Frankreich 2015 · 91 min. · FSK: ab 0 Regie: Stéphane Brizé Drehbuch: Olivier Gorce, Stéphane Brizé Kamera: Éric Dumont Darsteller: Vincent Lindon, Karine de Mirbeck, Matthieu Schaller, Yves Ory, Xavier Matthieu u.a. |
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Anti-Starkino mit Stars |
Auf den ersten Blick ist Thierry ein Jedermann. Die Kamera zeigt Szenen aus dem Alltag des 51-jährigen Familienvaters. Allerdings hat Thierry ein behindertes Kind, um das er sich liebevoll kümmert. Auch verliert er, als der Film noch jung ist, seine Arbeitsstelle in der Fabrik und sucht nun verzweifelt eine neue. Nachdem er Jahrzehnte in der Fabrik mit seinen Händen gearbeitet hat, muss er nun plötzlich per Skype Job-Interviews führen. Da bekommt er dann erniedrigende Kommentare zu seinem Alter zu hören. Auch ansonsten begleitet der Film Thierry auf einer absteigend schiefen Ebene der Demütigung. Die Kamera zeigt bei diesen Online-Gesprächen nur Thierry, wie er schweigt, und das, was gerade geschieht, leitend, stumm über sich ergehen lässt, während ihm die Röte ins Gesicht schießt.
Nach fast 20 Monaten als Arbeitsloser findet Thierry dann endlich eine neue Stelle in einem Supermarkt. Dort arbeitet er als Ladendetektiv, allerdings stellt sich bald heraus, dass er nicht zuletzt auch dazu angeheuert wurde, um seine Kollegen zu kontrollieren.
Schnell stürzt ihn diese Arbeit in einen mehrfachen moralischen Konflikt. Thierry soll Diebe überführen, doch viele derjenigen, die zum Beispiel Nahrungsmittel klauen, tun dies aus einer Notsituation heraus. Diese
Not kennt Thierry selber nur allzu gut. Soll er sie entkommen lassen oder der Polizei zuführen?
Mit Der Wert des Menschen gelingt dem französischen Filmregisseur Stéphane Brizé ein beklemmendes Sozialdrama, das zeigt, wie sich in unserer gegenwärtigen Welt die Schere zwischen Arm und Reich immer stärker öffnet. Die alte Arbeiterklasse wandelt sich zur neuen Unterschicht und diese verliert jegliche Hoffnung. Vincent Lindon spielt Thierry eindringlich als gutmütigen Kerl am Abgrund. Dafür erhielt er in Cannes sehr verdient den Darstellerpreis. Es ist bereits die dritte Zusammenarbeit mit Regisseur Stéphane Brizé. Fast immer verkörpert Lindon gepiesackte Kleinbürger, die in allem Anstand ums Überleben kämpfen. So auch in Der Wert des Menschen.
Die Ästhetik des Film ist rückwärtsgewandt und streng. Eine Ästhetik der Armut, die von fern an den Sozialrealismus der belgischen Brüder Dardennes erinnert, aber stilistisch weniger ambitioniert ist. Eher erinnert der Film in seinem offenen Moralismus an das altbackene Kino vom Briten Mike Leigh: Brizé vertritt Ansichten, aber er argumentiert nicht politisch, sondern er moralisiert. Zugleich versäumt er es, denen, die es nötig hätten, tatsächlich eine eigene Stimme zu
geben. Es bleibt nur das Gesicht von Vicenent Lindon.
Der Wert des Menschen ist darin konsequent: Sein Film ist Anti-Starkino mit Stars, ein unterkühltes Melodram und damit ein Paradox.