Deutschland 2006 · 87 min. · FSK: ab 16 Regie: Angelina Maccarone Drehbuch: Susanne Billig Kamera: Bernd Meiners Darsteller: Kostja Ullmann, Maren Kroymann, Moritz Grove, Sila Sahin u.a. |
![]() |
|
Maren Kroymann und Kostja Ullmann |
Im Kino ist man, was die Varianten der Liebe angeht, einiges gewohnt – so glaubt man zumindest. Es gehört zu den Qualitäten von Verfolgt, dass dieser Film deutlich macht, welche offenen wie unausgesprochenen Grenzen aber immer noch existieren. Verfolgt erzählt von der Beziehung zwischen einer 50-Jährigen Frau und einem 16-jährigen Jüngling. Das sprengt den Konsens, erst recht, weil die Frau namens Elsa Seifert glücklich, wenn auch etwas gelangweilt verheiratet ist, weil sie Sozialarbeiterin und er ihr Schützling, ein straffällig gewordener Jugendlicher, ist. Und weil es zu allem Überfluss auch noch zunehmend sadomasochistische Züge bekommt.
Der Film von der deutschen Filmemacherin Angelina Maccarone – die ihren Namen dem italienischen Vater verdankt –, dreht den Spieß des auch im Kino sattsam ausgereizten Geschlechterkampfes einmal um. Maren Kroymann, die man viel zu wenig auf der Leinwand sieht, spielt eine 50-Jährige, die ein mit ihrem 16-jährigen Schützling beginnt. Eine Geschichte, die frei von Voyeurismus verletzliche, einsame Figuren zeigt – und sexuelle Passion. Beides sind wichtige, länger nicht gesehene Themen im deutschen Kino, denen sich Maccarone mit Sensibilität annimmt. Die Sexszenen sind überaus diskret gedreht – weitaus weniger als etwa Patrice Chereaus Intimacy interessiert sich Verfolgt für Körperlichkeit und visuelles Neuland. Im Zentrum stehen vielmehr die Intimität der Seelen, die moralische Frage des Sexes mit Abhängigen und Schutzbefohlenen und die Identitätsprobleme der Hauptfigur Elsa. Denn diese kühle, rationale Frau lernt im Laufe des Films eine andere Seite an sich selbst kennen, und diese Erfahrung erschüttert sie zutiefst. Hinzu kommt das Thema Sadomasochismus, das selbst in anspruchvollen Filmen, wie Die flambierte Frau eher sensationalistisch dargestellt wurde. Aber es ist als gesellschaftliches Phänomen durchaus weiter verbreitet, als es manchen Moralwächtern lieb ist.
Was man Maccarone vielleicht vorwerfen muss, ist dass sie ihren Film mit diversen Themen etwas überfrachtet hat, und er dadurch mitunter schwerblütig wirkt, auch zum Thesenfilm gerinnt. Dass der Film in Schwarzweiß gehalten ist, betont in diesem Fall seine Künstlichkeit. Maren Kroymanns ausgezeichnetes, nuanciertes Spiel macht aber vieles wett. Und ihr Bestehen auf Niveau, darauf, dem Zuschauer nicht alles mundgerecht und leicht konsumierbar zu präsentieren, ist Maccarone zugute zu halten. Ein ungewöhnlicher Film von einer vielversprechenden Filmemacherin, der zu recht im August den Goldenen Leopard von Locarno gewann.
Trotzdem zum Abschluss noch eine ketzerische Anmerkung: Stellen wir uns einmal einen Film vor, in dem ein 50-jähriger Mann etwas mit einer 16-Jährigen anfängt, in der ein sadomasochistisches Verhältnis zwischen beiden geschildert wird, das beide genießen.
Wie wäre das aus geschlechtertheoretischer Sicht? Wie würden viele Kritikerinnen über diesen Film schreiben? Und wie über ihre männlichen Kollegen, die den Film hochjubeln? Genau dies, und manches mehr passiert aber
ziemlich distanzlos gerade mit umgekehrten Geschlechterrollen im Fall von Verfolgt. Der Film hätte das alles nicht nötig.