USA 2018 · 115 min. · FSK: ab 12 Regie: Brady Corbet Drehbuch: Brady Corbet Kamera: Lol Crawley Darsteller: Natalie Portman, Jude Law, Stacy Martin, Jennifer Ehle, Raffey Cassidy u.a. |
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Labyrinthisches Konstrukt aus Verweisen | ||
(Foto: Atsushi Nishijima) |
Eine Passionsgeschichte. Nur knapp überlebt ein junges Mädchen mit einer schweren Wirbelsäulenverletzung ein Highschool-Massaker – doch zugleich wird sie dadurch über Nacht berühmt. Weil sie das »certain something« hat, das gewisse Etwas, wird Celeste zum Star. Danach suchen sie ihre inneren Dämonen über ihre gesamte Karriere heim. Sie ist schüchtern, aber entschlossen, zu rein für diese Welt und schon von ihrem Namen her ein himmlisches Geschöpf.
Der amerikanische Regisseur Brady Corbet, der immer noch jung ist, zeigt in seinem zweiten Spielfilm, wie etwas zu dem wird, was es ist. Corbet kennt das Star-Dasein aus eigener Anschauung. Denn der Amerikaner Corbet begann seine Karriere als Schauspieler – schon mit 12 Jahren als Kinderdarsteller in US-Fernsehserien, dann in Hollywood-Filmen und mit 18 dann bei den Besten der Besten des europäischen Autorenkinos: Bei Michael Haneke, Lars von Trier, Olivier Assayas und Mia Hansen-Love. Mit erst 27 wechselte der 1988 geborene Brady Corbet auf den Regiestuhl und wurde zum Shooting-Star des Weltkinos: The Childhood of a Leader hieß 2015 sein vielfach preisgekröntes Debüt in Venedig. Dort lief im Vorjahr auch Corbets zweite Kinoarbeit: In Vox Lux spielt Nathalie Portman, selbst ein ehemaliger Kinderstar, eine Art Alter Ego des Regisseurs: Eine junge Frau, die zum Star wird und von nun an die zwei Seiten ihrer Persönlichkeit zusammenhalten muss.
Corbet beschreibt die Geburt der Popkultur aus dem Highschool-Massaker. Genaugenommen sogar die Entstehung unseres ganzen Zeitalters. Er zeigt die Folgen von Radikal-Individualisierung und Reaganomics. Dieser Film ist, wie seinerzeit sein Regie-Debüt Childhood of a Leader ein geschichtsphilosophisches Portrait der geistigen Situation der
Gegenwart. Celestes prototypischer Charakter wird wie folgt beschrieben: »Her universal feeling of betrayal and exclusion mirrored that of the society.« Der Film macht spürbar, dass es mit uns alles so gar nicht weitergehen kann. Das Dasein als lebende Hölle ist die apokalyptische Signatur der Zeit.
Hier hilft er sich mit der Schilderung einer surrealen Erfahrung: »...during those moments between beeing dead and alive, she had met the devil.«
»One for the money. Two for the show.
Three to make ready. And four to go.«
Celeste steht in der Öffentlichkeit, im Zentrum der PR-Gesellschaft. Sie gibt Interviews, die aus dem Leim gehen, in denen sie aber auch viele kluge Sachen sagt und den Interviewern sinnloserweise darlegt, die Gegenwart werde überschätzt, die Vergangenheit wiederum versuche man aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen: »Alles heute ist gegen Vergangenheit gerichtet, man versucht Vergangenheit zu töten, zu vergessen.« Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit. Gekontert wird solche Klarsicht durch Selbstüberschätzung: »I am a new faith«. »I don’t want people to think, I just want them to feel good.«
Stilistisch ist Vox Lux sehr virtuos. Die Einflüsse von Michael Hanekes kühler Rationalität und von Bertrand Bonellos Ästhetizismus sind unübersehbar, von beider faszinierter Verachtung der Popkultur. Corbet ist ein Filmemacher voller Ambition und von enormem Selbstvertrauen. Er denkt in Bildern und er denkt genau. Auch formal ist dieser Film ein kompromissloses Kinowerk: Auf echtem 35mm, zwischendrin sogar 70mm Filmmaterial, auf Super-8 und Video gedreht, mit einer ambitionierten Bildsprache: ruhig, aber nie statisch, aus der Subjektiven gefilmt. Dazu die Orchester-Musik des kürzlich verstorbenen berühmten Rock-Avantgardisten Scott Walker – dieser Film hat immer wieder Momente der Perfektion.
