USA 2014 · 123 min. · FSK: ab 6 Regie: Ned Benson Drehbuch: Ned Benson Kamera: Christopher Blauvelt Darsteller: Jessica Chastain, James McAvoy, William Hurt, Isabelle Huppert, Jess Weixler u.a. |
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Weglaufen, um wieder aufzutauchen |
Der Film ist der Zusammenschnitt zweier thematisch verbundener Solis zu einem Duett. Aber ist es nicht ein Liebesfilm? Ist das dabei nicht immer so? Ja, aber man muss in diesem Fall sagen: leider ja, denn hier existieren tatsächlich zwei autonome Filme: „Him“ und „Her“ aus der Perspektive jeweils eines der Liebenden. The Disappearance of Eleanor Rigby: Them, der jetzt in den Kinos anläuft, ist das Resultat aus einem Zusammenschnitt der beiden Filme. Das heißt nicht, dass er kein guter Film wäre, nein ganz und gar nicht, es ist ein ganz wundervoller Film, nur wirklich mutig und innovativ ist eben eher das ursprüngliche Konzept.
Dabei hat es so gut angefangen. Der Regisseur und Drehbuchautor Ned Benson hat der Schauspielerin Jessica Chastain (Eleanor) das erste Drehbuch gezeigt, sie war begeistert, hatte aber das Gefühl, dass die Seite der Frau etwas zu kurz kommt. Also schrieb Benson zwei Drehbücher zu einer Geschichte, mit jeweils einer anderen Hauptfigur und er drehte zwei Filme. „Him“ und „Her“ liefen auf dem Filmfestival in Toronto. Nun schalteten sich allerdings die Produzenten ein und es wurde ein „Them“ aus den beiden Versionen: Kompakter, praktikabler, besser verkäuflich. Im Trailer lassen sich noch die unterschiedlichen Filme erkennen, im Zusammenschnitt verschwimmt alles zu einem guten, homogenen Film. Bleibt die Hoffnung, dass die beiden Einzelteile einen offiziellen Kinostart in Deutschland bekommen und wenn nicht, dann zumindest als Bonus in der DVD-Box veröffentlicht werden.
Benson erzählt in seinem ersten Langfilm / in seinen ersten Langfilmen eine Liebesgeschichte – ein Unglück und – eine Liebesgeschichte. Einmal das Abhauen, Tür zuschließen und Abtauchen von Eleanor (Jessica Chastain) und das Anpacken und Weitermachen von Connor (James McAvoy). Leider, ja, das zweite „leider“ zu diesem Film, dann ist aber auch gut, agieren die beiden sehr dem jeweiligen Rollenklischee entsprechend. Er/der Mann macht weiter, arbeitet, schläft mit einer anderen Frau, verfolgt Eleanor: Ganz der Tatmensch. Sie/die Frau zieht sich zurück, will sich umbringen, versucht mit einem anderen Mann zu schlafen, kann es aber nicht: Der Gefühlsmensch.
Eleanor und Connor versuchen beide auf ihre Art mit den Umständen umzugehen, Umständen an denen so gar nichts Gewöhnliches ist, bei denen es keine Regeln gibt, wie man sich angemessen verhält, da alles unangemessen wirkt oder alles angemessen, da existiert keine Skala. Aber es gibt nicht nur die Unsicherheit über das eigene Verhalten und das des anderen, sondern auch die Unsicherheit der anderen Menschen, der Familie, der Freunde gegenüber der Tragödie. Alle erscheinen irgendwie besinnungslos, am stilechtesten an der Figur von Eleanors Mutter, gespielt von Isabelle Huppert, zu sehen, die durchweg mit einem Rotweinglas herumläuft und sich mit gelegentlichem Nippen über Wasser zu halten versucht und weniger das Leben ihrer Tochter, als immer nur das eigene thematisiert. Ganz anders Eleanors Vater, der es schafft eine der wahrscheinlich berührendsten Geschichten über eine Vater-Tochter-Beziehung einfach nur zu erzählen, vom Entgleiten und Wiederfinden seines Kindes im Meer. Damit hilft er ihr bei ihrem abermaligen Auftauchen. Der Film braucht für viele wichtige Dinge keine konkreten Bilder, auch für die Katastrophe nicht, und er wirkt dennoch oder vielleicht gerade deshalb.
Am intensivsten und erstaunlichsten ist die Beziehung zwischen Eleanor und Connor. Wie sie miteinander umgehen, im Guten und im Schlechten, spürt man in jedem Moment, dass sie zusammengehören und das ist wohl das magischste an dieser Geschichte, an dieser irgendwie geteilten und doch gemeinsamen Liebesgeschichte.
Zu schön hat man in Hollywood immer vom Verschmelzen erzählt, Liebesgeschichten waren lange Idealvorstellungen vom Einswerden zweier Personen, die dann gemeinsam ins Schwarz ausfaden. So ist es eben nicht. Auch das Zweisein stellt den einzelnen in Frage, wie Eleanor – oder war es Connor – sagt: »Ich dachte, ich weiß wer ich bin, aber jetzt kann ich mich wieder neu auf die Suche machen, nach einer anderen Version meiner selbst.« Das Leben macht was mit einem und manchmal erschüttert es so, dass man das eigene Ich hinterfragen muss.
Zum Schluss also doch das Zitat aus dem Beatles Song „Eleanor Rigby“: »All the lonly people, where do they all come from. All the lonly people where do they all belong?« Auch zu Zweit ist man allein, aber, bevor einer nervös wird: Romantik gibt es doch und Liebesgeschichten auch. Eleanor beginnt einen Schritt vor den anderen zu setzen und wegzulaufen, zu verschwinden, um irgendwann wieder aufzutauchen und nun ihrerseits hinterher zu gehen.