Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp

Deutschland 2024 · 98 min.
Regie: Klaus Stern
Drehbuch:
Kamera: Thomas Giefer
Schnitt: Friederike Anders
Die Sache mit der Zigarre...
(Foto: Die Sache mit der Zigarre...)

Software als Waffe

Abweichler und Schurken an der Macht, Gewinne ohne Gewinne: Ein hochinteressanter, erhellender Dokumentarfilm über die größte private Überwachungsfirma der Welt

Es gibt zwei, drei wieder­keh­rende Szenen in diesem Film. Beispiels­weise zündet sich Alexander Karp irgend­wann in den ersten Minuten des Films eine Zigarre an. Genau gesagt: er versucht es. Es gelingt ihm nicht. Karp weiß zwar, dass die dicke, möglichst teure Zigarre aus möglichst edlen Beständen eines der Status­sym­bole für die Bosse der Bosse ist. Aber das ist er eben noch nicht, sondern will es erst werden, muss noch üben und so scheitert er daran, die Zigarre zum Brennen zu bringen. Mal geht das Streich­holz aus, mal zieht er zu schnell, mal zu schwach. Man wird ihn regel­mäßig wieder­sehen bei dem Versuch, eine Zigarre zu rauchen, meistens auf einer Treppe im New Yorker West Village, und man hätte gern gewusst, um wen es sich eigent­lich bei dem jungen Mädchen handelt, das ein paar Trep­pen­stufen höher sitzt und ihn beim Rauch­ver­such amüsiert beob­achtet; oder bei der alten Frau, die aus dem Haus kommt und sich in ein Gespräch verwi­ckeln lässt.
Sie ist heute sicher längst tot, denn die Aufnahmen stammen aus dem Jahr 1997 und Alexander Karp ist damals noch jung, »blutjung« geradezu, er war noch nicht in Deutsch­land, er hat noch nicht beim Sigmund-Freud-Institut und beim Institut für Sozi­al­for­schung in Frankfurt studiert, er trägt noch keinen Doktor, er hat die Firma Palantir Tech­no­lo­gies noch nicht gegründet, und er ist noch längst kein Multi­mil­li­ardär.

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Die zweite regel­mäßig wieder­keh­rende Szene dieses Films ist, dass wir Alexander Karp, nun schon einige Jahre später, und von Body­guards begleitet, auf irgend­wel­chen Meetings sehen, bei der Münchner Sicher­heits­kon­fe­renz, bei einem Digi­tal­dings­bums in Berlin, bei der BASF in Ludwigs­hafen und bei Axel-Springer wo er jeweils in den Aufsichtsrat gewählt wird, ohne Zigarre zwar, aber ohne Frage einer der Bosse der Bosse. Mindes­tens dreimal in diesem Film erklärt er lachend, fast glucksend – und es wirkt so, als belustige ihn die Tatsache wirklich ehrlich – dass »diese Leute hier« einen Film über ihn machen würden, und dass er gar nicht große Lust hätte, diesen Film zu machen, und er erklärt dazu, dass der Kame­ra­mann mal vor vielen Jahren über ihn einen Film gemacht hätte, in dem er einen Mann spielte, »ein jüdischer Schwuler, der nach Amerika gegangen ist«, der aber nicht wollte, dass ein Film über ihn gedreht wird. »Und dann haben sie den Film über mich gedreht auf der Suche nach ihm, obwohl ich eher auf Frauen stehe, aber...« »Und jetzt dreht er einen Film über mich, obgleich ich das nicht will. Das ist der Wahnsinn!«
»Aber ich finde den sympa­thisch«, sagt er einmal noch gönner­haft.

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Die dritte Szene in diesem Film, die mehr als einmal vorkommt, ist, dass die Filme­ma­cher, eben Thomas Giefer, jener Kame­ra­mann von damals, der auch diesmal die Kamera führt, und der Regisseur Klaus Stern Alexander Karp direkt anspre­chen, und um einen Termin oder ein Gespräch bitten. Mal ist die Kamera direkt dabei, und man sieht es in Nahauf­nahme, mal mit einer nicht gerade versteckten, aber doch für das Objekt unsicht­baren Kamera weit aus der Ferne. Alexander Karp macht aber jedes Mal ganz klar, dass er sich zwar den Filme­ma­chern nicht direkt verwei­gert – dazu ist er viel zu schlau –, aber dass er doch auch gar keine Lust darauf hat, in diesem Film mitzu­ma­chen, eine Rolle zu spielen, oder ihm gar sein Plazet zu geben.
Ein einziges Mal kommt es zu einem Vier-Augen-Gespräch mit Klaus Stern, von dem dieser dann aber per Texttafel berichtet, weil Ton- und erst recht Bild­auf­nahmen nicht erlaubt waren.

