Deutschland/Ö 2012 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Detlev Buck Drehbuch: Daniel Kehlmann, Detlev Buck, Daniel Nocke Kamera: Slawomir Idziak Darsteller: Albrecht Abraham Schuch, Florian David Fitz, Jérémy Kapone, Sunnyi Melles, Karl Markovics u.a. |
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Ein Buch im Bild macht noch keine gute Literaturverfilmung |
Zugegeben, wenn einem ein Buch recht gut gefällt, dann hat es eine Literaturverfilmung schwer. Die Personen und Schauplätze des Films konkurrieren zwangsläufig mit den erdachten Bilderwelten und die rufen ständig »Ich war zuerst da!«. Einen großen Vertrauensvorschuss erhält die Literaturverfilmung allerdings, wenn der Autor am Drehbuch mitschreibt, wie Daniel Kehlmann in diesem Fall, weil damit sozusagen der ureigenste Anwalt des Buches nach dem Rechten sieht und seine Sicht auf die Dinge einbringen kann. Der Leser ist beruhigt, zunächst.
Nachdem der große Literaturspezialist Volker Schlöndorff die Staffel an Tom Tykwer weitergegeben hatte, der den Bestseller »Das Parfum« verfilmte, durfte sich nun Detlev Buck als Regisseur an einem sehr erfolgreichen Stück deutscher Literatur versuchen, eine Überraschung. Es ist ein weiter Weg von dem Kurzfilm Erst die Arbeit und dann? (1984), in dem ein junger Bauer (gespielt von Buck selbst) auf dem Traktor in die Stadt fährt, um etwas zu erleben, bis zu diesem globalen Abenteuerfilm, in dem ein (nicht mehr ganz) junger Mann in See sticht, um die Welt zu erforschen. Eine überzeugende Karriere. Buck kann knallhart sein, wie im gleichnamigen Film von 2006, aber meistens will er lustig sein. So sind auch in Die Vermessung der Welt die lustigen Aspekte deutlicher und vor allem greller betont als im Buch.
Aber zum Film: Die Handlung folgt, parallel geführt, den Biographien der zwei deutschen Gelehrten Carl Friedrich Gauß (Mathematiker und Physiker) und Alexander von Humboldt (Naturforscher). In schnellen Erzählschritten werden die arme, harte Kindheit des einen (Szenen, die an eine andere Bestsellerverfilmung denken lassen: Schlafes Bruder) und die auch nicht ganze leichte Kindheit des anderen skizziert. Beide Genies leben ganz ihrer Passion und setzen sich gegen alle Widerstände durch. Dann setzt der Film seinen Schwerpunkt in der Erwachsenenzeit: während Gauß Landvermessungen betreibt, sein Hauptwerk schreibt und seine erste Frau Johanna kennen lernt, bereist Humboldt Süd- und Mittelamerika. Ein Treffen der beiden im fortgeschrittenen Alter führt am Ende die beiden Lebensbögen zusammen und offenbart, was die so unterschiedlichen Männer immer gemeinsam hatten: die Neugier. Den einen trieb sie in die weite Welt, den anderen in die abstrakte Welt der Theorien. Florian David Fitz (Gauß) spielt das liebenswert verplante Genie ebenso überzeugend wie den kauzigen Alten am Ende. Die Liebesgeschichte mit Johanna (entzückend natürlich: Vicky Krieps), seiner ersten Frau, ist romantisch und unterhaltsam. Die Ablehnung seines Heiratsantrages nimmt Gauß mit den Worten auf, dass er mit einer Absage gerechnet habe, aber nicht mit so guten Argumenten. Natürlich ist es schwer, die Faszination an der Mathematik mit den Mitteln des Films zu verdeutlichen. Formeln sind nicht sexy. So behilft sich der Film zum Beispiel mit einem aufgeschnittenen Apfel zur Veranschaulichung der Problematik der exakten Landvermessung oder er zeigt Gauß, wie er den Liebesakt mit Johanna unterbricht, um eine Erkenntnis aufzuschreiben. Sein Glück: die Frau nimmt’s nicht übel.
