Japan 1997 · 104 min. · FSK: - Regie: Mitani Koki Drehbuch: Mitani Koki Kamera: Takama Kenji, Tozawa Jun-Ichi Darsteller: Nishimura Masahiro, Suzuki Kyoka, Toda Keiko, Karasawa Toshiaki, Inoue Jun u.a. |
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Amerikanisiert ins totale Chaos |
Kurz vor Mitternacht in einer großen Radiostation in Tokyo: Die Proben für das romantische Hörspiel Das Schicksal einer Frau sind beendet. Alles ist gut gelaufen. Nur die Autorin, eine Hausfrau, die einen Drehbuchwettbewerb gewonnen hat, ist etwas nervös. Gleich soll ihr erstes Werk über den Sender gehen – live!
Doch kurz vor Beginn der Sendung gefällt der Schauspielerin Nokko, dem Star des Ensembles, ihr Rollenname nicht mehr. Der Produzent gibt auf Drängen des Programmdirektors nach. Bloß nicht den Star verärgern! Aus Ritsuko wird so »Mary Jane«. Und eine japanische Hausfrau ist Nokko auch zu profan. Flugs wird aus der Hauptfigur eine amerikanische Anwältin. Hektisch schreibt man das Skript um, und der Ort der Handlung wird kurzerhand in die USA verlegt. Der männliche Hauptdarsteller will da nicht nachstehen. Die Sendung läuft schon, als er sich vom Fischer zum Piloten befördert und mit Blick auf eine Fast-Food-Packung in »Donald McDonald« umbenennt. Doch jede Änderung zieht die nächste nach sich. Immer fieberhafter bastelt man am Skript, immer mehr Köche verderben den Brei. Die Geschichte wird immer chaotischer. Als gegen Ende sogar die männliche Hauptfigur verschwinden soll, flippt sogar die Autorin aus, die zuvor alles stoisch ertragen hat. Es bedarf schon eines Wunders, dass der Held am doch noch gerettet wird und es zum Happyend heißen kann: »Welcome Back, Mr. McDonald!«
Der Originaltitel Rajio no jikan bedeutet wörtlich übersetzt »Radio-Zeit« oder »Radiostunde« und wird dem Film doppelt gerecht. Neben dem Bezug auf den Inhalt betont er auch den nostalgischen Aspekt des Radiohörspiels, dem schon Woody Allen sein Radio Days gewidmet hat. Bei Mitani spielt die Handlung zwar in der Gegenwart, aber auch hier gibt es die Sehnsucht nach der »guten alten Zeit«.
Mitani Koki, der Regisseur und Autor, hat hier sein eigenes Theaterstück verfilmt. Dabei scheint sich der Konflikt zwischen japanischer Tradition und modernem amerikanischen Einfluss, der in der Geschichte aufschimmert, auch in seiner Brust abzuspielen. In einem Interview erklärte er, dass er seit seiner Jugend lieber amerikanische als japanische Filme sieht. Dies gilt aber offenbar nur für den Stil des Films. In der Handlung liegen seine Sympathien eindeutig bei den Protagonisten, die für das traditionelle Japan stehen. Als der Produzent im Stück gefragt wird, warum er Hörspiele macht, antwortet er, dass man im Fernsehen teuere Spezialeffekte brauche, um mit modernen amerikanischen Filmen zu konkurrieren. Im Hörspiel dagegen genüge ein Sprecher, der »Weltall« sagt – und schon sei man in den unendlichen Weiten des Alls. Hier sei nur die menschliche Vorstellungskraft die Grenze.
Folgerichtig hat sich Mitani keine aktuellen, sondern alte amerikanische Screwball-Komödien als Vorbild für seinen Film genommen. Alle ruhigen oder gar kontemplativen Szenen und die Beobachtung des Alltäglichen, wie sie für viele japanische Filme, die man auf Festivals sieht, typisch sind, wurden strikt vermieden. Auch der Einsatz der Musik, der die Szenenwechsel emotional unterstreicht, orientiert sich an amerikanischen Vorbildern. Allerdings zieht der Film seinen Witz weniger aus pointierten Wortgefechten als aus der permanenten Verschärfung der Situation. Der Film folgt dabei einem Prinzip, das im Westen vor allem aus Kriminalkomödien bekannt ist, wo jede Abweichung vom ursprünglichen Plan unerwartete Reaktionen und damit neue Komplikationen herauf beschwört. Die Figuren reiten sich so immer tiefer ins Schlamassel hinein. Mitani zeigt, dass dieses Prinzip auch ohne kriminelle Energie wunderbar funktioniert. Ein bisschen Selbstsucht der Protagonisten genügt.
Die Handlung – sowohl des Films als auch des Hörspiels, das vor unseren Augen entsteht – wird immer absurder und verzwickter. Das Tempo wird dabei bis kurz vor Schluss kontinuierlich gesteigert, so dass die Zuschauer kaum aus dem Lachen herauskommen. Sicher haben Mitani seine Erfahrungen aus dem Theater geholfen, exakt das richtige Timing zu treffen. Ansonsten ist dem Film die Herkunft vom Theater nur noch an der Beschränkung auf wenige Schauplätze innerhalb des Radiogebäudes anzumerken. Die Kamera agiert sehr aktiv mit Schwenks und Zooms direkt auf das Zentrum der Handlung.
Während Storyline und Erzählstil sich offen an amerikanischen Vorbildern orientieren, erscheinen die Figuren zunächst als typisch japanisch: Vom Programmdirektor über die Schauspieler bis zum alten Geräuschemacher, der längst durch CDs ersetzt wurde und nun sein Gnadenbrot als Wächter in der Tiefgarage fristet. Die unsichere, schüchterne Autorin, die es nicht wagt, gegen die Verstümmelung ihres Drehbuchs Einspruch zu erheben, blüht sichtbar auf als der Produzent sie mit »Sensei« anredet. Die junge Assistentin und der Regisseur machen die Arbeit und halten den Laden am Laufen, während sie sich immer artig verbeugen und die Rüffel ihrer Vorgesetzten einstecken. Der Produzent katzbuckelt nach oben hin und schilt zum Ausgleich seine Untergebenen. Außer der Autorin und ihrem Ehemann ist keiner ernsthaft an dem Hörspiel interessiert. Alle sehen es nur als Vehikel, sich in der gesellschaftlichen Hackordnung zu positionieren und das eigene Ego aufzupolieren. Bei näherem Hinsehen stellt man aber fest, dass dies kein rein japanisches Phänomen ist. Ähnliches könnte sich auch hierzulande abspielen.
Mitani Koki, Jahrgang 1961, hat schon während seines Studiums in Tokio seine eigene Theatergruppe, die »Tokyo Sunshine Boys«, gegründet. Anschließend hat er für Theater und Fernsehserien gearbeitet. Rajio no jikan war sein erster abendfüllender Spielfilm. Er wurde 1998 mit großem Erfolg im Internationalen Forum des Jungen Films auf der Berlinale gezeigt. Anschließend hat er über fünf Jahre einen Verleih in Deutschland gesucht. Vor 2½ Jahren haben ihn dann die Freunde der Deutschen Kinemathek in den Verleih genommen. In München lief er bislang trotzdem nicht im Kino. Mitani hat 2001 mit Minna no ie (Unser gemeinsames Haus) einen weiteren Spielfilm gedreht, der in Deutschland auf Festivals gezeigt wurde. Auch hier ist der Konflikt zwischen traditioneller japanischer und moderner westlicher Kultur Ausgangspunkt für eine Komödie, die sich in diesem Fall um den Bau eines Einfamilienhauses dreht.