro­ni­sches Gesicht, das durch die letzten allzu ernsten Inter­pre­ta­tionen des Genres wie Coralie Fargeats The Substance, Cronen­bergs Crimes of the Future oder Julia Ducournaus Titane die selbst­iro­ni­schen Quali­täten, die es in den Filmen von John Carpenter ja noch gab, fast volls­tändig verloren hat. Diese Selbst­ironie, die bis zum Ende und dem wirklich drama­ti­schen Abschied auch konse­quent durch­ge­halten wird und sogar so etwas wie roman­ti­sche Selbst­ironie zulässt – man denke etwa an die wunder­bare Disco-Tanz-Einlage, in der Venom sich regel­recht »selbst­er­mäch­tigt« – sind dann auch die große Stärke dieses so klugen wie zärt­li­chen, aber natürlich auch überaus brutalen Abschied­neh­mens eines der sympa­thischsten Anti­helden des Marvel-Univer­sums.