Veni Vidi Vici

Österreich 2024 · 86 min. · FSK: ab 16
Regie: Daniel Hoesl, Julia Niemann
Drehbuch:
Kamera: Gerald Kerkletz
Darsteller: Laurence Rupp, Ursina Lardi, Olivia Goschler, Kyra Kraus, Tamaki Uchida u.a.
Veni Vidi Vici
Der Maynard, sein Spross und Butler Alfred (v.l.)
(Foto: Grandfilm)

Noch nicht einmal mit allen Wassern gewaschen

Daniel Hoesl und Julia Niemann sezieren in »Veni Vidi Vici« den ausgeschamten Austro-Libertarismus

Kurz, Kickl, Musk & Maynard: Die Filme­ma­cher Daniel Hoesl und Julia Niemann haben die Reihe der liber­tären, im rechten Spektrum anzu­sie­delnden super­rei­chen Ausge-schamten einfach um einen Namen ergänzt. Ihr Film Veni Vidi Vici, »ich kam, sah und siegte«, folgt der Formel des Feld­herren und Impe­ra­tors Julius Caesar, der damit die Schnel­lig­keit und Leich­tig­keit seiner Siege meinte. Auch Amon Maynard (Laurence Rupp), den Milli­ardär und Fami­li­en­men­schen, kann keiner stoppen. »Work hard, play hard«, die Arbeit­geber-Formel für die Ausbeu­tung von Mitar­bei­tern, wendet er auf ziemlich schräge Weise auf seinen eigenen Arbeits-, Familien- und Frei­zeit­sektor an, und geht mit einfachen Lebens­for­meln, die sein Tun schön­reden, durch die Welt. In einer radikalen Selbst­be­zo­gen­heit, die nicht ausschließt, dass er ein liebender Fami­li­en­vater von möglichst vielen Kindern ist. Zur Not ginge auch die Leih­mutter für die Erfüllung seiner Fort­pflan­zungs­in­ter­essen. Erinnert irgendwie an …

Hoesls und Niemanns Film kommt zur richtigen Zeit in die Kinos. Die Antennen sind von der Schock­nach­richt aus der benach­barten Alpen­re­pu­blik noch ausge­fahren, gerade wunderte sich der öster­rei­chi­sche Schrift­steller Elias Hirschl in der »Süddeut­schen Zeitung« laut und satirisch darüber, warum in seinem Land (ergänzt werden muss: nicht nur dort) alle immer davon­kommen, unge­schoren. »Was für ein riesiger Aufreger der Ibiza-Skandal damals war. Heute komplett egal.« Auch Trump bereitet sich derzeit auf seine größten Coups vor, den Sturm aufs Capitol vor vier Jahren wird er nach dem 20. Januar durch Amnestie der Amnesie zuführen, Grönland und Kanada will er sich einver­leiben und den Golf von Mexiko zum Golf von Amerika umbe­nennen.

»The point is, who will stop me«, stellen Hoesl und Niemann ihrem Film als Motto voran, ein Zitat von Ayn Rand, Gali­ons­figur des liber­tären Denkens. Moralität begründe sich nach ihr in ratio­nalem Selbst­in­ter­esse und scham­loser Kapi­tal­an­häu­fung, das Indi­vi­duum zählt alles, das Kollektiv nichts. Und so ist, wenn in dem Film Amon Maynard mithilfe der lokalen Politiker eine Batte­rie­fa­brik auf nicht ausge­wie­senem Baugrund errichtet, sein Verspre­chen von einer prospe­rie­renden Zukunft auch kein Akt der Nächs­ten­liebe, sondern dient vor allem dazu, das eigene Vermögen zu mehren und seinen Einfluss auszu­bauen. Der Gedanke an Grünheide und Tesla wird an dieser Stelle geradezu uner­träg­lich aufdring­lich.

Julia Niemann und Daniel Hoesl haben sich bei Hoesls Debüt Soldate Jeannette, einem Film, der von gren­zen­losen Kauf-Exzessen im Luxus­seg­ment erzählt, kennen­ge­lernt und seitdem gemeinsam an sarkas­ti­schen, kapi­ta­lis­mus­kri­ti­schen Filmen gear­beitet; erstmals ist Niemann bei einem Spielfilm in Co-Regie beteiligt. Produ­ziert hat Ulrich Seidl. Das verspricht neben den ökono­misch mora­li­schen Abgründen auch mensch­liche Boden­lo­sig­keiten.

