Weißt du noch?

Deutschland 2023 · 94 min. · FSK: ab 6
Regie: Rainer Kaufmann
Drehbuch:
Kamera: Martin Farkas
Darsteller: Senta Berger, Günther Maria Halmer, Konstantin Wecker, Sushila Sara Mai, Yasin el Harrouk u.a.
Filmszene »Weißt du noch?«
Hinter jedem Lächeln ein Funken Frust...
(Foto: Majestic)

Letztes Kapitel

Rainer Kaufmanns tragikomisches Old-Ager-Kammerspiel überzeugt vor allem durch seine Hauptdarsteller Senta Berger und Günther Maria Halmer, die in den besten Momenten an die Untiefen Thomas Bernhards reichen

»Wir sollten immer daran denken, daß es auch noch etwas anderes auf der Welt gibt als die Gewöhn­lich­keit.« — Thomas Bernhard, Ein Kind

»Und ich denke heute, die Menschen, die in unserem Leben wirklich etwas bedeutet haben, können wir an den Fingern einer Hand abzählen und sehr oft sträubt sich sogar diese eine Hand gegen die Perver­sität, in welcher wir glauben, eine ganze Hand zum Abzählen dieser Menschen heran­ziehen zu müssen, wo wir doch, wenn wir ehrlich sind, wahr­schein­lich ohne einen einzigen Finger auskommen.« — Thomas Bernhard, Witt­gen­steins Neffe

Im Angesicht der Tatsache, dass Kino, Tages­zei­tungen, Theater und Oper mehr und mehr zu einem ausschließ­li­chen Ü-50-Zeit­ver­treib werden, zeigt vor allem das Kino eine erstaun­liche Anpas­sungs­fähig­keit, sprießen nicht nur Age-Gap-Filme wie A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe, Meine Stunden mit Leo oder erst vor wenigen Wochen Im Herzen jung und diese Woche mit Wild wie das Meer in alle nur erdenk­li­chen Rich­tungen, um den (Kino-)Alters­graben irgendwie zu über­winden, sondern finden zunehmend auch Produk­tionen in die Kinos, die in ihren konse­quenten Porträts von unlieb­samen Alte­rungs­pro­zessen vor zwanzig Jahren noch undenkbar waren, man denke nur an Helen Mirren und Donald Suther­land in Das Leuchten der Erin­ne­rung, Book Club – Ein neues Kapitel oder Brady’s Ladies, die bei aller grund­sätz­li­chen Tristesse versuchen, vor allem Hoffnung zu machen.

Rainer Kaufmann, der vor allem für einschlä­gige Fern­seh­reihen wie »Tatort«, »Bella Block« und »Poli­zeiruf 110« Regie geführt hat, geht mit Weißt du noch in eine ähnliche Richtung, baut aber mit seinem ebenfalls haupt­säch­lich für das Fernsehen arbei­tenden Dreh­buch­autor Martin Rauhaus (»Hotel Heidel­berg«, »Tatort«) vor allem im ersten Teil von Weißt du noch einen Schritt weiter, weil sie durchaus ernüch­ternd und sehr präzise fragen, was man mit der Liebe machen soll, wenn sie am Ende des Lebens nicht mehr da ist? Vor allem in der Beschrei­bung eines durch 50 Jahre gnadenlos abge­schlif­fenen Alltags punktet Kaufmann mit den spitzen, klugen Dialogen von Rauhaus, die durch die beiden ikoni­schen Altschau­spieler Senta Berger und Günther Maria Halmer über­ra­gend umgesetzt werden und natürlich auch daran erinnern, dass Berger und Halmer hier vor der Kamera nicht ihre erste Ehekrise durch­leben, sondern schon in Tren­nungs­fieber (1999) sehr über­zeu­gend mitein­ander um eheliche Bedürf­nisse gerungen haben.

Doch war Tren­nungs­fieber erheblich eindeu­tiger dem komö­di­an­ti­schen Genre zuzu­ordnen, bietet Kaufmann vor allem im ersten Teil von Weißt du noch ein kammer­spiel­ar­tiges Podium für ernüch­terndste Erkennt­nisse über das Altern, die Liebe und die Durch­schnitt­lich­keit der eigenen Existenz, die bisweilen Thomas-Bernhard'sche Qualität haben und – um es noch einmal zu sagen – auch dementspre­chend brillant ausge­spielt werden. Durch einen erzäh­le­ri­schen »Magie-Kniff«, die gemein­same Einnahme einer Pille, die die Erin­ne­rung an alte Zeiten und Gefühle ermög­licht, geht Kaufmanns Film sogar noch ein Stück weiter und bietet Anre­gungen über das Erinnern an sich und die unter­schied­li­chen Erin­ne­rungs­rea­li­täten, in denen sich Paare nach vielen Jahren des Zusam­men­seins mehr und mehr befinden.

Das ganze Potential, das diese Geschichte an sich bietet, spielt Kaufmanns Film dann aber leider doch nicht aus, wird mit zuneh­mender Verlaufs­dauer deutlich, dass Kaufmann und Rauhaus sich von TV-Ästhetik und fern­seh­kom­pa­ti­blen Erzähl­weisen dann doch nicht entfernen wollen, wir keinen knall­harten Bernhard serviert bekommen, und die Spannung, die das Leid am Leben und des geteilten Leidens mit anderen ja bietet – man denke nur an Hanekes Liebe – einem viel zu biederen und seichten Abgang geopfert wird.