GB/USA 1993 · 138 min. Regie: James Ivory Drehbuch: Kazuo Ishiguro Kamera: Tony Pierce-Roberts Darsteller: John Haycraft, Anthony Hopkins, Emma Thompson, Christopher Reeve u.a. |
Die Welt des James Ivory ist sehr einfach: Upstairs-Downstairs, Oben und Unten, Reich und Arm sind klar geschieden. Der Herr ist ein Herr, der Knecht ein Knecht, und wenn der Knecht einmal das Verhältnis ausgleichen kann, dann doch nur um selbst Herr zu werden, nicht um die Knechtschaft zu beseitigen. Es ist die Eindeutigkeit des Imperialen Zeitalters, in der den Menschen ein fester Platz und ein festes Schicksal gegeben war, und Glück darin bestand, dieses Schicksal perfekt auszufüllen.
James Ivorys Welt ist aber auch ziemlich kompliziert: Die festen Schranken zwischen den Klassen zerbröseln, Ideen und Personen machen sich selbstständig. Es ist die Uneindeutigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, die jedem den Aufstieg nach ganz oben verspricht, und in der nicht mehr Herkunft, sondern das Geld zum universalen Maßstab für Ruhm und Erfolg, für Macht und persönliches Schicksal geworden sind. Die Bürger flanieren zwischen den Klassenverhältnissen, einige von ihnen werden die besseren Aristokraten, andere sind als Sozialisten die einzigen, die wirklich das Geschäft der Weltrevolution in die Hand nehmen.
James Ivory war einer der ersten Filmemacher, der sich dem 19.Jahrhundert zuwandte, am liebsten in Form von Romanverfilmungen. Doch indem er nicht Jane Austen oder Henry James bebilderte, sondern E.M.Forster, konzentrierte er sich nicht auf die Emanzipationskämpfe der Frühzeit, sondern auf das Fin de Siècle, auf das er in Weichzeichner getauchte Symphonien anstimmte. Doch diesmal wagte sich Ivory an einen zeitgenössischen Roman, der ein Thema aufgreift, von dem die Briten gar nicht gerne hören: die Verbindung des englischen Adels zu den deutschen Faschisten. Vorlage ist Kenzuo Ishigurus Was vom Tage übrigblieb: Aus der Perspektive des alternden Butlers Stevens (glänzend gespielt von Anthony Hopkins) werden die Vorgänge auf dem Landsitz eines Lords, der heimlich hohen Besuch aus den Deutschen Reich empfängt, und mit einem faschistischen Putsch liebäugelt, geschildert. Die alten konservativen Werte, die der Butler vertritt, können ihn den Landes- und Ideenverrat seines Herren nicht gutheißen lassen, verbieten ihm aber gleichzeitig jede Kritik an der Obrigkeit, der zu dienen sein Lebenszweck ist.
Ivory ist Brite. Vielleicht liegt es an dieser Herkunft, daß seine Filme zwei Triebe des Zuschauers zugleich bedienen. Zum einen seine Sentimentalität, die Neigung, sich in nostalgischer Sehnsucht nach einer selbst nie erlebten »guten alten Zeit« zu suhlen. Zum anderen aber deren Gegenteil: seinen destruktiven Charakter, die vielleicht gar nicht einmal klammheimliche Lust an der Zerstörung der sentimentalen Idylle.
Denn Ivorys Welt, das übersieht man oft, ist eine Welt im Verfall. Seine Filme thematisieren die Schwäche der bürgerlichen Gesellschaft. Sie zeigen den Einbruch der Gefühle in rationale Verhältnisse. Die erst gerade mühsam geschaffene bourgoise Behaglichkeit droht schon wieder verloren zu gehen, weil Besitz und Form nicht alles sind, und das bürgerlich-liberale Ideal des völlig freien Menschen die Verhältnisse aushöhlt, auf denen seine Herrschaft beruht.
In Zimmer mit Aussicht (A Room with a View) und Howards End beobachtet Ivory diesen Verfalls-Prozeß. In Was vom Tage übrigblieb seziert er die Leiche. Im England der 30er Jahre ist das Schloß bereits an einen reichen
Amerikaner verkauft, und die Hauptfigur Stevens ist der einzige der im Unterschied zu seinen Herren- noch die alte Ordnung verteidigt. Aber auch er ist nicht mehr nur der funktionierende Automat im sozialen Getriebe. Der Knecht hat Gefühle. Indem Stevens sich seine Liebe zur ehemaligen Haushälterin Keaton (Emma Thompson) und damit zum ersten Mal echte Emotionen eingesteht, erkennt er an seinem eigenen, ungelebten und versäumten Leben, daß das ganze 19.Jahrhundert im 20. nur noch
eine tote Kulisse ist, in der längst ein ganz anderes Spiel gespielt wird. Die alten Herren haben das Befehlen verlernt, und paktieren mit dem Faschismus. Was vom Tage übrigblieb, ist nicht viel.