So kommt neben dem poli­ti­schen Parkett, auf dem die Betei­ligten keines­falls ausrut­schen, vielmehr unge­schoren ihre Pirou­etten drehen, ein ganz beson­deres Frei­zeit­ver­gnügen von Maynard ins Spiel. Er geht, wie viele seiner Lands­leute, gerne zur Jagd, Jagen ist ja sowieso ein harmloser Volks­sport. Aber er jagt keine Tiere, sondern alles, was ihm sonst so in die Quere kommt und den Blick auf die schöne Alpen­land­schaft trübt. Als Sniper hat er viel zu tun, für ihn geht es aber auch um die Work-Life-Balance.

Die Bilder von Gerald Kerkletz (der auch Soldate Jeannette foto­gra­fiert hatte) sind clean, aseptisch, wohl­kadriert und unter dem durch­ge­hend strah­lenden Sonnen­licht stets leicht über­be­lichtet. Das setzt einen unter­schwel­ligen Dauer­zy­nismus frei, stehen sie doch in diame­tralem Gegensatz zu dem mora­li­schen Schmutz, in dem mit beiden Händen die Prot­ago­nisten wühlen. Der konter­ka­rie­rende Gegensatz passt zur einge­nom­menen Thesen­haf­tig­keit von Veni Vidi Vici, der keine Ambi­va­lenzen aushalten möchte, lieber in der Klarheit der Bilder von eindeu­tiger Abgrün­dig­keit erzählt.

So darf die üppige Ausstat­tung der Maynard-Villa an die Jeff-Koons-Instal­la­tion im Schloss Versailles erinnern, die halb­wüch­sige Tochter Paula (Olivia Goschler), ein echter Maynard-Spross, in Babyrosa als gestalt­ge­wor­denes Super-Softeis herum­laufen. Als Erzäh­lerin verleiht sie dem abgrün­digen Glamour-Universum der Upper-Class kindlich-kindische Merksätze, die es an schlichter Prägnanz nicht fehlen lassen. Wie: »Mein Foul war first class. An die Regeln kann sich jeder halten. Ich bin dafür zu kreativ. Und der Erfolg gibt mir recht.« In dieser Welt ist einfach gar nichts doppel­bödig.

Mit der Trans­pa­renz der Bilder und Sätze sezieren Hoesl und Niemann uner­bitt­lich die Folgen­lo­sig­keit des zeit­genös­si­schen liber­tären Wirkens. Maynard darf trotz allem bei einge­spielter Austriaco-Walz­ermusik der liebende Fami­li­en­vater sein. Da passt es, wenn Elias Hirschl einen Mythos verab­schiedet: »Dass Partei XY sich schon entzau­bern werde, sobald sie einmal an der Macht ist – als ob der verrückte Axtmörder sich entzau­bern würde, sobald wir ihm nur genug Äxte geben und totale Straf­frei­heit gewähren.« Der Maynard ist noch nicht einmal mit allen Wassern gewaschen. Aber er kommt halt immer davon.

Das Böse in der Achtsamkeitsgesellschaft

Mord ist sein Hobby: Die österreichische Komödie von Daniel Hoesl und Julia Niemann erzählt von maßlosen Superreichen und ist für das Kino ein Glücksfall

»The Point is, who will stop me?«
– Ayn Rand (1905-1982)

»Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren« – also sprach Donald Trump, noch bevor er 2016 erstmals zum US-Präsi­denten gewählt wurde. Diese Sätze nimmt jetzt eine schwarze Komödie und Gesell­schafts­sa­tire aus Öster­reich ganz wörtlich: Im Mittel­punkt von Julia Niemanns und Daniel Hoesls Veni Vidi Vici [In unserem Podcast haben wir mit den beiden Regis­seuren gespro­chen] steht ein Super­rei­cher, der gern am Morgen mit dem Jagd­ge­wehr auf Passanten Jagd macht. Warum? Weil er es unge­straft kann.
Um dieses Gefühls­set­ting geht es in der Satire. Der Film führt einen Typus vor, der unsere Demo­kratie gefährdet und nach persön­li­chen Launen und Begierden mani­pu­liert, und der uns nur allzu bekannt vorkommt: An Elon Musk, Jeff Bezos und eben Donald Trump und ihre europäi­schen Hand­langer darf man nicht nur denken, man soll es.

