Deutschland 2020 · 110 min. Regie: Janna Ji Wonders Drehbuch: Janna Ji Wonders, Nico Woche Kamera: Janna Ji Wonders, Sven Zellner, Anna Werner Schnitt: Anja Pohl |
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Am Ende ist alles gleich, der Tod wie das Leben | ||
(Foto: DOK.fest München @home) |
»May your hands always be busy,
May your feet always be swift,
May you have a strong foundation
When the winds of changes shift.
May your heart always be joyful,
May your song always be sung,
May you stay forever young«
– Bob Dylan, Forever Young
Leben über Leben und verschiedene Erzählpositionen zu erklären, war schon immer Teil von Literatur und Film, doch durch den – wenn auch nur oberflächlichen – introspektiven Charakter der sozialen Medien scheint sich diese Entwicklung noch einmal verstärkt zu haben. Die Werke von Knausgård und Ernaux (und so viel anderer) sprechen und füllen Bände und Richard Linklaters Boyhood oder Sarah Polleys Stories We Tell zeigen wie ihre literarischen Antipoden, nicht nur wie ein oder mehrere Leben und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse sich über einen langen Zeitraum verändern, sondern dass auch der Erzähler oder im besten Fall die Erzähler (wie bei Polley) darüber entscheiden, was biografisch wahr ist und Teil der Erzählung kommender Generationen sein wird.
An diese von Polley zusätzlich kongenial semi-dokumentarisch erarbeitete Methode reiht sich auch die dokumentarische Lebensbetrachtung Walchensee Forever von Janna Ji Wonders, der bereits auf der diesjährigen 70. Berlinale lief, den Bayerischen Filmpreis für die beste Dokumentation erhalten hat, in der Sektion Münchner Premieren des DOK.fest München @home gezeigt wurde und für den Deutschen Filmpreis nominiert war.
Wie in Polleys Stories We Tell ergreift auch in Walchensee Forever das jüngste, »mündige« Familienmitglied zur Kamera, um über die Toten und Lebenden der eigenen Familie so etwas wie eine Ahnung von »Familienwahrheit« zu erarbeiten. Ohne auf nachgestellte Super-8-Aufnahmen wie bei Polley »zurückzugreifen«, füllt Wonders die Leerstellen, die nicht über das eigene Familien- und Freundes-Archiv abgedeckt werden, mit Fotos und alten Film-Aufnahmen auf, die von Wonders' Filmeditorin Anja Pohl atemberaubend, filigran und perfekt in den Rhythmus (und das Gefühl) der Zeit montiert wurden. Dazwischen sehen wir Wonders selbst vor und hinter der Kamera, wie sie mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter spricht und alten Familienfreunden wie dem Alt-Kommunarden Rainer Langhans oder ihrem amerikanischen Vater in den USA begegnet, um über die verschiedenen Perspektiven von fünf Generationen so etwas wie eine familiäre Wahrheit zu ermöglichen.
Dass dabei über die persönliche Geschichte auch ein faszinierendes, zärtliches Porträt der deutschen Gesellschaft entsteht, ist vielleicht das noch größere Glück dieses an sich schon beglückenden Films. Denn so sporadisch und erratisch hier dezidiert matrilinear Familiengeschichte erzählt wird, mit all ihren nie und nimmer zu erklärenden Leerstellen, mit so überraschend wie selbstverständlich erwachsenden Freiheiten und immer wieder neuen moralischen Prämissen, so kaleidoskopähnlich formt sich auch das Bild eines Deutschlands heraus, das so klein sein kann wie ein Café am Walchensee, wo Wonders' Film beginnt, und so groß und weit wie nach Mexiko reichen kann, wohin es Wonders' Mutter Anna und ihre Schwester in einem Teil ihres Lebens zieht.
Und so groß und klein diese Leben sind, so klein und groß ist auch dieses Deutschland, egal wie laut in der Vergangenheit anderes hinausposaunt wurde und heute noch geschrien wird. Denn am Ende ist alles gleich, der Tod wie das Leben – und das Land, in dem wir leben, sowieso.