B/L/F/D 2009 · 98 min. · FSK: ab 0 Regie: Sam Garbarski Drehbuch: Philippe Blasband, Jérôme Tonnerre Kamera: Jeanne Lapoire Darsteller: Léo Legrand, Pascal Greggory, Jonathan Zaccaï, Alexandra Maria Lara u.a. |
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Wenn Väter nicht reden – vertraute Fremde |
»Wir leben wie wie träumen – allein«, resümiert Joseph Conrad schauerlich-schön im »Herz der Finsternis«. Nicht viel weniger ernüchternd geht es in dem Manga-Opus von Jiro Taniguchi zu, der auf dem großen Comic-Salon in Angoulême 2003 den Preis für das beste Szenario erhielt, sich allerdings anders als Conrads Eintauchen in die menschliche Phylogenese der vertrauten Fremde einer individuellen Vergangenheit nähert. Aber nicht nur weil mit dem preisgekrönten Szenario gleichsam ein nahezu komplettes (und bis in feinste Details komplexes und in weiten Teilen dann auch übernommenes) Drehbuch vorlag, das sich zudem fast in jeden Kulturraum einbetten lässt, mag Sam Garbarski zu einer Verfilmung dieses Stoffes verleitet gewesen sein. Es ist auch die Geschichte selbst, die offensichtlich in Garbarskis Interessenpool fällt. Hatte er 2007 in Irina Palm eine Frau porträtiert, die mit Mitte 50 noch einmal neue Wege im Leben ging, so konnte Garbarski mit Taniguchis Comic-Vorlage den Weg eines Mannes Mitte 50 verfolgen, der ebenfalls mit seiner Identität am Hadern ist, der aber nicht die Gegenwart in ihrer trügerischen Vielfältigkeit umarmt, sondern die verklärte Ambiguität der Vergangenheit wählt.
Comic-Autor Thomas, vielleicht ein wenig zu somnambul von Pascal Greggory gegeben, ist gefangen in dem Rollenmodell des klassischen, stummen Vaters. Die Kinder, die Frau und irgendwie auch der Beruf – der im Comic nicht spezifiziert, dafür aber eine umso liebevollere Film-Hommage an das Genre Comic ist – ziehen an Thomas vorbei, der nur mehr fähig ist, still und stumm zu folgen. Nach einem ernüchternden Auftritt auf einem Comic-Salon nimmt er abwesend den falschen Zug und landet wider Erwarten in seiner Heimatstadt. Bei dem erzwungenen Kurzaufenthalt in der vertrauten Fremde registriert Thomas nicht nur den Kleinstadttod der einstigen Idylle, auch alte Ängste und Traumata drängen sich vermehrt in Thomas Bewusstsein – eine nie ausgesprochene Liebeserklärung; der frühe Tod der Mutter, den Thomas mit dem plötzlichen Verschwinden des Vaters in seiner frühen Jugend erklärt, ohne aber zu wissen, warum der Vater eigentlich verschwunden ist.
Thomas erhält die seltene Chance, die Rätsel und Versäumnise seiner eigenen Vergangenheit und Identität zu lösen. Eine Zeitschleife katapultiert ihn in den Sommer seiner frühen Jugend, wenige Wochen vor dem Verschwinden des Vaters. Im Körper des 14-jährigen erlebt der Erwachsene eine therapeutische Befreiung, die ein wenig an die psychodramatischen Elemente von Jacob Levi Moreno erinnern – ein wahres zweites heilt ein ungutes erstes Mal. Doch wie so oft ist nicht immer das, was wir uns wünschen, das, was wir eigentlich wollen, bleiben die Dinge, die sich geändert haben, die gleichen. Ein Vietnam ohne Krieg, das doch verwüstet ist, die unerfüllte Liebe Meryl Streeps und Robert de Niros in Ciminos The Deer Hunter, die ihre Erfüllung dann doch auf einer ganz anderen, überraschenden Ebene finden. Das Erkennen dieser Mechanismen in ihrer feinstofflichen Größe scheinen auch für Thomas ausreichend, den Alltag neu zu formatieren, nicht mehr nur zu überleben, sondern zu leben und dabei gleichzeitig die von (Vater-) Generation zu (Vater-) Generation überlieferten Pattern hinter sich zu lassen.
Garbarski findet für die Adaption dieser Geschichte einen eigenen, vom Comic losgelösten Rhythmus. Mit der filigran eingebetteten, suggestiven Musik von Air sowie einem überzeugenden Darstellerensemble emanzipiert sich der Film überraschend stark von seiner Vorlage, nur um sie am Ende dann doch noch einmal zu hofieren, als Thomas im Zug zurück nach Hause dem Autoren der Geschichte, dem leibhaftigen Jiro Taniguchi, gegenübersitzt und einem Joseph Conrad ein letztes Mal in den Sinn kommt: »Dem Traum folgen, immer wieder dem Traum folgen – und so bis zum Ende.«