D/F/Ö 2016 · 106 min. · FSK: ab 0 Regie: Maria Schrader Drehbuch: Maria Schrader, Jan Schomburg Kamera: Wolfgang Thaler Darsteller: Josef Hader, Barbara Sukowa, Aenne Schwarz, Matthias Brandt, Charly Hübner u.a. |
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Nicht die übliche Biopic-Dramaturgie |
Stefan Zweig stammte aus einer großbürgerlichen Wiener Familie, seine Bucherfolge als einer der meistgelesenen Autoren aus dem deutschsprachigen Raum gestatteten es ihm schon früh, das Leben eines berühmten Mannes zu führen. Bereits 1935, drei Jahre vor dem Anschluss ans Deutsche Reich, entschied er sich für die Emigration aus Österreich, die ihn über England und die Vereinigten Staaten nach Südamerika führte, wo er schließlich 1942 im brasilianischen Petrópolis seinem Leben ein Ende setzte. Vor der Morgenröte zeigt den Emigranten Zweig vor allem als öffentliche Person: er muss an Schriftstellerkongressen teilnehmen, auf pompösen Empfängen Tischreden halten, Ehrerbietungen von Provinzbürgermeistern über sich ergehen lassen, und er soll vor allem den vielen anderen Verfolgten aus Europa, die ihn um Bürgschaften ersuchen, helfen – doch es ist ihm unmöglich, allen Ersuchen nachzugehen, und er verliert sich zusehends in der Resignation. Zugleich weigert er sich beharrlich, das Regime, das ihn aus Europa vertrieben hat, öffentlichkeitswirksam zu verurteilen.
Maria Schrader und ihr Koautor Jan Schomburg nehmen sich der letzten Lebensjahre von Stefan Zweig in Form eines Episodenfilms an (mit sechs in Echtzeit erzählten Impressionen), sie entziehen sich also der üblichen Biopic-Dramaturgie und entgehen dadurch der Versuchung ein ganzes Leben in eine »melodramatische Erzählform zu pressen« (Jan Schomburg im Presseheft). Der eigentliche Auslöser für diese Erzählstruktur sei eine Rede eines anderen, heute längst vergessenen Exilautors namens Emil Ludwig (Charly Hübner) auf dem PEN-Kongress 1936 in Buenos Aires gewesen, mit der dieser sich lautstark und flammend gegen das Nazi-Regime und gegen Deutschland in Position brachte. Zu einer ähnlich pathetischen Wortmeldung konnte sich Stefan Zweig auf dem Kongress nicht durchringen. Ein Interview, das er vorher einer internationalen Journalistenrunde gewährt, entwickelt sich deshalb zu einem unangenehmen Kreuzverhör, das die Kernszene der ersten Episode und im Grunde des ganzen Films bildet. Josef Hader, man darf es auch in dieser Rezension nicht unterschlagen, verkörpert die zerrissene Titelfigur auf vorbildliche Weise, er spielt Stefan Zweig bemerkenswert beiläufig und lässt uns gleichwohl seine permanente Anspannung und zunehmende Bedrückung mit jeder Szene aufs Schmerzlichste spüren. Und gerade deshalb liegt es bestimmt nicht an Josef Hader, dass seine Figur in jener Interviewszene seine skrupulösen Gegenargumente druckreif formuliert und im Verlautbarungsduktus sprechen lässt, was dem Szenario dann doch ein gehobenes Reenactment-Flair verleiht.
Im Epilog sieht man in einer einzigen starren Einstellung, gerichtet auf den Spiegel einer Schranktür, wie Stefan Zweig und seine Frau Lotte leblos auf ihrem Bett liegen und sich im Schlafzimmer ihres letzten Wohnsitzes ein unübersichtliches Gewusel breitmacht. Am Ende stößt noch sein Freund Ernst Feder (Matthias Brandt) dazu und liest Zweigs berühmten Abschiedsbrief vor: »Ich grüße alle meine Freunde, mögen Sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht…« Auch im tragischen Finale verharrt Maria Schrader stilsicher in ihrer dezidiert unmelodramatischen Erzählform. Indessen: Ein spekulativ-melodramatisches Gegenstück, in dem Zweigs ergebene Ehefrau Lotte (Aenne Schwarz) eine tragende Rolle übernimmt und das die Stunden vor dem gemeinsamen Selbstmord, sogar die Tat selber skrupellos ausweidet, das hat sich beim Verfassen dieses Textes gleichsam als Phantomfilm, als imaginäres Bonusmaterial bei mir eingeschlichen. Mal sehen, was man daraus noch machen kann.