USA/GB 2020 · 82 min. · FSK: ab 6 Regie: Jerry Rothwell Drehbuch: Jerry Rothwell Kamera: Ruben Woodin Dechamps Schnitt: David Charap |
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Welt hinter Glas | ||
(Foto: DCM Film Distribution) |
Der Autor Naoki Higashida ist heute 25 Jahre alt. Als er dreizehn war, hatte der japanische Autist das Buch »Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann« geschrieben. In dem Buch beschreibt Higachida seine Gefühls- und Erlebniswelt. Das Buch hatte dem nonverbalen Autisten eine Stimme verliehen. Plötzlich konnte er sich seinen Mitmenschen gegenüber verständlich machen.
Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann ist jedoch nicht die Verfilmung von Higashidas Buch, obwohl dieses in dem Film eine prominente Rolle innehat. In dem Dokumentarfilm zeigt Jerry Rothwell das Leben von fünf jungen nonverbalen Autisten auf vier Kontinenten, die entweder gar nicht sprechen können oder zumindest nicht im üblichen Sinne sinnvolle Sätze von sich geben. Die Protagonisten sind Amrit in Indien, Joss in England, Emma und Ben in den USA sowie Jestina in Sierra Leone. Joss ist der Sohn der Produzenten Stevie Lee und Jeremy Dear, die nach der Lektüre von Higashidas Buch die Idee zu diesem Film hatten.
Das Buch erscheint im Film in Form eines Sprechers, der immer wieder längere Passagen vorliest. Dazu werden oftmals poetische Bilder gezeigt. So veranschaulicht eine flackernde Neonröhre den emotionalen Ausnahmezustand des Autors. Wenn dieser sich auf emotional sicherem Terrain befindet, sehen wir einen ruhig an einer Decke kreisenden Ventilator. Oftmals werden die Buchpassagen jedoch auch anhand der Darstellung der fünf Protagonisten des Films visualisiert. Wenn Higashida davon spricht, dass er häufiger Obsessionen zu bestimmten Tätigkeiten entwickelt, die ihm helfen, sein inneres Gleichgewicht zu wahren, sehen wir Joss, wie er mit hoher Konzentration Seifenblasen bläst.
Es ist jedoch auch nicht so, dass das Buch im Film absolut im Vordergrund stehen würde und die fünf Protagonisten nur auftreten, um die Aussagen des Buchs zu unterstreichen. Stattdessen gibt es auch längere Sequenzen mit den Protagonisten. Beispielsweise sehen wir, wie Emma und Ben mithilfe einer Buchstabentafel genaue Antworten in einer Unterrichtseinheit zu der Ära Perón in Argentinien von sich geben. Darüber hinaus hat Ben auch einiges zur Ausgrenzung nonverbaler Autisten per Buchstabentafel mitzuteilen. Es wird klar, dass diese Menschen keineswegs geistig zurückgeblieben sind. Stattdessen verfügen sie über ein reiches Innenleben und über einen rationalen Verstand. Einzig der sprachliche Ausdruck in gesprochenen Wörtern bleibt ihnen verwehrt.
Solche Sequenzen werden wiederum häufiger mit Kommentaren aus Higashidas Buch unterlegt. Dieses wechselseitige Zusammenspiel von Beobachtung der Protagonisten und dem Lesen von Passagen aus Higashidas Buch führt zu einem unentwirrbaren Netz, in dem sich beide Elemente wechselseitig kommentieren. Das völlige Gleichgewicht, das hierbei erzielt wurde, zählt zu den größten Stärken des Films. Es entsteht ein ständiger Assoziationsfluss zum Thema nonverbaler Autismus, in dem mal in konkreter Form anhand der Protagonisten, ein anderes Mal anhand geradezu lyrischer Passagen aus dem Buch dem Thema nachgegangen wird.
Es werden auch die Kämpfe der fünf jungen Protagonisten gezeigt. Joss wird von seinen Eltern in ein Internat gebracht, da sie die häufigeren aggressiven Anfälle des Jungen überfordern. Amrit hat gelernt, sich mithilfe von Bildern auszudrücken. Gegen Ende des Films sehen wir die Eröffnung einer Ausstellung ihrer farbenprächtigen und detailreichen Werke, welche die gesamten Wände der Ausstellungsräume bedecken. Die Eltern von Jestina kämpfen für die Eröffnung der ersten Schule für Autisten in Sierra Leone. Und Emma und Ben ziehen am Ende des Films in eine eigene gemeinsame Wohnung.
So macht Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann auch ein gutes Stück weit Hoffnung. Wir sehen, wie schwer es die autistischen Protagonisten haben. Aber es gibt auch Fortschritte und Erfolge im Kampf darum, ein Gefühl von Würde im eigenen Leben zu etablieren. Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann ist ein zutiefst aufklärerischer Film.