Großbritannien 2013 · 93 min. · FSK: ab 0 Regie: Roger Michell Drehbuch: Hanif Kureishi Kamera: Nathalie Durand Darsteller: Jim Broadbent, Lindsay Duncan, Jeff Goldblum, Olly Alexander, Judith Davis u.a. |
||
Das Ende ist der Anfang |
Ich kippte die leeren Muschelschalen in den Abfall, spülte die Teller ab und stellte sie in die Spülmaschine. Geir reichte mir seinen, trat einen Schritt zurück und lehnte sich gegen den Kühlschrank.
„Faszinierend“, meinte er.
„Was?“, sagte ich.
»Worüber wir gesprochen haben. Oder besser gesagt, dass wir gesprochen haben. Peter Handke hat ein Wort dafür. Erzählnächte nennt er es, glaube ich. Wenn sich eine
solche Offenheit einstellt und alle ihre Geschichten erzählen.«
Karl Ove Knausgard, Lieben (Min Kamp, 2. Teil)
Nick (Jim Boradbent) und Meg (Lindsay Duncan) sind ein Ehepaar Ende fünzig. Die Kinder sind aus dem Haus, die Liebe irgendwie auch. Grund genug also, sich dorthin zu begeben, wo dreißig Jahre zuvor alles angefangen hat, den Ort ihrer Hochzeitreise, nach Paris. Wie tief der Riss der Beziehung ist, wird schon nach wenigen Stunden klar. Das exklusive Hotelzimmer inspiriert zumindest Nick, doch kaum berührt er Meg, schlägt sie zurück: »Das ist keine Liebe, das ist, wie verhaftet werden.« Da auf die inneren Räume kein Verlass ist, versuchen es Nick und Meg mit Hilfe kleiner komödiantischer Holpersteine draußen, vor der Tür. Doch auch das will zu Anfang nicht recht klappen, vor allem Nick vermag seine Blockaden kaum zu überwinden: »Ich fühl mich immer fehl am Platz, sogar wenn ich allein bin.« Doch je mehr sich Nick und Meg auf die irrationalen Strukturen von Paris einlassen, desto mehr entgleiten sie auch ihrer eigenen verkrusteten, irrationalen persönlichen Gegenwart und gewinnen zunehmend neutrales Beziehungsland.
Spätestens an dieser Stelle verlassen Drehbuchautor Hanif Kureishi und Regisseur Roger Michell das übliche Romcom-Terrain, auch jenes, für das Michell bisher solide Arbeiten wie etwa Notting Hill, ablieferte. Stattdessen versuchen sie unter angenehm dezenter Einbeziehung von Nouvelle Vague-Momenten aus Godards Außer Atem oder Malles Fahrstuhl zum Schafott Kurs auf eine schonungslose „Wahrhaftigkeit“ zu nehmen, wie sie gegenwärtig wohl am stärksten durch den norwegischen Schriftsteller Kar Ove Knausgard und sein Magnus Opum „Min Kamp“ repräsentiert wird.
Am überzeugendsten wird diese Fokussierung in der Schlüsselszene von Le Weekend umgesetzt, als Meg und Nick sich tatsächlich auf die Einladung eines alten Studienfreundes von Nick (Jeff Goldblum) einlassen und zu einem Essen unter Freunden erscheinen, in dessen Verlauf zwar nicht ganz die Vision Handkes einer „offenen“ Erzählnacht eingelöst wird, doch immerhin so viel Offenheit gewagt wird, dass nicht nur die Beziehung zwischen Nick und Meg ein neues Niveau erreicht.
Neben diesen erzählerisch starken, „inneren“ Momenten, die eine immer wieder überraschende Authentizität erzielen und sicherlich nicht zuletzt Hanif Kusheiris faszinierenden Œuvre als Roman- und Drehbuchautor geschuldet ist, überzeugen Michell und Kusheiri aber auch in ihrem äußeren Blick auf das Paris ihrer Protagonisten, der sich wohltuend vom nostalgischen Weichzeichner unterscheidet, den etwa Woody Allen in Midnight In Paris konsequent benutzt.
Dadurch bewegt sich Le Weekend nicht nur in einer immer wieder atemberaubenden Schwebe zwischen bodenloser Leichtigkeit und einer fast trunkenen Schwermut, sondern verrät vor allem sein Kernthema nicht: so ehrlich Nick und Meg ihre Beziehungsarbeit erledigen und sich dem auf allen Ebenen gnadenlosen Alterungsprozess stellen, so ehrlich und ganz ihrem bildungsbürgerlichen Hintergrund gemäß entdecken sie auch „ihr“ Paris. Zwar hat das kaum mehr etwas mit dem Paris ihrer jungen Jahre gemein, aber letztlich zählt auch hier nicht das, was war, sondern das, was noch ist.