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Amon Maynard ist ein Patriarch neuer Schule: Er kennt die unge­schrie­benen Regeln der Acht­sam­keits­ge­sell­schaft, und er weiß, wie man sich korrekt benimmt, ohne irgendwo Anstoß zu erregen. Keinem Tier würde Amon etwas zuleide tun. Menschen aller­dings schon.
Denn die Work-Life-Balance ist schließ­lich wichtig. Und für diese, also zur Entspan­nung, geht dieser amora­li­sche Super­reiche am Morgen in Jogging­kla­motten auf die Jagd. Eine Jagd nach Menschen. Seine Beute in einem Spiel auf Leben und Tod sind beliebige Personen: Radfahrer, Passanten, am liebsten Obdach­lose und Sans Papiers. Der Butler begleitet ihn und fungiert als Tatort­rei­niger. Denn der Chef macht sich die Hände natürlich nicht selbst schmutzig. Dann fährt der Butler seinen Chef zur Arbeit.
Amon, dessen Vorname viel­leicht doch nicht ganz zufällig an Amon Göth erinnert, der als Schlachter des Krakauer Ghettos und KZ-Komman­dant von Plaszow im Spielberg-Film »Schind­lers Liste« zu schil­lerndem posthumen Schurken-Ruhm gekommen ist, ist sich sicher, all dies straffrei tun zu können. So wie alles andere, was er möchte. Warum? Weil er es kann.

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Das »Reali­täts­prinzip« (Jacques Lacan) mit seiner Möglich­keit der Enttäu­schung ist nicht für alle gleich. Es ist für einen solchen Menschen ein anderes.

Um dieses Gefühls­set­ting geht es in diesem Film, um die Welt von Multi­mil­li­ar­dären, die gerade unsere Demo­kratie unter­höhlen und nach ihren Gelüsten umge­stalten – weil ihnen nichts entge­gen­ge­setzt wird oder werden kann. Der Film verur­teilt das nicht, er schildert die Psyche und die insti­tu­tio­nellen Mecha­nismen, die ihr Raum geben, und ihre Exzesse ermög­li­chen.

Amons Frau Viktoria ist mit ihrem entwaff­nenden Lächeln für die PR und die öffent­lich-mediale Außen­wir­kung zuständig und das Bilder­buch­glück in der Öffent­lich­keit. Auch ihr Beruf als Anwältin der Ernied­rigten und Belei­digten hilft dabei, wie die zwei kleinen, nicht-weißen Adoptiv-Kinder »mit Migra­ti­ons­bio­gra­phie«, die das Bild der glücklich-diversen Familie perfek­tio­nieren.

Die Maynards sind freund­lich, kulti­viert, intel­li­gent – man könnte mit ihnen einen lustigen Abend verbringen.
Das Ehepaar liest gern die rechts­li­ber­täre Philo­so­phin Ayn Rand und hört gern Mozart. Ihre älteste Tochter, die 13-jährige Paula, ist ganz das Kind ihrer Eltern. Sie erzählt die Ereig­nisse im Film aus dem Off, und bringt uns die »schweren Entschei­dungen« näher, die ihr Vater treffen muss.

Paula ist frus­triert darüber, dass sie keine von Amons zahl­rei­chen Waffen gebrau­chen oder ihn auf seinen Jagd­aus­flügen mit Alfred begleiten darf. Paula ist überzeugt, dass sie ihren Mitmen­schen überlegen ist und daher tun und lassen darf, was sie will, bis jemand sie aufhält.

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Man lernt schnell, auch im Publikum: Alle wissen, was sie tun. Grau­sam­keit ist Lust­ge­winn aus dem Leiden der Anderen. Mehr oder weniger sind wir alle verführbar, Mitmen­schen zu quälen.
Geld ist kein Selbst­zweck. Sondern die Macht des Geldes ist die Möglich­keit, sich frei­zu­kaufen von Schuld und Rücksicht.

Inter­es­sant, dass sich gerade in diesem Fall die Film­kritik sehr aufge­klärt und kunst­film­kri­tisch gibt. Da heißt es dann: »Die Intention des kapi­ta­lis­mus­kri­ti­schen Films ist klar, aber nicht neu.«

Das ist erst mal eine leere Behaup­tung. Denn welcher andere Film würde einen Kapi­ta­lismus mit diesen Mitteln kriti­sieren, welche anderen Firmen wären ähnlich sarkas­tisch?

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Daniel Hoesl und Julia Niemann – die zum zweiten Mal in Co-Regie arbeiten – machen aus ihrer Faszi­na­tion für die Welt der oberen Zehn­tau­send kein Hehl und scheuen auch vor Gren­zü­ber­schrei­tungen nicht zurück. Was manche im Publikum als Zumutung empfinden werden, ist für das Kino ein Glücks­fall.

