Australien/Türkei/USA 2014 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Russell Crowe Drehbuch: Andrew Knight, Andrew Anastasios Kamera: Andrew Lesnie Darsteller: Russell Crowe, Olga Kurylenko, Yilmaz Erdogan, Cem Yilmaz, Jai Courtney u.a. |
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Selbstkritisch und multiperspektivisch |
Der Erste Weltkrieg in Deutschland ist bis auf wenige Ausnahmen meist die anderen. Das ist gut abzulesen an den 100-jährigen Jubiläen, die gerade begangen werden: die erste Flandernschlacht, der Beginn des Genozids gegen die Armenier und jetzt gerade – Galipoli. Für die Verlierernation dieses Krieges mag das selbstverständlich sein, für die Gewinner keinesfalls. Besucht man etwa die Kriegsgräber von Ypern, der für Engländer wohl wichtigste Ort des Andenkens, findet man noch heute Schulklassen durch die Grabreihen defilieren, Gedichte rezitieren und ehemaligen Schülern ihrer eigenen Schule gedenken, die damals altersgleich waren, als sie in den Krieg zogen. Eins der eindrücklichsten, wunderschön geschriebenen Bücher, die das Grauen, aber auch die Ambivalenz, mit der die Truppen in Flandern verheizt wurden, beschreibt, erschien erst 2005, Sebastian Barrys »A long long way«, in dem vor allem die hierzulande völlig unbekannte irische Perspektive eine Stimme erhält.
Was für England Ypern ist, ist für Australien Gallipoli. Als Peter Weir in den 1970ern durch Europa reiste, stand selbstverständlich auch die kleine Insel auf seinem Reiseplan. Der Besuch reichte aus, Weir zu seinem 1981 erschienenen Film Gallipoli zu inspirieren, ein Film der für Jahre das Verhältnis Australiens zu England erschütterte, weil Weir in seinem Film wie Barry in seinem Roman die Arroganz des englischen Befehlsstabs gegenüber den nicht originär englischen Soldaten, in diesem Fall den ANZAC-Truppen (Australian and New Zealand Army Corps) in den Vordergrund stellte. Weirs Film gilt seit einigen Jahren gerade in Bezug auf das tendenziöse England-Bashing als historisch nicht mehr ganz korrekt. Vielleicht sah auch deshalb Russel Crowe (Romper Stomper, Gladiator, Noah) die Chance gekommen sich nicht nur mit einer ersten Regiearbeit zu versuchen, sondern auch Gallipoli aus einer neuen Perspektive zu betrachten.
Anders als Weir interessiert sich Crowe in Das Versprechen eines Lebens kaum für die Rolle der Engländer, stattdessen fokussiert er schon in den Anfangsszenen vor allem auf den Gegner, die Türken, die die ANZAC-Truppen unter eigenen massiven Verlusten zwar aus Gallipoli vertreiben konnten, am Ende aber den Krieg verloren. Erst dann beginnt Crowe sich auf die Kernhandlung zu konzentrieren: die Geschichte des australischen Farmers Joshua Connor, der, von Crowe selbst verkörpert, seine drei in der Schlacht von Galipoli gefallenen Söhne in heimischer Erde begraben will. Connor stößt dabei nicht nur auf den Widerstand der englischen Offiziellen, sondern wird, ohne viel davon zu verstehen, schlagartig in die Nachkriegswirren am Bosporus gezogen. Dass es den Drehbuchautoren Andrew Anastasios und Andrew Knight gelingt, in diesen Konflikt auch noch eine überzeugende Liebesgeschichte einzufädeln, mag letztendlich den Erfolg erklären, den The Water Diviner in Australien im letzten Jahr hatte. Er wurde nicht nur zum erfolgreichsten australischen Film 2014, sondern gewann 2015 auch drei AACTA Awards – den Hauptpreis um die beste Regie musste er sich allerdings mit Jennifer Kents Babadook teilen.
Doch dürfte es die Liebe allein nicht sein, die Crowes Film in Australien zum Erfolg hat werden lassen. Galipoli ist weiterhin einer der wichtigsten Marksteine australischen »Nation-Buildings«. Nur vierzehn Jahre nach der Gründing der »Federation of Australia« war Galipoli die erste Schlacht, in der Australien als eigene Nation in weltpolitische Erscheinung trat. Wie wichtig diese Jahre für die konservative nationale Psyche Australiens sind, zeigt nicht nur der Erfolg von Crowes Film, sondern auch die empörten Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Tweets des australischen TV-Moderators Scott McIntyre im April dieses Jahres. McIntyre bezeichnete die Gedenkfeiern für die australischen Opfer im Ersten Weltkrieg, den »Anzac-Day«, als Glorifizierung einer imperialistischen Invasion und erinnerte außerdem an Massen-Erschießungen und weit verbreitete Vergewaltigungen durch australische Truppen. McIntyre wurde von seinem Sender fristlos entlassen; der Shitstorm, der sich über ihn ergoss, schien aus allen Lagern kommen und reichte bis zum Kommunikationsminister der konservativen Regierung, Malcolm Turnbull.
Crowe arbeitet diesen nationalistischen Verwerfungen zwar in die Hand – »seine« Australier entsprechen der damals geformten Legende vom »australischen Korpsgeist« in fast allen Belangen – aber gerade in Bezug auf den an der Sinnhaftigkeit des Heldentums zweifelnden Joshua, gelingt es Crowe auch Kritik anzubringen. Denn Joshua schreibt die Schuld am Tod seiner Söhne weder den Türken noch den Engländern zu, sondern sieht sich letztendlich selbst in der Schuld. Während er noch verwirrt über erwachende Gefühle zu der türkischen Kriegswitwe Ayshe (großartig: Olga Kurlenko) ist und sich gleichermaßen von seiner Vergangenheit zu emanzipieren beginnt, erkennt er, dass seine Söhne noch am Leben wären, hätte er sie nicht in dem damals üblichen, gesellschaftskonformen, nationalistischen Pathos erzogen.
Dieser durchaus selbstkritische Ansatz und Crowes unbedingter Wunsch nach einer multiperspektivischen Sichtweise machen Crowes Das Versprechen eines Lebens zu einem wichtigen und immer wieder berührenden Baustein zur Erklärung unserer jüngeren Geschichte, mehr noch als durch den Film Gefühle evoziert werden, die sonst nur zwischen den Gräbern von Ypern oder Galipoli entstehen – das rare Verstehen, warum der Erste Weltkrieg tatsächlich ein Krieg der ganzen Welt gewesen ist. Diese Stärken trösten letztlich auch über einen wunden Punkt von Crowes Film hinweg: das völlige Ausklammern des türkischen Genozids an den Armeniern, der fast zeitgleich mit der Schlacht um Galipoli einsetzte.