Aber alles das macht auch nichts. Denn Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp ist glück­li­cher­weise gar kein Film über Alexander Karp geworden, und es ist auch die große Frage, ob er das hätte werden sollen. Jeden­falls aber kann man, glaube ich, sagen, dass es ganz gut ist, dass er das nicht geworden ist. Denn wen inter­es­sieren schon Filme über Super­reiche, außer die Voyeure des Boule­vards. Viel inter­es­santer ist es doch, über Struk­turen zu berichten, und am inter­es­san­testen ist es, schiere Macht als solche zu zeigen; Macht, wie sie sowohl in Struk­turen liegen kann aber auch in den Händen einzelner Personen. Genau das gelingt Klaus Stern und seinem Kompagnon Thomas Giefer hier ziemlich gut.

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Es ist schon seltsam und sagt so viel, wenn man seine Firma nach einer Gestalt aus J. R. R. Tolkiens krypto­fa­schis­ti­schem Fantasy-Roman »Der Herr der Ringe« benennt. Ein Palantír ist dort eine von mehreren unzer­stör­baren Kris­tall­ku­geln.

Eine der wich­tigsten Palantir-Softwares heißt »Gotham«. Mit ihr über­wa­chen Staaten ihre Bürger, mit ihr führt das ukrai­ni­sche Militär Krieg gegen Russland.

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Dies ist ein suchender Doku­men­tar­film – was ihn wohltuend abhebt von den vielen Filmen, die schon alles wissen, die nur ihre Agenden illus­trieren, und aus denen man nichts erfährt, was nicht von Anfang an klar ist. Die Struktur des Films besteht aus Schleifen, die er um bestimmte Phänomene legt, und sie allmäh­lich zu einem Thema festzurrt. Manche dieser Schleifen und Geschichten wären mögliche eigene Doku­men­tar­filme.
Die viel­leicht inter­es­san­teste von ihnen ist die von Alfredas Chmie­li­auskas. Der lebt heute in Anda­lu­sien irgendwo am Meer und war zwischen 2013 und 2018 Mitar­beiter von Palantir. Im Zuge des Cambridge Analytics Skandals wollte Palantir seine Haut retten, und Chmie­li­auskas wurde das Bauern­opfer.

Chmie­li­auskas erklärt ganz gut, wie diese seltsame Firma überhaupt anfangen konnte: 9/11 sei »der entschei­dende Wende­punkt« gewesen: Als Reaktion auf das enorme Geheim­dienst­ver­sagen habe man die eigene Tür ein kleines Stück »für die Verrückten« aus Kali­for­nien geöffnet. »Sie waren das, was man als Abweichler und Schurken bezeichnen würde, Außen­seiter des Systems. Vor nine-eleven hätte ihnen niemand die Tür geöffnet. Niemand!« Einer der ersten Geldgeber von Palantir war dann die CIA.

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»So eine geheim­nis­volle Firma. Was macht die eigent­lich, wieso ist die plötzlich 20 Milli­arden wert? Da will man wissen: was steckt dahinter?« Christina Kyria­so­glou recher­chiert seit Jahren für das Manager Magazin über Palantir.
Ihre erste Frage kann man sich im Laufe des Films so eini­ger­maßen beant­worten: Palantir bringt Ordnung ins Daten­chaos, gruppiert frag­men­tierte Daten­be­stände großer Unter­nehmen – oder Staaten – und bereitet sie so auf, dass auf den Bestand der Daten nach allen möglichen Kriterien einfach zuge­griffen werden kann.

Die Software kann zudem vor allem zur Über­wa­chung einge­setzt werden, was Palantir zur mit Abstand größten privaten, kommer­zi­ellen Über­wa­chungs­firma der Welt macht. Das Ganze ist ein ziemlich unsym­pa­thi­sches Unter­nehmen und man muss davor warnen.

