Österreich/Deutschland 2012 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Julian Roman Pölsler Drehbuch: Julian Roman Pölsler Kamera: J.R.P. Altmann, Christian Berger, Markus Fraunholz, Martin Gschlacht, Bernhard Keller, Helmut Pirnat u.a. Darsteller: Martina Gedeck u.a. |
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Die Wand – Ein Leben in Einsamkeit |
Eine im Verlauf des Films namenlos bleibende Ich-Erzählerin verreist mit einem befreundeten Ehepaar auf ein Jagdhaus. Das Pärchen wandert noch am Nachmittag ins Dorf hinab, offensichtlich mit dem Ziel, am selben Abend zurückzukehren. Als die Beiden auch am nächsten Morgen noch ausbleiben, macht sich die Protagonistin mit ihrem Hund Luchs auf den Weg ins Tal, doch kommt sie nicht weit. Der vorausgeeilte Hund verweigert scheinbar grundlos das Weitergehen, bis sie selbst auf eine geheimnisvoll gläserne Wand trifft, die jegliches Weiterkommen unmöglich macht. Irritiert bricht sie den Rückweg an. Alles Leben außerhalb der unüberwindbaren Grenze scheint stillzustehen.
Der österreichische Regisseur Julian Pölsler wagte sich nach mehr als sieben Jahren Arbeit am Drehbuch an die Inszenierung der als unverfilmbar geltenden, 1963 erschienen Romanvorlage von Marlen Haushoher. Schon früh vermittelt Pölsler die düster-gedrückte Stimmung der Ich-Erzählerin, die auf der Anreise zum Jagdhaus die Lebensfreude ihrer Begleiter nicht teilen kann. Ein melancholischer, am Leben zweifelnder Mensch – das wird schnell klar. Umso schwerwiegender die Konfrontation mit der Wand, die die Verbindung zu allen sozialen Kontakten verweigert, ja unmöglich macht. Jeglicher Versuch, das Hindernis zu überwinden, scheitert; sogar einem massiven Aufprall mit einem Auto hält die Wand unbeeindruckt stand. Die Ich-Erzählerin muss sich mit der von Außen auferlegten Einsamkeit abfinden und lernen – ganz auf sich gestellt – damit umzugehen. Um den Kontakt zu ihrem Menschsein nicht zu verlieren, beginnt sie zu schreiben, gegen die Stille, die Einsamkeit und die Zeit, nicht zuletzt der Aufrechterhaltung einer gewissen, vielleicht auch eingebildeten Ordnung geschuldet. Sie schreibt unentwegt, solange die Papiervorräte halten und markiert die Tage in einem Kalender, um sich an einem Mindestmaß menschlichen Zeitempfindens zu klammern. Pölsler gelingt es, einen durchgängigen Spannungsbogen aufzubauen und zu halten, obgleich starke, intensive Handlungsimpulse ausbleiben. Der Zuschauer wartet gebannt auf eine Auflösung, eine Entspannung der unfassbaren Lage. Der Film reiht stimmungsvolle, lang gezogene Naturaufnahmen aneinander, an denen insgesamt acht Kameramänner beteiligt waren und die einen wesentlichen Reiz des Filmes ausmachen. Wahrhaft sinnliches Kino: Neben der optischen, satten Fülle der Bilder ist die bedrückende Nähe der Mauer erschütternd deutlich an einer akustischen Dumpfheit erspürbar, einer Dämpfung jeglichen Lebens gleich, ganz als würde man dem Treiben an der Oberfläche unter Wasser lauschen.
Realistische Interpretationsansätze sind hier völlig fehl am Platz: Ist die Frau krank? Ist sie schizophren? Träumt sie sich diese absurde Welt nur zusammen? Mehr als eine Erklärung ist der Film der Guss eines surrealen Traums, die Inszenierung eines Gefühls, ein Gedankenspiel, ein filmisches Essay philosophischer Prägung, die Darstellung einer menschlichen, archetypischen Grundsituation, gehoben in eine modernere, uns noch einigermaßen zugänglichen und erfahrbaren Welt. Eine mehr oder weniger moderne Robinsonade. Symbole schimmern ganz verhalten durch und wirken dabei keineswegs überladen, sondern geben nur dezent Signale: Alte, zerfledderte Klamotten, die sich düster und unheilvoll im Wind wiegen, Tiere, die der Protagonistin näher stehen als jeglicher Mensch – ihr beinah als Lebensgefährte fungierender Hund Luchs, eine aufgelesene Kuh, die sie auf den Namen Bella tauft, der namenlose »Stier«, eine weiße Katze, von der sie selbst sagt, dass diese Unschuld nicht lange in so einer feindlichen Welt zu überleben vermag oder die weiße Krähe, eine Seelenverwandte, die ebenso wie die Protagonistin von ihrem Umfeld ausgestoßen ist, ein unvermittelt auftauchender, nicht weiter charakterisierter Mann oder ihre langen Haare, deren sie sich zusehends entledigt und sich so von der Frau mit der Zeit in ein Neutrum verwandelt – ein Zeichen für die Auflösung im Kollektiv, in der Natur? Die Alm, auf der sie den Sommer verbringt, wo sie es als vermessen empfindet, nicht in einer größeren Einheit aufzugehen und sich stattdessen dagegen aufzubäumen.
Die Wand zeigt das Eingeschlossensein im Ich, die Frage nach der Abgrenzung zum Außen, das Verlangen nach dem Aufgehen des Ichs im Kollektiv, in der Natur. Allein auf sich gestellt, sehnt sie sich einerseits nach dem Eingehen in ein übergreifendes Ganzes, sucht zugleich aber die Abgrenzung davon als eigenständiges Individuum. Ihr schmerzlich-mühsames Leben findet kein Ende; es gibt Tage, an denen sie nicht um ihrer selbst willen, sondern nur für ihre Tiere aufsteht. Den Lauf der Dinge kann sie nicht ändern, der Freitod steht allerdings außer Frage, dazu ist ein letzter Funke Lebenswille tief in ihr verankert; dieser ist allerdings keineswegs stark oder gar bedingungslos, sondern lediglich duldend. Ihr Leben ist mühselig, eintönig und lässt keinerlei Raum für Hoffnung auf Besserung. Und dennoch macht sie weiter. Kaum verwunderlich, dass der Film mehrfach Camus‘ Sisyphos zitiert, den Inbegriff des immer gleich verrichteten Tagwerks. Nur gefällt sich dieser sogar in seiner Rolle, er leidet weniger als die Protagonistin. Sie hingegen kann sich mit dem Käfig um sie herum nicht arrangieren. Der Film stellt auch die Frage nach der Zeit. Obgleich die Protagonistin doch beliebig viel davon zu haben scheint, spricht sie dennoch davon, keine Zeit zu haben. Zeit ist immer subjektiv.
Herausragend die Hauptdarstellerin Martina Gedeck. Die Aufgabe dürfte nicht leicht gewesen sein – schauspielerisch ausschließlich auf Gestik und Mimik reduziert zu sein. Über der monoton-fahlen Stimme verrät uns nur der Blick in die Augen ihren gedrückten Gefühlszustand, ihr Leiden am Leben. Und immer unterstreicht die Gesichtspartie den inneren Monolog.
Ein hervorragender, sehenswerter, aber auch anstrengender Film. Die Inszenierung der Aussichtslosigkeit, das auf sich gestellt sein, die Ruhe bis hin zur unerträglichen Stille und Aktionslosigkeit lenken die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Grundstimmung des Films – sicherlich nicht jedermanns Sache.