Im Wechsel mit diesen eher possierlichen Szenen im Herzogtum Braunschweig begleitet der Zuschauer Alexander von Humboldt in den tropischen Regenwald. Was eigentlich die spannendere und abenteuerlichere Handlung verspricht, erweist sich schnell als überraschend langweilig. Die Episoden, die mit großem Aufwand und unter Aufbietung zahlreicher Statisten und Locations in Südamerika gedreht wurden, wirken zusammengestöpselt und disparat. Albrecht Schuch spielt Humboldt als seltsamen Vogel, der hektisch herumagiert und nie zur Ruhe kommt, letztlich ein Trottel. Mag diese Charakterisierung auch stimmen, verliert man doch schnell die Sympathie für diesen Mann. Der Mensch hinter dem Forscher wird kaum gezeigt, er gewinnt keine Konturen, zumal die Beziehung zu seinem französischen Mitforscher und treuen Begleiter Bonpland (Jérémy Kapone) auch keine Funken schlägt. Was dabei möglich gewesen wäre, zeigt Guy Ritchie mit dem witzig-ambivalenten Holmes-Watson-Duett in seinen Sherlock Holmes-Filmen. Humboldt, ganz der Aufklärer, legt sich mit Sklavenhändlern an, klettert auf Berge, zählt Läuse, katalogisiert und botanisiert: zu viele Themen und kurze Szenen werden aneinandergereiht und ergeben doch nur nette Bilder aus dem Urwald, gewürzt mit zwei Prisen Kolonialismuskritik und ein wenig Folklore, aber gar keine Charakterstudie. Das ist im Roman anders. Als Leser schüttelt man den Kopf über dieses naive Genie, dem jede Form von sozialer Einfühlung fehlt. Mitleid und Staunen halten sich die Waage, der Respekt vor diesem Wissenschaftswahnsinnigen geht aber – im Gegensatz zum Film – nie ganz verloren. Das meiste steht zwischen den Zeilen und wird vom Leser ergänzt. Dafür hätte der Film Blicke, Gesten. Stattdessen wird munter drauf los getrottelt. Wenigstens eine wirklich berührende Szene hätte der Rolle und diesem Teil der Doppelbiographie gut getan.
Dem Episodenhaften der literarischen Vorlage versucht Buck mit sich wiederholenden Motiven, wie einer weißen Feder, oder einem wunderbaren Szenenübergang, bei dem sich die horizontal geteilte Splitscreen dreht und so dem anderen Handlungsstrang den Vorrang gibt, durch Klammern entgegen zu wirken. Auch die Erzählerstimme oder die eingefügte Rahmenerzählung mit einem tibetischen Lama dienen wohl diesem Zweck. Es ist aber letztlich ganz einfach: wenn man den Akteuren gern zuschaut, sind einem Handlungssprünge und Szenenwechsel relativ egal. Dies funktioniert nur bei der Gauß-Handlung.
Im Kleinen, im Lustigen brilliert der Film, mit hochkarätigen Nebendarstellern wie Sunnyi Melles als skurril-hysterischer Mutter Humboldts und Katharina Thalbach als trampeliger, aber herzensguter Mutter von Gauß. Oder mit entlarvenden Darstellungen der herzöglichen Kleingeistigkeit, einem Ignoranten als Landesfürsten (herrlich überzeichnet, mit grauenhaften Zähnen: Michael Maertens) und einem wissenschaftsfeindlichen Offizier, der in verzerrender Großaufnahme seines Gesichts dem kleinen Gauß die »Spielerei« mit den Zahlen austreiben will. Auch der harte aber für den kleinen Gauß sich einsetzende Dorflehrer Büttner ist überzeugend verkörpert von Karl Markovics. Die historische Epoche ist plakativ und eindrucksvoll in einer Barbierszene zusammengefasst: im wahrsten Sinne des Wortes zum Schreien ist die Zahnziehung mit der Eisenzange. Am Ende des Films kommen dann auch noch Kehlmann und Buck selbst auf die Leinwand. Das ist auch nett, trägt aber zu dem Gesamteindruck bei, dass zu viele Einzelstücke zusammengetragen wurden und kein Ganzes entstanden ist. Die Hauptstärken des Buches, die stilistische Geschlossenheit und der feine Humor, finden in der Verfilmung keine kongeniale Umsetzung. Die Urwaldszenen und die deutsche Provinz finden nicht zueinander, der Humor lässt es nur krachen. Dies konnte auch der Autor nicht retten, der vielleicht zu oft sein Buch einfach nur bebildern oder einige schöne Romansätze ins Drehbuch bringen wollte. Autoren, lasst die Finger von Euren Roman-Verfilmungen!
Der Film für sich genommen verdient einen guten Sendeplatz am Wochenende im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (gern auch als Serien-Zweiteiler), großes, packendes Kino sieht anders aus.