Ihre zweite Frage ist hingegen äußerst schwer zu beant­worten: In 17 Jahren – inzwi­schen 20 Jahren – hat Palantir noch nie Profit erwirt­schaftet, »noch nie Gewinne geschrieben. Wie kann das sein? Das ist eine sehr gute Frage.«
Wenige Monate nach seinem Börsen­gang 2020 ist Palantir dann über 60 Milli­arden Dollar wert. Laut Wall Street Journal ist Alex Karp 2020 der best­ver­die­nende CEO mit einem Verdienst von 1,1 Milli­arden US-Dollar.

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Ein eigener Doku­men­tar­film für sich und nicht hundert­pro­zentig passend in dem Film ist die Geschichte von Horst Herold, dem heraus­ra­genden Poli­zisten der alten Bundes­re­pu­blik, BKA-Chef 1971-1981, genialen Erfinder der »Raster­fahn­dung« und frühem Compu­ter­fe­ti­schisten und das dazu­gehö­rige Interview mit Gerhart R. Baum, Herolds Chef und Gegen­spieler als Bundes­in­nen­mi­nister der sozi­al­li­be­ralen Koalition.

»Er war unglaub­lich innovativ. Ein faszi­nie­render Mensch. Ein Narziß, hoch­in­tel­lek­tuell, ein Polizist, der völlig aus dem Rahmen fiel«, so Baum über Herold:
»Er war ein sehr eigen­s­tän­diger auch poli­ti­scher Kopf, und damit geriet er natürlich in Schwie­rig­keiten. Auch bei mir, als ich Minister wurde. Er hatte sich sozusagen eman­zi­piert von dem Minis­te­rium: Herold wurde gefragt. Herold ging zum Bundes­kanzler. Herold ging in den Ausschuss. Herold war der Macher.
Die Öffent­lich­keit war daran überhaupt nicht gewöhnt. In der Öffent­lich­keit entstand der Eindruck: Dieser Mann schnüf­felt die Bevöl­ke­rung aus.
Es gab Gren­zü­ber­schrei­tungen. Wir haben ja damals bei der RAF-Bekämp­fung unglaub­lich intensiv mit Täter­merk­malen gear­beitet: Welches Parfum benutzt Gudrun Enßlin? Wie ist diese Persön­lich­keit struk­tu­riert in allem, was sie tut?
Das große Thema damals war: Sind wir bei der RAF-Bekämp­fung nicht zu weit gegangen? Ich habe in diesem Span­nungs­ver­hältnis gelebt, ein Bundes­da­ten­schutz­ge­setz vorzu­legen und die Sicher­heits­behörden zu leiten. Gewisse Gren­zü­ber­schrei­tungen waren wahr­schein­lich damals sogar unab­weis­lich, aber er hat das so stark verin­ner­licht, dass er eigent­lich nie umschalten konnte.«

Dies ist ein kleiner Edelstein für sich in diesem Film. Man könnte Baum (und Herold in den alten Ausschnitten) noch stun­den­lang zuhören – das wirft tatsäch­lich ein paar Schlag­lichter in ein durch den Doku­men­tar­film bislang völlig unbe­ar­bei­tetes Kapitel der Bundes­re­pu­blik. Ob es in diesen Film gehört, möchte ich bezwei­feln.

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Der so kluge wie liebens­werte Rechts­staats­li­be­rale Gerhart Baum sagt einen Satz zur Gegenwart: »Palantir ist eine Verfüh­rung, der sich unser Rechts­staat entziehen muss.«

Das mündet in eine Betrach­tung der Einfüh­rung von Palantirs »Gotham«-Programm in die deutschen Sicher­heits­behörden durch die schwarz-grüne Landes­re­gie­rung in Hessen. Die heutige Bundes­in­nen­mi­nis­terin Nancy Faeser kriti­sierte diese Einfüh­rung politisch wie juris­tisch und macht im Film klar, dass offenbar auch die Schwarz­grünen selbst ein schlechtes Gewissen hatten und darum versuchten, diesen Bruch mit allen rechts­staat­li­chen Üblich­keiten hand­streich­artig zu voll­ziehen und öffent­lich zu verschleiern: Die Vergabe des Auftrags an Palantir erfolgte ohne Ausschrei­bung und ohne Infor­ma­tion der Oppo­si­tion.