Zynismus und Menschen­ver­ach­tung darf man dem Film nicht vorwerfen. Wer das tut, verwech­selt das Thema mit der Haltung der Film­künstler. Hier ist alles gewis­ser­maßen in Anfüh­rungs­stri­chen gefilmt.

Die Regis­seure knüpfen in dieser Arbeit an Strö­mungen im aktuellen europäi­schen Autoren­kino an, wie die Filme ihres Lands­manns Ulrich Seidl, der diesen Film produ­ziert hat. Ebenso an den Schweden Ruben Östlund und dessen bürger­liche Selbst­zer­flei­schungs­sa­tiren The Square und Triangle of Sadness. Und an den grie­chi­schen Solitär Yorgos Lanthimos.

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The Most Dangerous Game hieß 1932 ein Film der späteren »King Kong«-Macher Merian C. Cooper und Ernest B. Schoed­sack, der berühmt wurde, aber dann doch im Schatten des Riesen­affen vergessen. Das »Spiel« ist die Menschen­jagd eines Reichen. Dieser Pulp-Stoff und die in ihm liegenden Motive levia­tha­ni­scher Allmacht, Cäsa­ren­wahns und des König-Midas-Syndroms werden in diesem Film zeitgemäß und sozusagen »achtsam« variiert. Der beste »Safe Space« ist immer noch das Bankkonto eines Multi­mil­li­ar­därs und die Macht, die es ihm verleiht.

Wer müsste bei solchen mythi­schen Geschichten nicht auch an Donald Trump denken. Wie König Midas lebt er buchs­täb­lich in einer goldenen Welt. In jeder Hinsicht ein Glücks­ritter ist er aber geblieben, der immer oben schwimmt und von dem die Welt heute nicht weiß, was seine Pläne, die jetzt eben die ganze Welt betreffen, sein werden.
Auch der Titel »Veni Vidi Vici« geht auf einen Macht­men­schen zurück, der Grenzen nicht aner­kennen wollte und diese für sich selbst neu definiert hat, auf den berühmten Ausspruch von Julius Caesar zurück: Ich kam, sah siegte. Es ist dies das Sieger­ge­fühl eines Menschen, der glaubt, dass die Welt ihm gehöre und er unbe­siegbar ist.

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»Wo bleibt der Aufstand? Warum lassen die Menschen sich das gefallen?«, jammert Amon irgend­wann im Film und wird da plötzlich unter­kom­plex. Seine Tochter Paula könnte ihm das erklären. »Meinem Vater kriechen genügend Leute in den Arsch. Er ist Investor. Alle wollen ihm gefallen.« sagt sie irgend­wann in diesem Film.

Der einzige Einwand, den man gegen diese Geschichte womöglich erheben könnte, ist darum der, dass sein Bild des mordenden und über reale Leichen gehenden, real blut­be­su­delten Super­rei­chen am Ende doch gar nicht so schwarz-bitterbös, sondern allzu idea­lis­tisch ist. Denn die wahren Schurken sind nicht die, die zur Waffe greifen, es sind die Schreib­tisch­täter, die mit einer Unter­schrift, einem Anruf oder einer Bankü­ber­wei­sung nicht über einzelne Leichen gehen, die dann auch nicht wegge­schafft werden müssen. Sondern sie gehen über Leichen­berge. Darunter tun sie es gar nicht

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In der Geschichte von König Midas wusch sich dieser am Ende in einem Fluss rein, und verwan­delte sich zurück in einen Menschen, der auch soziale Verant­wor­tung trägt. Auch dieser Film endet an einem Fluss. Hier fällt der letzte Schuss des Films.
Dieser Film ist ein Spie­gel­bild der Privi­le­gien der Wohl­stands­ge­sell­schaft und der fakti­schen Unberühr­bar­keit der Reichen und Mächtigen dieser Welt. Er ist bildschön und stilvoll gefilmt. Weit­win­kel­auf­nahmen halten auf Distanz und formu­lieren eine sarkas­ti­sche Anklage unserer aller Dekadenz, eine Anklage des alltäg­li­chen White­washing durch Acht­sam­keits- und Diver­si­täts­rhe­torik; aber sie spielen auch wie ihre Figuren mit der Lust am Verbo­tenen – auch der klamm­heim­li­chen des Publikums.

Insofern ist diese heraus­ra­gende Komödie aus Öster­reich ein Film, der uns alle in die Verant­wor­tung nimmt.