Aufgebaut wie eine Symphonie hat dieser Reigen der Stars einen ironischen Grundton. Es wird bemerkt, wie sie auf den Rat kluger Leute bei ihrem ersten Lied im Text das »I« in ein »we« änderte, und dann das Resultat: »Simply put: It was a hit.«
Dieser Film ist zum Teil pure Satire, dann wieder ein Gesellschaftskommentar. Auch ein Trip. Wie Corbets erster Film ist dies ein labyrinthisches Konstrukt aus Verweisen, das fiktionale Figuren mit historischen Fakten und
Schlüsselereignissen aufs Eleganteste kombiniert, sie zu deren Augenzeugen macht. So kreiert der Film die albtraumhafte Version des gegenwärtigen Star-Zirkus, ob Lady Gaga in der Version von A Star Is Born, ob Portmans eigene regelmäßige Verkörperungen von Pop-Idolen (Black Swan», Jackie«), ob die Stars und Sternchen, die überall auf den großen Sprung hoffen und allzuoft versinken.
Im Zentrum der Geschichte steht Nathalie Portman als Celeste, eine Darstellerin die als Kinderstar begann und ihre sehr eigenen, persönlichen Erfahrungen und die entsprechende Glaubwürdigkeit in die Rolle einfließen lässt. Sie spielt in dieser Rolle auch ein bisschen ihre eigene Geschichte: Mit 13 wurde sie durch einen brutalen, auch ein bisschen exploitativen Film (Leon – der Profi), zum Weltstar. Und immer unter Beobachtung, experimentierend, verhärtend, beschimpft, gefeiert. Ein Weltstar unter Druck. Und man kann diesen Auftritt nicht sehen, ohne auch Black Swan mitzudenken. Jude Law ist als Celestes Manager zu sehen. In vier Kapiteln erzählt Corbet Werdegang, Durchbruch, und Celestes Leben 17 Jahre später, als der Weltruhm längst Routine und Belastung ist. Raffey Cassidy (The Killing of a Sacred Deer) spielt die junge Celeste, und dann auch deren Tochter.
Ein Teufelspakt. Corbets Frage, was es heißt, ein Star zu sein, was Stars überhaupt sind. Was ist ein Star? Heute, in der globalen und hoch-narzisstischen PR- und Instagram-Gesellschaft? Vox Lux zeigt, was Star-Sein bedeutet: Der Starbetrieb ist ein vampiristischer Betrieb, ganz oder gar nicht. Stars wie Celeste sind Täter und Opfer zugleich. Und der Film dringt hinter die Klischees vom kleinen unschuldigen verlorenen Mädchen, das angeblich in den Star-Körper eingeschlossen ist – nichts wäre weniger wahr. Celeste – und nicht nur sie – ist ein little lost girl, aber auch ein hoffnungsloser Fall, in ihr – und nicht nur in ihr – steckt nicht ein anderes besseres Ich, sondern womöglich – Nichts.
Kurz vor Schluss, kurz vor dem großen Konzert, das Celeste in roboterhafter Perfektion in Vox Lux gibt, sieht man, wie sich das private Wrack in einen Star verwandelt, man sieht alles: Die Hysterie, den Stress, die Drogen und das Zusammenreißen.
Dieses Zusammenreißen in der Öffentlichkeit ist die entscheidende Erfahrung, die Vox Lux vermittelt; der Kontrast zwischen dem Auftritt in der Öffentlichkeit, den smarten
(oder schein-smarten) Kommentaren für sie, und dem Abgrund des Privaten – und der hauchdünne Firnis, der das eine vom anderen trennt. Er wird hier sichtbar.
Corbets Frage lautet: Was heißt es, ein Star zu sein? Was sind Stars? Die Wege zum Ruhm sind hier das Gegenteil der idealisierten, religiös grundierten Idee vom Künstler als reinem Helden; für Corbet ist Kunst korrupt und ein von allen Lastern infizierter Spiegel der Dekadenz unserer Zeit. Die allerdings zeigt er in schillernder Pracht.