Deutschland 2022 · 115 min. · FSK: ab 16 Regie: Hanna Doose Drehbuch: Hanna Doose, Birgit Maiwald Kamera: Markus Zucker Darsteller: Bibiana Beglau, Gina Henkel, Alexander Fehling, Katarina Schröter, Godehard Giese u.a. |
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Natur als letzter Ausweg... | ||
(Foto: MFA) |
Als Hanna Dooses preisgekröntes Spielfilmdebüt auf dem Filmfest München 2012 Premiere hatte, kam das einer kleinen Explosion gleich. Denn wie Doose in Staub auf unseren Herzen auf engstem Berliner-Wohnungs- und Stadtbrachenraum mit improvisierten Dialogen Beziehungsabgründe- und Identifikationssuchen erschloss, hatte eine emotionale und authentische Wucht, die selten im deutschen Kino ist.
Nach mehr als zehn Jahren kommt nun Dooses zweiter Langfilm in die Kinos, der sich anfühlt, als wären die jungen Helden aus Hanna Dooses großartigem Debüt tatsächlich um elf Jahre und auch ein wenig mehr gealtert und in die Midlife Crisis gekommen. Und man merkt schnell, dass diese Jahre auch Jahre der Neubesinnung waren. Denn Berlin ist vorbei, kommt hier eigentlich nur noch als Ausgangspunkt für eine Flucht in die düster-natürlich lockende Bergwelt des Schwarzwalds vor.
Damit befindet sich Doose mit ihrem Wann kommst du meine Wunden küssen? im Einklang mit dem immer breiter werdenden, kollektiven, unterbewussten Strom gegenwärtiger neuer Heimatfilme, die ein wenig wie einst die großen Bergfilmer Luis Trenker oder Arnold Fanck Berge und Wälder als Katharsis-Hilfe für fragile Beziehungs- und Gesellschaftsdynamiken auserkoren haben. Sei es Adrian Goigingers großartiger Märzengrund, Christoph Roths Servus Papa, See You in Hell, Felix Van Groeningens und Charlotte Vandermeerschs Acht Berge oder Saralisa Volms Schweigend steht der Wald und nun auch Hanna Doose: die Natur als Rückzugsort und Aufbruchsort zugleich. Abgesang auf ein altes Leben und Visionsfutter für ein neues Leben.
Bei Doose wird jedoch schnell deutlich, dass das eine wie das andere Leben doch recht austauschbar sind. Dass wir halt überallhin unser altes Leben mitnehmen und die Natur bestenfalls als Werkzeug einer qualvollen Teufelsaustreibung taugt, an deren Ende wir vielleicht nicht mehr vom Teufel besessen, aber auch nicht viel glücklicher als vorher sind.
Doose fächert diese Tatsache so improvisiert wie gnadenlos analytisch über beste Freunde und Schwestern auf – die Regisseurin Maria (Bibiana Beglau) und ihre Schwester Kathi (Katarina Schroeter), die Jungschauspielerin Laura (Gina Henkel) und DJ Jan (Alexander Fehling) – die sich nach zehn Jahren in dieser Konstellation zum ersten Mal wiedersehen, auf dem Schwarzwälder Hof, auf dem die Schwestern groß geworden sind und der nun ein weiteres Mal Startpunkt für ein neues Leben sein soll.
Wie schon in ihrer dffb-Abschlussarbeit arbeitet Doose auch hier mit improvisierten Dialogen. Das tut der Intensität wie schon in ihrem Debüt keinen Abbruch, aber anders als in ihrem Debüt sind Dooses Helden nun erwachsen geworden. Sie sehen nicht nur ihr kleines, in eine prekäre Wohnung gepresstes Leben, sie blicken inzwischen auf ein halbes Leben zurück, haben Wunden davongetragen und Illusionen verloren und sich auf die Suche nach einem besseren Leben, einer neuen Gesellschaftsform gemacht, ohne auch hier wirklich angekommen zu sein und kämpfen, streiten, wüten für eine Alternative.
Das erinnert durch das Berg-Setting, die »gruppentherapeutischen« Momente und die grundsätzliche Hinterfragung alternativ-utopischer Gesellschaftsentwürfe an Stefan Krohmers wunderbaren Film Sie haben Knut, ist am Ende dann aber doch ganz Hanna Doose. Denn in Wann kommst du meine Wunden küssen? wird nicht nur schauspielerisch überragend gestritten, geschrien und gesucht, sondern gibt es wie in Staub auf unseren Herzen auch die Kamera von Markus Zucker, die so zärtlich und schön wie ein Gedicht von Rilke ist und Dooses »Heldenreise« immer wieder in transzendentale Ruhefelder, man könnte auch sagen in ein therapeutisches Atemholen überführt, in das sich jeder, der sich schon einmal gefragt hat, ob es das jetzt wirklich mit dem Leben war, mühelos einklinken und mitreisen kann und am Ende eigentlich nur eine Hoffnung bleibt: dass Doose nicht weitere zehn Jahre braucht, um ihren nächsten Film fertigzustellen.