Deutlich wird die größte Gefahr einer solchen Zusam­men­ar­beit: Dass die Sicher­heits­behörden sich von der Software abhängig machen und ihr dann immer mehr Daten zur Verfügung stellen müssen.

Große Kritik gibt es nicht nur von der SPD, sondern auch vom Baye­ri­schen Daten­schutz­be­auf­tragten Thomas Petri: »Ich weiß, wie Palantir funk­tio­niert. Das Tool ist sehr sehr eingriffs­in­tensiv. ... in Hessen haben Tausende von Beamten Zugriff. Sollen die alle in der Terro­ris­mus­bekämp­fung einge­setzt sein? Das kann nicht nur Schwerst­kri­mi­na­lität sein. Oder Hessen hat ein veri­ta­bles Problem.«

Gegen die hessische Nutzung gab es eine Verfas­sungs­be­schwerde der Gesell­schaft für Frei­heits­rechte, die 2023 zu einem Urteil führte, das die hessische Regelung der Nutzung von Palantir-Software für verfas­sungs­widrig erklärte.

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»Our product is used on location to kill people« – diese Aussage gibt es auch in kleinen Varianten ein paar mal in diesem Film. Und es wirkt ein bisschen so, als sollte uns im Publikum das empören. Aber genau genommen lässt sich dies über ganz viele Dinge und Phänomene sagen, über jeden Computer, über Religion und Partei­pro­gramme, über das Internet als Ganzes, aber auch über Autos, über Erdgas und Erdöl, über Küchen­messer und Werk­zeug­hammer ebenso, wie über richtige Waffen. Schon klar, dass damit eigent­lich gesagt werden soll, dass die Möglich­keit, dieses Produkt zum Töten zu verwenden, diesem Produkt von Beginn an einge­schrieben ist.

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Das Lächeln und die jungen­hafte lässige, manchmal hippieh­hafte Attitüde entgleitet Alexander Karp eigent­lich nie. Und es ist wirklich schwer zu sagen, ob das alles nur Show ist, oder ob er sich seine Maske viel­leicht selber glaubt und sie mit ihm komplett verschmolzen ist.

Er ist eine gar nicht mal besonders schil­lernde Persön­lich­keit, sondern einfach jemand, an den der Film nicht wirklich ran kommt. Weil Karp keine Inter­views gibt, nur mit Merkel und DAX-Vors­tänden und solchen Leuten redet. Weil Karp dafür vermut­lich gute Gründe hat, weil er mit Unsym­pa­then wie Peter Thiel Umgang hat, weil er sich mit Donald Trump trifft, weil er behauptet, er sei »extrem links in Amerika«, aber nur Sachen macht, die selbst in Amerika manche »extrem rechts« finden...

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Es gibt ein paar Stimmen, unter anderem den sehr geschätzten Kollegen, Freund und artechock-Autor Philipp Stadel­meier, der den Film zwar im Film­dienst und heute in der Süddeut­schen wie ich auch »infor­mativ, unter­haltsam und erhellend« findet, sich zugleich aber von ihm ein bisschen gelang­weilt gibt und im Film­dienst schreibt, man habe das doch alles schon gewusst: »Wir werden überwacht«.
Dass »wir alle« überwacht werden, mag schon sein. Aber wie wir überwacht werden, von wem, und was der deutsche Staat dann im Unter­schied zu den USA doch letztlich als rechts­wid­rige Über­wa­chung charak­te­ri­siert, das wusste ich so nicht genau.

Mein Vorteil ist in diesem Fall, dass ich vorher einfach nichts wusste, noch nicht einmal den Namen Palantir kannte, und deswegen habe ich aus diesem Film eine Menge erfahren.

Denn dieses Unter­nehmen ist so alter­na­tivlos wie Facebook, Google, Apple und Amazon, und deswegen verdient es auch ähnliche Debatten. Klaus Stern hat eine gelassene, dabei hart­nä­ckige Art ,und er verzichtet auf eindeu­tige Urteile und Thesen. Deswegen könnte sein Film ein Anfang sein.